Ausgebeutet und überzüchtet: Wie viel ist uns ein Schweineleben wert?
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Eine Normenkontrollklage beim Bundesverfassungsgericht und eine Studie über Landwirtschaft und Feinstaub: Es gibt viele Gründe, um Bedingungen in der Schweinehaltung zu verbessern
In Deutschland verstößt die konventionelle Schweinehaltung gegen Tierschutzgesetz und Verfassung. Zu diesem Schluss gelangten zwei Hamburger Rechtsanwälte in einem Rechtsgutachten von April 2017, nachdem sie entsprechendes Filmmaterial und Fotos von Greenpeace gesichtet hatten.
Darauf zu sehen waren Schweine, die auf engstem Raum zusammengepfercht, ohne ausreichendes Tageslicht oder Beschäftigungsmöglichkeiten und mit teilweise blutigen Verletzungen zentimetertief im eigenen Kot standen oder lagen. Zum Teil vegetierten sie im Hundesitz hockend - bei Schweinen ein Ausdruck von Trauer - vor sich hin.
2016 wurden für den in- und ausländischen Markt rund 60 Millionen Schweine geschlachtet. Zwar halten sich die meisten konventionellen Tierhalter an die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung. Die aber hat mit Tierschutz oder Tierwohl wenig zu tun. "Die Tiere werden der Haltung angepasst statt die Haltung den Bedürfnissen der Tiere anzupassen", kritisiert Stephanie Töwe, Expertin für Landwirtschaft bei Greenpeace.
Deutschland sei in Sachen Schweinehaltung sehr rückständig - im Gegensatz zu Dänemark, Schweden, der Schweiz und Österreich, wo man die Ställe einer artgerechteren Haltung anpasst. In Schweden müssen die Ställe getrennte Liege-, Fress- und Kotbereiche aufweisen, um dem Bedürfnis der Schweine nach Sauberkeit gerecht zu werden.
Hoher Fleischansatz durch wenig Bewegung
Die Ferkel erblicken das Licht der Welt in so genannten Abferkelbuchten, in denen Sauen in Kastenständen auf nur einer Seite liegen und sich nicht drehen können. Um dem späteren "Ebergeruch" im Fleisch zu vermeiden, werden sie kurz nach ihrer Geburt kastriert - ganz ohne Betäubung. Fünf Monate im Jahr ist eine Zuchtsau im Kastenstand fixiert. Die ganze Zeit muss sie auf derselben Stelle liegen, fressen, schlafen und koten. Zweimal im Jahr wird sie künstlich befruchtet, nach knapp vier Monaten wirft sie bis zu 18 Ferkel.
Um ihre Rentabilität zu erhöhen, muss sie jedes Jahr mehr und mehr Ferkel werfen. Spätestens nach drei Jahren endet das Leben einer Zuchtsau im Schlachthof. Drei bis vier Wochen nach der Geburt werden die Ferkel von den Müttern getrennt und in einen separaten Bereich eingestallt, was für die Tiere zusätzlichen Stress bedeutet. Nach vier bis fünf Monaten werden sie im Transporter mit hundert anderen Tieren zum Schlachter gefahren.
Den Mastschweinen ergeht es nicht besser: Während der gesamten Mastdauer muss ein Tier mit einem drei Viertel Quadratmeter Platz auskommen - ohne Rückzugsmöglichkeiten und Bewegungsfreiheit. Die Folgen sind gravierende Verhaltensstörungen.
Die Tiere sitzen apathisch herum. Immer wieder kommt es zu Aggressionen gegenüber Artgenossen. Deshalb kneift man den Tiere die Ringelschwänze und schleift ihnen die Zähne ab - ohne Betäubung, so dass sie den Schmerz direkt fühlen. Nach sechs bis sieben Monaten in engen Buchten auf nackten Spaltenböden endet das Leben eines Mastschweines im Schlachthof.
Arteigene Bedürfnisse können nicht ausgelebt werden
Schweine wühlen von Natur aus gerne in der Erde. In konventionellen Mastställen bleibt es den Tieren verwehrt, artgerechtes Verhalten wie Wühlen und Nestbauen auszuleben. Doch in den Buchten auf den Spaltenböden ohne Einstreu haben sie keinerlei Gelegenheit, im Stroh oder in organischem Material zu wühlen. So bleibt nur das Wühlen im eigenen Kot.
In den engen Ställen verbringen sie ihre kurze Lebenszeit mit Fressen und Liegen, ohne abwechslungsreiche Betätigung und Bewegung. Würden sich die Tiere mehr bewegen, würden sie weniger Fleisch ansetzen und mehr Futter verbrauchen. Das verursacht Kosten. Nur im Auslauf mit viel Bewegungsfreiheit können sie ihre angeborenen Fähigkeiten wiederentdecken. Damit wären sie auch widerstandsfähiger gegen Krankheiten.
Zudem können Schweine nicht schwitzen. Um sich abzukühlen, suhlen sie sich gerne im Schlamm. Doch in den engen Mastställen bleibt ihnen diese Abkühlung verwehrt, weshalb sie bei Temperaturen ab 20 Grad Celsius aufwärts besonders leiden. Ansonsten sind die Tiere von Natur aus sehr sauber: Zum Koten suchen sie sich einen separaten Bereich, möglichst weit weg vom Schlafplatz.
"Die Nahrungssuche soll neben dem physiologischen Bedarf auch das Beschäftigungsbedürfnis befriedigen", heißt es im Hamburger Rechtsgutachten. Auf Grund ihres ausgeprägten, instinktiven Erkundungsverhalten verbringen Schweine natürlicherweise bis zu 80 Prozent ihrer Zeit mit Nahrungssuche. Innerhalb ihrer Sozialverbände begeben sie sich gemeinsam auf die Suche nach abwechslungsreicher, energie- und rohfaserreicher Nahrung.
Sie durchwühlen Wälder und Büsche nach Pilzen, Knollen, Wurzeln, Larven und Käfern, die sie benagen, beschnüffeln und kauen. Damit bleibt der Magen über Stunden mit Futter gefüllt. Im Maststall wird zwei Mal täglich eine eiweißreiche Pampe in die Tröge gepumpt. Dann springen alle Tiere gleichzeitig auf und rennen zum Trog. Selten haben alle gleichzeitig Platz, weshalb es zu Rangeleien mit den konkurrierenden Artgenossen kommt. Wegen der strukturarmen Konsistenz des Futters ist der Magen danach schnell wieder entleert.
Berliner Senat klagt gegen Missstände
Als vor zwei Jahren das Gutachten veröffentlicht wurde, sah Bundeslandwirtschaftsminister Schmidt keinerlei Handlungsbedarf. Nun hat der Berliner Senat kürzlich eine 300 Seiten starke Klage beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Im Gegensatz zu Privatpersonen und Organisationen, die rechtlich nicht gegen die erbärmlichen Zustände in der Massentierhaltung vorgehen dürfen, können die Bundesländer nämlich über eine Normenkontrollklage die Haltungsbedingungen vom Bundesverfassungsgericht prüfen lassen.
Neben dem minimalem Platzangebot pro Tier beanstandet die Klageschrift alle Arten von Missständen, die gegen arteigene Grundbedürfnisse verstoßen, wie Bodenbelag, fehlendes Raufutter, Fixierung der Sauen im Kastenstand im Abferkelbereich und beim Decken, fehlende Grenzwerte für Stalltemperaturen und vieles mehr.
Der Initiator der Klage, Berlins Verbraucherschutzsenator Dirk Behrendt von den Grünen, rechnet mit einer Dauer von mindestens zwei Jahren, bis die Klage bearbeitet ist. Sein Ziel: bessere Mindeststandards in der Schweinehaltung. Andere Bundesländer haben sich der Klage bisher nicht angeschlossen.
Dennoch sieht Christoph Maisack von der Deutschen Juristischen Gesellschaft für Tierschutzrecht gute Chancen auf Erfolg. So sei in einem ähnlichen Fall die Verfassungwidrigkeit der früheren Hennenhaltungsverordnung im Legehennen-Urteil mit der Unterdrückung von zwei Grundbedürfnissen (Ruhen und Fressen) begründet. Das vorliegende Rechtsgutachten zur Schweinehaltung stelle eindrücklich die Unterdrückung vergleichbar wichtiger Bedürfnisse dar.