Ausgerastert
Hessens Oberlandesgericht stoppt Rasterfahndung gegen Willen des Innenministers und kritisiert Düsseldorfer Entscheidung. Bundesregierung verweigert Aussagen zur Rasterfahndung in den Ländern.
Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt stoppte am heutigen Donnerstag die Rasterfahndung endgültig und wies die Beschwerde des hessischen Innenminister Bouffier zurück. Es schrieb in seiner Entscheidung: "Nach der Aktenlage fehlen hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass in dem hier maßgeblichen Zeitpunkt der landgerichtlichen Entscheidung die Voraussetzungen für die Anordnung der Datenübermittlung [...] zur Abwehr von Terroranschlägen in Deutschland gegeben waren."
Ausdrücklich kritisieren die Richter auch die Kollegen vom Oberlandesgericht Düsseldorf, die sich bei der Definition der gegenwärtigen Gefahr auf die Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichtes bezogen hatten. Diese beträfen jedoch die "konkrete" Gefahr und die "dringende" Gefahr, nicht aber die "gegenwärtige" Gefahr. Sie erfordere eine "besondere Zeitnähe und einen besonders hohen Grad an Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts". Eine reine Möglichkeit reiche zur Annahme einer "gegenwärtigen" Gefahr nicht aus. (Vgl. Ausländer im Raster, (Rasterfahndung-Domino und Grüße an die Achse des Bösen)
Zuletzt wiesen die Richter auf die Frage hin, ob die Rasterfahndung überhaupt zur Abwehr einer "gegenwärtigen" Gefahr taugt. "Daran bestehen allerdings erhebliche Zweifel, zumal bereits die Eignung der Rasterfahndung zur Abwehr einer "gegenwärtigen" Gefahr sehr fraglich ist und die praktische Bedeutung der Rasterfahndung als gering eingeschätzt wird".
Nun müssen sich auch noch die Gerichte in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen, wie das OLG Frankfurt formulierte, "nicht von eigenen Emotionen, oder Emotionen anderer, sondern ausschließlich vom Gesetz leiten lassen".
Carmen Ludwig vom Vorstand des "freien zusammenschlusses von studentInnenschaften" (fzs) hofft deshalb auch, dass sich nun "endlich rechtsstaatliche Verfahren durchsetzen." Tjark Sauer, Referent für Hochschulpolitik im Giessener AstA, freut sich: "Das Urteil des Oberlandesgericht Frankfurt ist für uns ein Schritt gegen den aktuellen politischen Mainstream der Grundrechtseinschränkungen."
Bundesregierung weiß nur wenig über Rasterfahndung
19.872 Personendatensätze hat das Bundeskriminalamt seit Beginn der bundesweiten Rasterfahndung gegen angebliche islamische "Schläfer" in seinem "Grunddatenbestand" gespeichert. Dies gibt die Bundesregierung in ihrer ebenfalls heute bekannt gewordenen Antwort auf die kleine Anfrage (BT-Drs. 14/8087) der PDS-Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke an.
Bis zu sechs Mitarbeiter waren im Bundeskriminalamt mit der Erhebung befasst. Ein Datenabgleich ist bislang nicht erfolgt. Weitere Erkenntnisse gibt es wohl deshalb noch nicht, zumindest weiß die Bundesregierung darüber nichts. In spätestens zwei Jahren müssen die Daten, wenn keine neue Verdachtsmomente auftauchen, wieder gelöscht werden.
Welche Verdachtsmomente und Rechtsgründe für diese 19.872 Speicherungen von Personendaten bestehen, will die Regierung nicht sagen. In spätestens zwei Jahren sollen die Daten, wenn keine neue Verdachtsmomente auftauchen, wieder gelöscht werden.
Schilys Beamte verteidigen Rasterfahndung
Zur Lage in den Ländern äußerte sich Schilys Behörde nicht - es lägen keine Erkenntnisse vor, hieß es lapidar. Aber noch immer ist die Bundesregierung "der Auffassung, dass die Anordnungen der jeweiligen Rasterfahndung in den Ländern auf der Grundlage des dortigen Gefahrenabwehrrechts den rechtlichen Vorgaben sowie dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht".
P.S. Schilys Beamte sollten selbst einmal einen Deutschkurs belegen: In der Antwort an die kleine Anfrage schrieben sie doch tatsächlich: "Ziel der Rasterfahndung ist es, weitere in Deutschland aufhältige sog. "Schläfer" zu identifizieren, um so der Durchführung weiterer Anschläge entgegenzuwirken." Der neueste Duden kennt kein "aufhältig". Es gibt zwar einen "Aufenthalt" und ein "auffällig" - aber was ist "aufhältig"? Dagegen ist unsere Stilkritik Nebensache: Bitte weniger Substantivierungen und Passiva, dann macht das Lesen auch Nichtjuristen mehr Freude.