Ausgezeichneter Journalismus

Der Fall Mollath und die Krise des Pressewesens

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Otto Lapp vom Nordbayerischen Kurier "hat wesentlich zur Aufklärung des Falles Mollath beigetragen". So begründete jüngst eine handverlesene Jury des medium magazins im Rahmen der Preisverleihung "Journalist des Jahres 2013" Lapps 3. Platz in der Kategorie Reporter Regional. Die Auszeichnung des Chefreporters aus Bayreuth könnte kaum widersprüchlicher zur Zielsetzung der Preisverleihung sein. Mit der Wahl hat die Fachzeitschrift für Journalisten eine Berichterstattung ausgezeichnet, die eher für die Krise des Journalismus steht denn für Qualität: Public Relation statt Information, Boulevardisierung statt Kritik, Meinungsmache statt Kontrolle der Macht. Wie konnte es zur Auszeichnung kommen? Und: Was sagt das über den Qualitätsjournalismus aus?

Besonders frappant ist die Begründung der rund 80-köpfigen Jury. So habe Lapp "wesentlich zur Aufklärung des Falles Mollath beigetragen. Dabei reproduzierte er nicht das Klischee des unschuldig Verurteilten, sondern breitete die komplexe Geschichte eines Querulanten aus, der so massiv mit dem System kollidierte, dass dieses seine Schwächen offenbarte."

Die Jury und damit das medium magazin schaffen es, in einer gerade ein mal 38 Wörter umfassenden Begründung, ein mutmaßliches Justizopfer zu pathologisieren, zu stigmatisieren und herabzuwürdigen. Sind Querulanten per se schuldig? Oder ist es bei Querköpfen weniger wichtig, ob sie tatsächlich schuldig sind, schließlich haben sie sich des Verbrechens des "Störens" schuldig gemacht? Und obwohl die rechtliche Klärung des Falles noch nicht abgeschlossen ist, schafft es die Jury dennoch ein Urteil zu fällen. Lapp habe nicht das Klischee des unschuldig Verurteilten reproduziert. Nur was ist, wenn Mollath im juristischen Sinne unschuldig ist? Welches Klischee hat er dann produziert?

Auch dass es sich bei Gustl Mollath um einen Querulanten handeln soll, ist eine bemerkenswerte Meinung einer Jury, die Qualitätsjournalismus auszeichnen möchte.

Andrea Dinger und Uwe Koch halten in ihrer Studie zu "Querulanz in Gericht und Verwaltung" fest:

Mit der Bezeichnung als Querulant wird das Problem personifiziert, individualisiert und allein auf Seiten des Rechtsuchenden gesehen.

Und das, obwohl in den wenigsten Fällen geklärt werden kann, "ob die beobachteten Verhaltensauffälligkeiten nicht gerade Folge der häufigen juristischen Auseinandersetzungen sind." Genau diese Klärung wäre Aufgabe von Qualitätsjournalismus gewesen, den die Jury als solchen auszeichnen möchte. Zumal Dinger und Koch festhalten:

Die Verwendung des Begriffs hat sicherlich im Alltag von Juristen und Psychiatern eine gewisse Entlastungsfunktion, sie dürfte aber auch häufig verhindern, daß der betroffene Rechtsuchende mit seinen Anliegen die ihm zustehende Aufmerksamkeit und Berücksichtigung erfährt, vielmehr wird er in eine Rolle gedrängt, aus der er sich kaum noch selbst befreien kann.

Während Gustl Mollath seit Jahren um Gerechtigkeit kämpft, wurde ihm dieses Verhalten seitens Justiz und Psychiatrie als Querulanz ausgelegt und er mit den bekannten Folgen psychiatrisiert. Dabei klingen die Beschreibungen Dingers und Kochs wie eine Schilderung des Falles Mollath. Was könnte hier Aufgabe eines auszuzeichnenden Qualitätsjournalismus sein?

Einige Journalisten sehen ihre Aufgabe darin, dem Anliegen des Rechtsuchenden die notwendige Aufmerksamkeit zu verschaffen. Nur so kann ein mögliches Unrecht überhaupt überprüft werden. Ohne die entsprechende mediale Aufmerksamkeit bleibt es bei der Zuschreibung Querulant mit all seinen juristischen und psychiatrischen Folgen. Lapp hingegen, der im Fall Mollath immer wieder für den Nordbayerischen Kurier berichtet hat, übernimmt lediglich das offizielle Narrativ.

Im April 2013 schreibt Lapp den pejorativen Bericht "Mensch Mollath" (Paywall).

Was ist, wenn Gustl Mollath doch nicht nur dieser Sturkopf ist, sondern wirklich gemeingefährlich? Können sich so viele Ärzte, Pfleger und Gutachter über sieben Jahre immer wieder irren?

Otto Lapp

Können sich viele Menschen über Jahre irren? Wozu noch Journalismus, wenn man doch Plausibilitätserklärungen bei der Hand hat. Es klingt sofort schlüssig: Es muss wahr sein. Hier wird nicht informiert, hier soll umgewertet werden. In dem Artikel heißt es weiter:

Was ist, wenn das Urteil fehlerhaft zustande gekommen ist, vielleicht sogar falsch ist. Aber die Diagnose stimmt. Dann käme ein gefährlicher Mensch aus der Unterbringung ...?

Otto Lapp

Ausgezeichneter Journalismus im Jahr 2013 kümmert sich nicht um ein Fehlurteil. Grundsätze der Rechtstaatlichkeit spielen keine Rolle, wenn es sich um "gefährliche Menschen" handelt. Was scheint einen Reporter schon ein Einzelschicksal zu kümmern, wo man doch alle Menschen boulevardesk in Angst und Schrecken versetzen kann. Hier wird offen mit den Befürchtungen der Bevölkerung gespielt.

Was allerdings noch weitaus mehr zu erschrecken vermag, als die Manipulation der Lesermeinung, ist das Welt- und Menschenbild, welches sich hinter solchen Fragen verbirgt. Letztlich ist es demnach nämlich egal, ob sich jemand etwas zu Schulden hat kommen lassen, es muss sich nur jemand finden, der die entsprechende Diagnose stellt. Dann kann tatsächlich jeder weggesperrt werden. Natürlich nur aus Gründen der Sicherheit. Schließlich können sich viele Menschen nicht irren.1 Ist das tatsächlich eine ausgezeichnete Leistung?

Wie kommt es überhaupt zu den Begründungen, zur Nominierung und zur Platzierung Otto Lapps? Und was sagt das über den Qualitätsjournalismus aus, der hier ja ausgezeichnet werden soll?

Der Journalistenpreis des medium magazins

Das medium magazin, gegründet unter anderem von Stefan Kornelius, dem der Journalismusforscher Uwe Krüger eine besondere Nähe zu gesellschaftlichen Eliten attestiert (Journalismusforschung:"Ganz auf Linie mit den Eliten"), verlieh den Preis zum 10. Mal für Journalisten, die "Meilensteine" gesetzt haben. Es ist einer von hunderten Preisen, mit denen sich die Medienbranche und deren wichtigste Finanziers gegenseitig ihrer Bedeutung und Qualität versichern.

Preise für "guten Journalismus" gibt es wie Sand am Meer. Da ist es auch nicht überraschend, dass die Ehrungen teils nicht unterschiedlicher sein könnten. Olaf Przybilla und Uwe Ritzer von der Süddeutschen Zeitung erhielten 2013 den Wächterpreis der Tagespresse für ihre Artikelserie zum so genannten Fall Mollath. Auch das medium magazin zeichnet die beiden Journalisten für ihre Recherchen zum Fall Mollath als Sieger in der Kategorie Reporter national aus. Die beiden Report Mainz-Autoren Monika Anthes und Eric Beres sind gerade für einen "Spezial-Preis für die nachhaltige Recherche zum Fall Mollath" vom Grimme-Institut nominiert worden. Und gleichzeitig erhält Otto Lapp die Auszeichnung des medium magazins als Drittplatzierter in der Kategorie Reporter Lokal.

Ausgezeichnet werden solche Journalisten und Journalistinnen, die auf besonders nachdrückliche Weise Themen und Trends aufgegriffen sowie gesetzt haben und die mit Recherche, Tiefgang, Ausdruckskraft, Humor oder redaktionell-strategischer Leistung geglänzt haben.

medium magazin

Die Jury des medium magazins zur Wahl des "Journalisten des Jahres" setzt sich aus Leitern "wichtiger journalistischer Ausbildungsstätten" (wie z.B. Henri-Nannen-Schule, Axel Springer Akademie), "professionellen Medienbeobachtern aus der Tagespresse, elektronischen Medien und Branchendiensten (wie z.B. Spiegel, Focus, Süddeutsche Zeitung, DeutschlandRadio, taz, meedia), Journalistinnen und Journalisten, die in ihrer langjährigen beruflichen Laufbahn ausgewiesen für ein hohes journalistisches Qualitätsniveau stehen" zusammen. Darüber hinaus werden die ersten "Preisträger und Preisträgerinnen des vorangegangen Jahres jeder Kategorie" Mitglied der Jury. 2013 wurden auch erstmals "die Nachwuchstalente 'Top 30 bis 30' des Jahres 2013" in die Jury aufgenommen.

Das klingt zwar nach einer ausgewogenen Jury, wie diese ausgewählt wird, also nach welchen Kriterien die Jurymitglieder eingeladen werden, ist hingegen nicht nachvollziehbar. Schaut man sich die Liste der Jurymitglieder an, fällt auf, dass diese weit weniger diversifiziert ist, als die reine Aufzählung der Kategorien, aus denen sich die Jury zusammensetzt, den Anschein vermittelt.

Im Zentrum steht Sebastian Turner als Gründer des medium magazins. Nebenbei ist er auch noch Aufsichtsrat der Mediengruppe Dieter von Holtzbrinck DvH Medien GmbH (Zeit, Handelsblatt, Tagesspiegel). Damit nicht genug, hat er am Tagesspiegel auch gleich noch zum 1. Januar 2014 20 Prozent Anteile erworben, wodurch er Mitherausgeber wird. Der andere Herausgeber ist bekanntlich Giovanni di Lorenzo, der wiederum Chefredakteur der Zeit ist. Holzbrinck, Tagesspiegel, Zeit, Handelsblatt, medium magazin. Allein daraus setzt sich etwa ein Drittel der Jury zusammen. Es kann dann auch nicht wirklich verwundern, dass überproportional viele Jurymitglieder Ehemalige der Henri-Nannen-Schule sind, die unter anderem vom Zeitverlag getragen wird.

Das heißt nicht, dass es hier Absprachen gibt. Aber von besonderer Vielfältigkeit der Jury kann auch keine Rede sein. Vielmehr wurde von dem ehemaligen Propagandisten der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft Sebastian Turner ein nicht unerheblicher Teil der Jury zusammengestellt, dessen habituelle Nähe zum Merkelvertrauten (äußerst lesenswerter Beitrag der Kontext: Wochenzeitung) gesichert scheint. Dies muss dann auch nicht für die gesamte Jury gelten, es reicht ein Kern Gleichgesinnter. Ein Netzwerk von Medienschaffenden, die sich über ihre Ausbildungsstätte, ihre gemeinsamen Erfahrungen, ihren gemeinsamen Chefredakteur oder Herausgeber miteinander identifizieren.

Selbstverständlich ist das statthaft und es ist auch nicht im Geringsten gesagt, dass es so zwangsläufig zu einer Beeinflussung der Jury kommt. Vielmehr werden die Entscheidungen sicherlich völlig frei getroffen. Alles andere würde die Integrität des Magazins und des Wahlverfahrens auch irreparabel beschädigen. Die Chefredakteurin Annette Milz versichert denn auch, dass kein "Übergewicht einer bestimmten 'Fraktion' entsteht. Im Gegenteil! Wir erleben sogar immer wieder, dass Juroren, die im ersten Wahlgang 'eigene' Leute ins Rennen schicken (was absolut legitim ist), im 2. Wahlgang sogar für jemand anders stimmen, den sie gar nicht auf der eigenen 'Liste' hatten."

Manipulation oder Beeinflussung sind bei dem besonderen Wahlverfahen des medium magazins auch weder sinnvoll noch notwendig.

Von Ende Oktober bis Mitte November sind alle Jurymitglieder aufgefordert, ihre jeweiligen Favoriten mit Begründungen einzureichen. Parallel dazu wird der entsprechende Fragebogen auch auf www.mediummagazin.de veröffentlicht: Dort kann jede/r Interessierte ebenfalls Vorschläge zur Wahl der "Journalisten des Jahres" in allen Kategorien einreichen.

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Es sind also im Wesentlichen die Jurymitglieder, die die "Schlaglichter" des Qualitätsjournalismus empfehlen. Da mag es nicht mehr verwundern, wie Otto Lapp auf die Nominierungsliste gekommen ist. Ist doch Joachim Braun, der Chefredakteur des Nordbayerischen Kurier, durch seine Auszeichnung im Jahr 2012 selbst Mitglied der Jury. Laut Milz wurde Otto Lapp jedoch von mehreren Jurymitgliedern nominiert. Auch das ist wenig überraschend, bedenkt man, wie sich etwa ein Drittel der Jury zusammensetzt.

Gerade Zeit und Tagesspiegel hatten sich hervorgetan mit einer undifferenzierten Berichterstattung im Fall Mollath. Für die Zeit hat es dabei zumindest zu einer Missbilligung des Presserates gereicht. Da auch Mitarbeiter von Spiegel und Spon in der Jury vertreten sind, ist eine Mehrfachnominierung sogar zu erwarten gewesen. Schließlich hat auch der Spiegel teilweise eine beachtliche Berichterstattung gepflegt. Und nicht zu vergessen Helmut Markwort, der Herausgeber des Focus, der sich in besonderer Weise verdient gemacht hat, bei der Aufklärung des Falles Mollath: "Jetzt reden wir übers Wetter."

Bei dieser Jury ist die Nominierung Lapps konsequent. Allerdings erklärt das nicht seine Platzierung. Dazu bedarf es eines genaueren Blicks auf das Wahlverfahren.