Journalismusforschung:"Ganz auf Linie mit den Eliten"
Eine neue Studie analysiert die Berichterstattung von deutschen Spitzenjournalisten
Wie eng verbunden sind deutsche Spitzenjournalisten mit anderen Eliten unserer Gesellschaft? Und spiegelt sich die Verbundenheit zwischen Top-Journalisten und anderen Eliten auch in der Berichterstattung wider?
Uwe Krüger, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft der Universität Leipzig, gibt Antworten auf die Fragen. In einer beeindruckenden Studie hat Krüger die Netzwerkverbindungen deutscher Spitzenjournalisten analysiert. Seine Studie, die gewaltig am pluralistisch-demokratietheoretischen Medienverständnis rüttelt, ist unter dem Titel "Meinungsmacht" als Buch erschienen. Ein Buch, das zu einem Standardwerk in der Journalistenausbildung und in den Redaktionen werden sollte.
Im Telepolis-Interview verrät Krüger, welche Journalisten eine besondere Nähe zur Elite aus Politik und Wirtschaft haben, und berichtet, welche klassischen Techniken der Propaganda er in deutschen Leitmedien gefunden hat.
Herr Krüger, Sie haben für Ihre Studie eine aufwändige Netzwerkanalyse betrieben, um herauszufinden, wie eng der Kontakt zwischen deutschen Top-Journalisten und anderen Eliten ist. Sind die deutschen Spitzenjournalisten eng mit Eliten aus anderen gesellschaftlichen Teilbereichen verzahnt?
Uwe Krüger: Ja. Die Daten deuten darauf hin, dass sich Journalisten vielerorts in vertraulichen Runden mit den Mächtigen treffen. Und das steht in einem klaren Gegensatz zu der demokratietheoretisch begründeten Erwartung, Journalisten sollten Distanz zu den Mächtigen halten, um sie kritisieren und kontrollieren zu können.
Was genau haben Sie herausgefunden? Welche Journalisten verfügen über besonders gute Kontakte ins Elitenmilieu?
Uwe Krüger: Ich habe eine Art Landkarte von Organisationen und Veranstaltungen erstellt, in denen sowohl Eliten aus Politik und Wirtschaft als auch führende deutsche Journalisten involviert sind: darunter etwa das Weltwirtschaftsforum in Davos, die Münchner Sicherheitskonferenz, die Trilaterale Kommission und die Bilderberg-Meetings, aber auch die sogenannten Hintergrundkreise in Berlin, Kulturstiftungen oder Akademien. Insgesamt habe ich 82 solche Eliten-haltigen Organisationen erfasst, und es waren 64 Journalisten dort unterwegs - außerhalb ihrer direkten beruflichen Pflichten wie Recherchen oder Interviews. Am auffälligsten war der Befund, dass vier leitende Journalisten der "Süddeutschen Zeitung", der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", der "Welt" und der "Zeit" stark in US- und Nato-affinen Strukturen eingebunden waren.
Sie haben gegenüber den vier in Ihrer Studie genannten Journalisten mit offenen Karten gespielt. In Ihrem Buch schreiben Sie, dass Sie Ihre Arbeit diesen Journalisten vorgelegt haben mit der Bitte, ihre Sicht zu schildern, die Sie dann im Anhang der Arbeit veröffentlicht hätten. Doch darauf ist niemand eingegangen?
Uwe Krüger: Es hat niemand seine Sicht niedergeschrieben. Klaus-Dieter Frankenberger von der "FAZ" und Josef Joffe von der "Zeit" begründeten das mit Zeitmangel, Stefan Kornelius von der "Süddeutschen Zeitung" damit, dass meine Arbeit "nur so strotzt vor sachlichen Fehlern". Und Michael Stürmer von der "Welt" legte mir am Telefon seine Kritikpunkte dar. Etwas für den Anhang schreiben oder mir ein Interview geben - ich hätte ihm die Arbeit gern abgenommen -, wollte er nicht. Er fand die Idee nicht gut, dass ein Journalist einen anderen Journalisten interviewt.
Wie sind Sie auf diese Journalisten gekommen? Wie sind Sie in Ihrer Studie vorgegangen?
Uwe Krüger: Ich habe im Internet und durch Anfragen an Organisationen Personendaten gesammelt und diese netzwerkanalytisch verarbeitet. Das ergibt dann Grafiken mit größeren und kleineren Punkten und Verbindungslinien dazwischen, und man sieht, wer wie zentral in einer sozialen Umgebung liegt und wer in wie vielen Zusammenhängen auf welche Leute trifft. Bei den vier Journalisten war zu sehen, dass sie in einer Reihe von Organisationen involviert waren, in denen auch bestimmte Eliten aus Politik und Wirtschaft öfter vorkamen. Zum Beispiel sieht man, dass der Außenpolitik-Chef der Süddeutschen Zeitung, Stefan Kornelius, ständig Wolfgang Ischinger über den Weg lief, dem Cheflobbyisten des Versicherungskonzerns Allianz, der auch die Münchner Sicherheitskonferenz veranstaltet.
Kognitive Vereinnahmung
Wenn Journalisten auf diese Weise in Elitenzirkel und Think Tanks eingebunden sind, besteht dann nicht die Gefahr, dass Sichtweisen in ihre Berichterstattung einfließen, die in diesen Elitemilieus vertreten werden?
Uwe Krüger: Ja, mit dieser These von der "kognitiven Vereinnahmung" von Journalisten durch Eliten habe ich die Arbeit auch begonnen. Und als ich die Artikel der vier untersuchte, stellte ich tatsächlich fest: Die Journalisten lagen ganz auf Linie mit den Eliten und benutzten sogar klassische Propagandatechniken.
Haben Sie Beispiele?
Uwe Krüger: Alle vier Journalisten haben an der Münchner Sicherheitskonferenz teilgenommen, und alle vier haben die Gegner der Konferenz, die Demonstranten und die Organisatoren der Münchner Friedenskonferenz, in ihren Artikeln entweder verschwiegen, marginalisiert oder delegitimiert. Und alle vier argumentierten bei den Themen Sicherheit, Verteidigung und Auslandseinsätze der Bundeswehr ähnlich.
Wie denn?
Uwe Krüger: Sie erwähnten häufig eine Reihe von Bedrohungen, denen Deutschland vermeintlich ausgesetzt ist, mahnten die Bundesregierung zu verstärktem militärischen Engagement und empfahlen zur Durchsetzung dieser Politik mehr Führung und mehr Überzeugungsarbeit an der skeptischen Bevölkerung.
In Ihrer Studie sprechen Sie auch den "erweiterten Sicherheitsbegriff" an. Zunächst mal: Was ist das?
Uwe Krüger: Der klassische Sicherheitsbegriff aus der Zeit des Kalten Krieges meint: Wir verteidigen unser Territorium, wenn es angegriffen wird. Seit Anfang der 1990er Jahre verwenden euro-atlantische Eliten aber einen "erweiterten Sicherheitsbegriff", der alle möglichen Gefahren einschließt: Terrorismus, Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, Piraterie, Drogen, organisierte Kriminalität, Flüchtlingsströme und Klimawandel. Wir verteidigen nicht mehr nur unser Territorium, sondern auch unseren Wohlstand, die Versorgung mit Rohstoffen und Energie und unsere kommunikationstechnische Infrastruktur. In die Öffentlichkeit gebracht hat das erstmals der nun verstorbene Peter Struck mit seinem Satz : "Deutschland wird auch am Hindukusch verteidigt." Diese Lesart von Sicherheit teilen die deutschen Politiker und auch die Wirtschaftschefs, die Bevölkerung hat damit aber mehrheitlich ein Problem.
Sicherheitsabstand zwischen Journalisten und Eliten
Und so wie der Sicherheitsbegriff von den Eliten interpretiert wird, wird er auch von den erwähnten Journalisten verwendet?
Uwe Krüger: Ja, ohne jede kritische Reflexion. Das geht bis zur Panikmache. Beim Lesen mancher Kommentare hat man den Eindruck, wir würden ständig in höchster Gefahr schweben und ohne die Nato wären wir verloren. Bedrohungen werden plastisch ausgemalt, ihre sozialen und politischen Ursachen aber nicht analysiert. Ein solcher Journalismus macht den Bürger nicht handlungsfähig, sondern hält ihn in Unmündigkeit - da kann man sein Heil nur noch zusammengekauert unter dem Schirm einer entgrenzten Sicherheitspolitik suchen.
Und Sie denken, solche Artikel sind auf Beeinflussung durch sicherheitspolitische Eliten zurückzuführen? Weil man sich so oft trifft und miteinander plaudert?
Uwe Krüger: Da bin ich mir nicht mehr so sicher. Ich will den Journalisten nicht unterstellen, sie würden solche Sachen schreiben, weil sie in diesen Netzwerken sind und fremde Hände ihre Feder geführt hätten. Denkbar ist auch der umgekehrte Weg: Weil die Journalisten schon vorher eine ähnliche Meinung wie die Eliten hatten, sind sie in dieses Milieu überhaupt erst aufgenommen worden.
Ich vermute folgendes: Journalisten mit Eliten-kompatiblen Werten und Meinungen haben höhere Chancen, Zugang zu den höchsten Kreisen zu bekommen, und die Einbindung in das Elitenmilieu verstärkt dann über die Zeit hinweg die Konformität. Das heißt auch: Journalisten mit Eliten-kompatiblen Meinungen haben bessere Chancen, Karriere zu machen, denn sie können im eigenen Haus und in der Branche mit exklusiven Informationen und hochrangigen Interviewpartnern punkten.
In der aktuellen Ausgabe des Medienmagazins Message findet sich ein Interview mit dem Leiter des ARD-Hauptstadtstudios, Ulrich Deppendorf. Auf die Frage, ob vertrauliche Gespräche zwischen Journalisten und Politikern zu viel Vertrauen führen, antwortet Deppendorf:
"Wir haben ja häufiger vertrauliche Gespräche in Berlin, mit der Kanzlerin gibt es zweimal oder dreimal im Jahr einen Hintergrundgesprächskreis, da sind alle Büroleiter drin. Uns gibt das eine Vorstellung, wie tickt sie, wo will sie hin - und manchmal kann man das dann andeuten in bestimmten Artikeln und Stellungnahmen. Davon lebt der Journalismus. Ich finde das weniger dramatisch, man muss nur immer klar sagen: Die Kanzlerin vertritt die eine Seite und wir stehen auf der anderen."
Wie lesen Sie so eine Aussage?
Uwe Krüger: Ich finde, Herr Deppendorf untertreibt die Dramatik. Ich will nicht sagen, er soll sich aus dem Büroleiterkreis der Kanzlerin fernhalten - wenn seine Konkurrenten und Kollegen von diesen Hintergrundinformationen profitieren und er nicht, wäre er vermutlich bald raus aus dem Geschäft. Aber sein Blick auf die Welt bleibt davon vermutlich nicht unbeeinflusst, und es wäre dann wichtig, sich als Ausgleich auch mit Nicht-Eliten zu unterhalten, um nicht alles durch die Brille von Frau Merkel und vom "Raumschiff Berlin" aus zu sehen.
In Ihrer Arbeit sprechen Sie sich für einen "Sicherheitsabstand zwischen Journalisten und Eliten" aus. Wie sollte dieser aussehen?
Uwe Krüger: Ich will nicht jeglichen Kontakt zwischen Journalisten und Eliten unterbinden, eine gewisse Nähe ist zur Informationsbeschaffung nötig. Aber ich finde, dass Journalisten keine Aufgaben in Organisationen übernehmen sollten, wenn es dort thematische oder personelle Berührungspunkte mit ihrem Berichterstattungsfeld gibt.
Es gab in meiner Untersuchung einen Außenpolitik-Ressortleiter, der im Präsidium der Deutschen Atlantischen Gesellschaft saß, einem Lobbyverein für die Nato. Und es gab Außenpolitik-Ressortleiter und einen ZDF-Hauptstadtstudioleiter, die im Beirat der Bundesakademie für Sicherheitspolitik saßen und dort die Bundesregierung in Sicherheitsfragen berieten. Wenn das nicht mehr ginge, wenn solche Ehrenämter für Journalisten zum Tabu erklärt würden, dann wäre schon viel gewonnen.
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