Ausstieg aus der Prostitution kein Grund für Hartz-IV-Sperre

Prostitution gilt nicht als "zumutbare Arbeit" im Sinne des SGB II. Symbolbild: Michi S auf Pixabay (Public Domain)

Das Berliner Sozialgericht hat klargestellt, dass der Staat von niemandem verlangen kann, "sexuelle Dienstleistungen" anzubieten, um nicht auf Lohnersatzleistungen angewiesen zu sein

Einige Feministinnen haben sich in den letzten Jahren gegen eine Normalisierung von Prostitution als "Job wie jeder andere" eingesetzt – meist verbunden mit der Forderung nach einem "Sexkaufverbot" beziehungsweise der Bestrafung von Freiern, wie sie 1999 in Schweden eingeführt wurde. Diese Forderung nach dem "nordischen Modell" für Prostitution dürfte bleiben – umstritten ist sie in der feministischen Szene Deutschlands seit Jahren.

Gegen eine Befürchtung, mit der häufig dafür argumentiert wurde, spricht nun ein wegweisendes Urteil des Berliner Sozialgerichts: Allein aus der Legalität ergibt sich demnach nicht, dass Prostitution als "zumutbare Arbeit" im Sinne des Zweiten Sozialgesetzbuchs (SGB II) gilt.

Weder dürfen Frauen, die sich bisher nicht prostituiert haben, von Jobcentern gegen ihren Willen in die Prostitution vermittelt werden – letzteres war in internen Anweisungen schon vor dem Urteil geregelt – noch darf der Ausstieg aus der Prostitution (wie die freiwillige Beendigung eines "normalen" Arbeitsverhältnisses) zu einer Sperrzeit beim Bezug von Lohnersatzleistungen führen. Auch erlischt dadurch nicht das Aufenthaltsrecht von EU-Ausländerinnen.

Die Aufgabe dieser Tätigkeit beruhe auf der Unzumutbarkeit der Prostitution an sich "und damit auf Umständen, die die Person nicht zu vertreten hat", stellte das Gericht klar.

Eine objektiv unzumutbare Arbeit, deren Ausübung der Staat von niemandem verlangen kann, wird nicht deshalb zumutbar, weil die Person die Arbeit zeitweise ertragen hat. Die Schutzpflicht des Staates für die Menschenwürde gilt objektiv und ist unabhängig von einem etwaigen Verzicht einzelner Arbeitssuchender auf die entsprechende Schutzwirkung (…).


Aus dem Urteil des Berliner Sozialgerichts vom 15. Juni 2022, Aktenzeichen S 134 AS 8396/20

Geklagt hatte eine heute 32-jährige Frau, die 2014 aus Bulgarien nach Berlin gekommen war, sich dort als selbständige Prostituierte steuerlich angemeldet und auf der Straße gearbeitet hatte. Im Juli 2019 hatte sie nach eigener Schilderung diese Lebensumstände nicht mehr ausgehalten – unter anderem, weil sie mit ihrem zweiten Kind schwanger war.

Unzumutbar unabhängig von den Umständen des Einzelfalls

Das Jobcenter hielt sie nach der Geburt des Kindes nicht für leistungsberechtigt, da sie kein anderes Aufenthaltsrecht als das zur Arbeitssuche habe – vor allem verfüge sie nicht über ein Aufenthaltsrecht als Selbständige, da sich nicht mehr arbeite, hieß es im Ablehnungsbescheid.

Während EU-Bürgerinnen direkt nach ihrer Einreise keinen Anspruch auf Grundsicherung für Arbeitssuchende ("Hartz IV") in Deutschland haben, können sie nach fünf Jahren Erwerbstätigkeit diesen Anspruch geltend machen – vorausgesetzt, die Tätigkeit wurde "freiwillig" im Sinne von "ohne Not" aufgegeben. Von Freiwilligkeit in diesem Sinn kann hier aber nach Auffassung des Gerichts keine Rede sein.

Es stellte außerdem klar, dass nicht nur die Schwangerschaft der Klägerin und die besonders harten Bedingungen des Berliner Straßenstrichs für das Urteil ausschlaggebend waren: Auch unabhängig von den konkreten Umständen der Ausübung im konkreten Einzelfall sei Prostitution nicht mit einer gewöhnlichen Erwerbstätigkeit vergleichbar, denn das "Erbringen sexueller Dienstleistungen" berühre "die Intimsphäre und damit die Menschenwürde der betroffenen Personen in besonders starker Weise".

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