Ausufernde Machtkämpfe und Schlammschlachten - Tunesien in der Sackgasse?
Seite 3: Die Affäre Karoui spaltete das Land
Nidaa Tounes‘ beispiellose Flügelkämpfe machten dabei monatelang Schlagzeilen in der lokalen Presse, werden inzwischen aber von einem anderen skandalträchtigen Machtkampf überlagert. Der schon seit Juli immer wieder aufflammende Schlagabtausch zwischen Chahed und Nabil Karoui hat sich zu einem nicht ungefährlichen Politkrimi entwickelt, in dem wahltaktisches Kalkül nicht nur den politischen Gegner, sondern auch staatliche Institutionen unterminiert. Denn die Justiz wird von zweiterem inzwischen offen beschuldigt, Chahed Wahlkampfhilfe geleistet zu haben.
Karoui, Mehrheitseigner des in Tunesien äußerst populären und seit 2018 ohne Lizenz operierenden Fernsehsenders Nessma TV, hatte sich ironischerweise ebenso wie Chahed mit Hafedh Caïd Essebsi überworfen, Nidaa Tounes daraufhin verlassen und eine eigene Partei gegründet. Der exzentrisch auftretende Politiker genießt den Ruf, sich für die Belange der Armen einzusetzen und verteilte immer wieder Lebensmittel und andere Sachleistungen in marginalisierten Regionen des Landes - öffentlichkeitswirksam festgehalten durch Kamerateams seines Senders. Ende August war er kurz nach der Eröffnung eines Lokalbüros seiner Partei Qalb Tounes (Herz Tunesiens) im Westen des Landes verhaftet worden und sitzt seither hinter Gittern - ein politisches Erdbeben kurz vor Beginn der heißen Wahlkampfphase.
Hintergrund der Ermittlungen gegen den 56jährigen und seinen Bruder Ghazi sind Recherchen der tunesischen NGO I-Watch, die offenbar mehr als nur Verdachtsmomente gegen die Brüder ans Tageslicht beförderten. Schon 2016 reichte die Organisation Klage wegen angeblicher Geldwäsche und Steuerhinterziehung gegen die Brüder ein, die sie mit einem Netz an Tarnfirmen im Ausland zu verschleiern versucht haben sollen. Passiert war nach dem Einreichen der Klageschrift lange nichts, bis im Juli 2019 ein Gericht die Konten der beiden einfror und sie mit Ausreiseverboten belegte.
Während Karouis 2007 gegründeter TV-Sender schon seit Jahren in teils unverhohlener Manier für Nidaa Tounes geworben hatte, setzt er ihn auch heute ungeschminkt für politische Zwecke ein und wurde dafür nicht nur einmal von Tunesiens Medienaufsichtsbehörde HAICA heftig kritisiert. Indes sich Ghazi Karoui Berichten des tunesischen Radiosenders Mosaique FM zufolge trotz Ausreiseverbots ins Nachbarland Algerien abgesetzt hat, erklärte der Präsident der Wahlkommission ISIE, Nabil Baffoun, Karouis Verhaftung disqualifiziere ihn keineswegs von seiner Präsidentschaftskandidatur. Er gelte so lange als unschuldig bis ein Gericht ihn rechtskräftig verurteilt hat. Das aber wird bis zum Wahltermin am 15. September nicht passieren.
Politisch motivierte Instrumentalisierung der Justiz
Qalb Tounes-Offizielle schlachten die Affäre dabei genüsslich aus. Ein Berater Karouis bezeichnete dessen Verhaftung als "Entführung", während seine Partei unverblümt Chahed und seine "Gang" beschuldigte, hinter der Verhaftung zu stecken. Chahed stritt wenig überraschend alles ab, die Vorwürfe implizieren nicht weniger als eine Justiz, die sich vom Regierungschef instrumentalisieren lässt. Entsprechend heftig waren die Reaktionen.
Während die einen Aufklärung über die Umstände der Erlassung der Haftbefehle forderten, erklärten die anderen, man solle die Justiz ihre Arbeit machen lassen. Der heterogene und im Land einflussreiche Gewerkschaftsverband UGTT entschied sich für den Mittelweg und forderte in einer Stellungnahme praktisch beides. Das Justizministerium reagierte derweil schnell und leitete eine interne Untersuchung ein - bisher jedoch ohne deren Ergebnisse bekanntzugeben.
Ob die Verhaftung Karoui tatsächlich schadet oder ihm nicht vielmehr nützt, wird sich am Wahltag zeigen. Klar ist; Sie ist Wasser auf den Mühlen seiner Wahlkampagne, inszeniert sich Karoui doch als nicht zum Establishment gehörender Politiker und spätestens seit dem Einfrieren seiner Konten als Opfer einer politisch motivierten Kampagne seitens des amtierenden Regierungschefs, der allerdings einiges daran zu setzen scheint, Karouis Präsidentschaftskandidatur Steine in den Weg zu legen.
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