Ausweitung der Kampfzone
Warum trotz flacher Hierarchien lokal agierende Dschihadisten eine globale Strategie verfolgen
Vielleicht ist es hilfreich ,ganz am Anfang zu beginnen, um -London" zu interpretieren. Der Anfang sind die frühen 1980er Jahre. Nach der Invasion der Sowjetunion in Afghanistan begann die größte verdeckte militärische Geheimoperation der Geschichte. Mit Hilfe der CIA, der Saudis und der Pakistanis wurden junge Afghanen in Koranschulen fanatisiert und dann für den Kampf gegen die Sowjetunion ausgebildet. Das Resultat war die Niederlage und die Demütigung einer Supermacht. Sowie "arbeitslose" Dschihaddisten.
Der Kampf dauerte zehn Jahre. Wer in solchen Dimensionen denkt, für den war 9/11 erst der Beginn einer strategisch geplanten Kampagne zur Vertreibung der USA von der arabischen Halbinsel, eine Forderung, die von Bin Laden schon 1990 zu vernehmen war. 1996 schließlich ließ er mit einer Stellungnahme aufhorchen, in der prognostiziert wurde, die USA würden Irak früher oder später angreifen. Was dann ja auch der Fall war, mit frei erfundenen Behauptungen über nicht existente Massenvernichtungswaffen, manipulierten Geheimdienstberichten und nicht existente Beziehungen zwischen Al-Qaida und Irak. Die Entscheidung zum Angriff fiel schon ein Jahr zuvor, alles andere, die Inspektionen, die Ultimaten, es war alles Theater.
Der US-Politikwissenschafter Robert Pape hat in seinem jüngsten Buch Dying to Win: The Strategic Logic of Suicide Terrorism durch eine Auswertung nahezu aller Daten von Selbstmordanschlägen seit 1980 schlüssig gezeigt, dass eine sehr hohe Korrelation zwischen der Nationalität der Attentäter und der Stationierung von US-Truppen in ihrem Land besteht. Die überwiegende Anzahl von Selbstmordattentätern (außerhalb des Irak) seit 2002 ist saudischer Nationalität (so auch bei 9/11) oder die Täter stammen sonst von der arabischen Halbinsel. Oder sie kamen von einem der USA nahestehenden Regime wie der Türkei, Ägypten, Pakistan, Indonesien oder Marokko und eben nicht von jenen angeblichen staatlichen Terrorförderern, wie vom Weißen Haus immer behauptet wird: Iran, Libyen oder Sudan.
Seit dem Beginn des Irak-Krieges 2003 haben sich die Terroranschläge weltweit mindestens verdoppelt, was auch noch aus zwei anderen Statistiken zu entnehmen ist. Die Rand Corporation zählt zwischen März 2004 und März 2005 5.362 Tote durch Terroranschläge weltweit. Das US-Außenministerium veröffentlichte eine Statistik, die ebenfalls eine starke Zunahme des globalen Terrorismus konstatierte (Der Irak-Krieg hat den Terrorismus gestärkt).
Der -globale Krieg gegen den Terror" der USA ist somit gescheitert. Lokal agierende und global denkende Dschihaddisten-Gruppen können sich im Westen überall selbständig entwickeln, wo es ein Umfeld gibt, in dem sie sich bewegen können. Das wird die terroristische Graswurzelbewegung der Zukunft sein.
Die täglichen Selbstmordanschläge im Irak zeigen, dass es keine Rekrutierungsprobleme gibt und der globale Dschihad ist somit zum Selbstläufer geworden. Madrid und London waren vermutlich erst der Anfang von großen Anschlägen in Europa. Über die vereitelten wissen wir zu wenig. Robert Pape zitiert übrigens ein vom norwegischen Geheimdienst sichergestelltes Al-Qaida Planungspapier vom November 2003, in dem genau jene Strategie diskutiert wurde, die jetzt verfolgt wird. Drei Anschläge in Spanien würden über öffentlichen Druck oder einen Wahlsieg der Sozialisten zu einem Truppenabzug Spaniens aus dem Irak führen. Das ist eingetreten. Aus diesem Kalkül heraus sind die verbliebenen Alliierten der USA in Europa oder Australien möglicherweise die nächsten Ziele. Michael Scheuer, vormals Leiter der CIA Abteilung für Al-Qaida und Autor von Imperial Hubris: Why the West is Losing the War on Terror hat all dies kommen sehen und deshalb letztes Jahr seinen Job bei der CIA an den Nagel gehängt aus Verzweiflung über die Uneinsichtigkeit der Bush-Regierung.
Der Irakkrieg selbst ist mit der jetzigen Strategie und Taktik der USA nicht mehr zu -gewinnen". Zu wenig militärische Sicherung, die Aufstände im sunnitischen Dreieck haben eher zugenommen. Die Grenzen sind sperrangelweit offen. Es ist ein Patt im Kräfteverhältnis eingetreten. Allerdings konnte die sunnitische Guerrilla ihre Ziele genauso wenig erreichen, nämlich den Demokratisierungsprozess und das schleppende Nation- und Regime-Building zu stoppen und zu einem umfassenderen Aufstand zu führen. Bei der großen Mehrheit der irakischen Bevölkerung ist dieser Aufstand verhasst. Gerade deshalb könnte die zahlenmäßig kleine Gruppe der Dschihaddisten auch hier einen entscheidenden Ausschlag geben mit spektakulären Terroranschlägen gegen US-Ziele im Irak selbst.
Der -globale Kampf gegen den Terror" der US-Regierung hat sich somit fast vier Jahre nach 9/11 auch als globaler Brandbeschleuniger erwiesen. Ein Kampf, der militärisch nicht zu gewinnen ist. Hamid Karsai ist Bürgermeister von Kabul, aber nicht viel mehr. Die NATO sichert die Verkehrswege in Afghanistan, wodurch der Transport von Opium und Heroin nach Europa, deren Produktion wieder stark zugenommen hat, besser funktioniert.
Pakistan ist ein failing state mit Nuklearwaffen und Ruhe- und Rückzugsraum von Dschihaddisten. Saudi-Arabien ist ein riesiges Problem, da seine radikale Islamauslegung äußert fundamentalistisch ist und Hassprediger toleriert bis fördert. Die Anzahl der failing states nimmt weltweit zu.
Und Iran? Es ist nicht auszuschließen, dass die US-Regierung gegen Iran die nächste -Front" im -globalen Kampf gegen den Terror" wegen dessen Atomprogramm eröffnet. Die Pläne liegen schon in der Schublade (Das letzte Hurra...). Nein, keine Bodenoffensive, das traut sich selbst Bush nicht, obwohl es dafür auch schon Pläne gibt: OPLAN 1002-04 zur -Sicherung" der iranischen Erdölfelder (sic). Aber Enthauptungsschläge gegen die Eliten und die vermuteten und behaupteten Nuklearanlagen. So eine Woche wieder -richtigen" CNN-Luftkrieg. In der Hoffnung auf einen Regime-Wechsel in Iran.
Undenkbar ist das aus Sicht der Necons nicht. Schließlich ist das schon einmal gelungen. Die Operation Ajax der CIA unter der Eisenhower-Regierung 1953 war die erste ihrer Art, die ein Regime stürzte und ein anderes wohlgesonnenes installierte (den Schah). Worum ging es damals? Um das iranische Ölgeschäft.
Es gibt zwar noch ein paar "kleine" PR-Probleme auf dem Weg dorthin. Aber damit hat man ja Erfahrung. Allerdings sollte klar sein, dass sich dann auch erstmals Iraner in die -djihadistische Internationale" einreihen werden.
Dr. Georg Schöfbänker betreibt das Österreichische Informationsbüros für Sicherheitspolitik und Rüstungskontrolle in Linz / Österreich