Der Irak-Krieg hat den Terrorismus gestärkt

Mehrere Berichte machen erneut deutlich, dass der Krieg gegen den Irak und die Besetzung des Landes den islamistischen Terror gefördert haben und auch hinter den Anschlägen von Madrid und London stehen

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Es hat nicht lange gedauert, bis nicht nur einzelne Stimmen einen Zusammenhang zwischen der britischen Beteiligung am Irak-Krieg und den Anschlägen in London hervorheben. Die britische Regierung versucht wenig glaubhaft, eine solche, eigentlich für jeden auf der Hand liegende Verbindung aus verständlichen Gründen abzustreiten. Gleichzeitig intensivieren sich die Anschläge im Irak, was es auch immer schwerer macht, die Intervention als Erfolg zu verkaufen.

Im Fall der Londoner Attentäter scheint sich nun wieder einmal ein neuer Verdacht herauszukristallisieren. War man bislang davon ausgegangen, dass die Täter weitgehend unbeschriebene Blätter waren, und hat deswegen einen "Mastermind" außerhalb der Gruppe gesucht ("Evil Ideology"), so geht die Polizei nun davon aus, dass der 30-jährige Mohammed Sidique Khan, der mit der Edgware Road-Bombe umgekommen sein soll, direkten Kontakt mit islamistischen Extremisten gehabt haben soll.

Khan habe mehrmals Religionsschulen in Pakistan besucht, sei zu der Zeit in Israel gewesen, als zwei britische Muslims einen Selbstmordanschlag auf die Mike's Place in Tel Aviv ausgeführt hatten, und war schon einmal in einer Terroruntersuchung aufgefallen, wurde aber damals als unbedeutend eingeschätzt. Er habe Kreditkartenbetrügereien vorgenommen, um seine Tätigkeiten zu finanzieren, und habe sich als verheirateter Lehrer getarnt, der seine Position ausnutzte, um Mitkämpfer zu rekrutieren. Ob dies alles stimmt und Khan – und nicht mehr der bislang angeführte mysteriöse pakistanische Brite, der kurz vor dem Anschlag wieder untergetaucht ist – tatsächlich die zentrale Figur und der Verführer ist, wird sich erst herausstellen. Seine Familie sagt, er müsse einer Gehirnwäsche unterzogen worden sein.

Das Royal Institute of International Affairs und das Economic and Social Research Council haben nun in einem Bericht darauf hingewiesen, dass die Terrorgefahr in Großbritannien durch die Beteiligung am Irak-Krieg größer geworden ist. Allgemein wird den westlichen Regierungen und vor allem ihren Geheimdiensten bescheinigt, vor dem 11.9. die von al-Qaida ausgehende Gefahr nicht erkannt zu haben. Das "Netzwerk aus Netzwerken", das in über 60 Ländern präsent sei, stellt für die USA und ihre Alliierten nach Ansicht des Berichts die größte Gefahr dar, die jemals von einem nichtstaatlichen Akteur ausgegangen ist.

Großbritannien sei in besonderer Gefahr, weil es der engste Alliierte der USA ist, es Truppen für den Krieg in Afghanistan und im Irak zur Verfügung gestellt hat und an führender Stelle gegen den Terrorismus kämpft. Der Bericht gibt der britischen Regierung recht, nicht nur gegen al-Qaida in Afghanistan vorgegangen zu sein und dort versucht zu haben, eine demokratische Regierung zu installieren, sondern auch zusammen mit der US-Regierung den Antiterrorkampf gegen Staaten auszuweiten, die Terrorismus unterstützen, und die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen zu verhindern. Es habe gute anfängliche Erfolge gegeben, auch was neue Gesetze und die Terrorabwehr im eigenen Land betrifft. Aber ein Hauptproblem sei, dass Großbritannien die Antiterrorpolitik nicht als ebenbürtiger Partner mit den USA, sondern als "Beifahrer" mitgemacht habe.

Ohne Zweifel hat die Situation im Irak besondere Schwierigkeiten für Großbritannien und für die Koalition gegen den Terrorismus mit sich gebracht. Sie hat der Propaganda, der Rekrutierung und der Geldbeschaffung des al-Qaida-Netzwerks gestärkt, einen großen Bruch in der Koalition erzeugt, ein ideales Kampf- und Trainingsgebiet für al-Qaida-Terroristen hergestellt und Ressourcen und Hilfe abgezogen, die zur Unterstützung der Karsai-Regierung und der Strafverfolgung von Bin Laden hätten eingesetzt werden können. Als Beifahrer mit einem mächtigen Alliierten zu fahren, hat sich im Hinblick auf getötete britische und amerikanische Soldaten, irakische Todesopfer, Militärausgaben und auf den Schaden, der für die Antiterror-Kampagne entstanden ist, als teuer erwiesen.

Das ist schon eine ziemliche massive Kritik an der britischen Regierung und ihrer Dackelrolle gegenüber der US-Regierung. Dass die Situation im Irak den Terrorismus angeheizt und ihm eine neue Legitimationsbasis gegeben hat, bestätigen auch andere Berichte. Schon Anfang des Jahres hatte die CIA gewarnt, dass der Irak zum Rekrutierungsplatz für "urbane Terroristen") werde. Das Center for Strategic and International Studies wird demnächst einen Bericht von Nawaf Obaid veröffentlichen. Nach Befragung von 300 saudischen Männern, die heimlich in den Irak zum Kämpfen wollten und abgefangen wurden, und Fallstudien über mehr als 30 Selbstmordattentäter sind die meisten dieser Menschen erst durch Irak-Krieg zu einem Dschihad-Kämpfer geworden. Die Mehrzahl der "ausländischen Kämpfer" im Irak kommt aus Saudi-Arabien und scheint über Syrien in den Irak eingeschleust zu werden.

Die größte Gruppe besteht aus jungen Männern, die die Bilder (vom Krieg) im Fernsehen sahen und Informationen im Internet lasen. Oder sie haben den Namen eines Cousins auf der Liste gesehen oder einen Mann, der zu ihrem Stamm gehört, und empfanden die Verantwortung, losziehen zu müssen.

Nawaf Obaid

In einem Artikel "From Madrid to London: Al-Qaeda Exports the War in Iraq to Europe" hatte Reuven Paz, Leiter des Project for the Research of Radical Islamism beim Global Research in International Affairs, die Anschläge von Madrid und London bereits als "Export aus dem Irak" bezeichnet. In einer Studie von ihm wurden 154 "fremde Kämpfer" im Irak unter die Lupe genommen. Von diesen kamen 60 Prozent aus dem Irak, 25 Prozent aus Kuwait und Syrien. Insgesamt würden nur 10 Prozent der Selbstmordattentäter aus dem Irak stammen. Manche der Anschläge mit Autos oder LKWs seien aus der Ferne gezündet worden und wären daher keine "echten" Selbstmordanschläge.

Trotz der Anwesenheit einiger al-Qaida-Mitglieder habe, so Paz, "die überwiegende Mehrzahl der (nicht-irakischen) Araber, die im Irak getötet wurden, vor ihrer Ankunft im Irak niemals an einer terroristischen Aktivität teilgenommen". Einige wenige seien aber bereits in die Kämpfe an den zuvor bestehenden Konfliktregionen in Afghanistan, Tschetschenien oder Bosnien beteiligt gewesen.

Die überwiegende Mehrzahl der Kämpfer hatte mit al-Qaida vor dem 11.9. nichts zu tun und haben auch jetzt nichts mit al-Qaida zu tun. Ich bin mir nicht sicher, ob sich die amerikanische Öffentlichkeit des gewaltigen Einflusses des Kriegs im Irak nicht nur auf die Islamisten, sondern auf die gesamte arabische Welt bewusst ist.

Reuven Paz

Der Krieg gegen den Irak werde von vielen als Angriff auf den Islam und die arabische Kultur erlebt. So hätten zwar viele muslimische Geistliche die Anschläge vom 11.9. verurteilt, was den Kampf im Irak betrifft, habe es aber viele Fatwas gegeben, die dies gerechtfertigt halten, weil es hier um Verteidigung ginge. Dabei geht es allerdings nicht nur um den Kampf gegen die westlichen Besatzer, die meisten der Selbstmordattentäter sind Sunniten. Viele der Anschläge richten sich gegen Schiiten, die nach dem Sturz Husseins politische Macht erlangt haben, was sich auch daran zeigt, dass die irakische Regierung enge Verbindungen mit Iran aufnehmen wird. Auch Polizisten und Soldaten sind vielfach Schiiten, die tweilweise mit großer Härte gegen die sunnitischen Aufständischen vorgehen. Willkürliche Verhaftungen und Folter scheinen nichts Ungewöhnliches zu sein.

Die Situation ist allerdings alles andere als einfach. So ist auch für den Schiitenführer Muktada al-Sadr, der schon schon mehrmals Gefechte mit den Amerikanern geliefert hat, der Widerstand gerechtfertigt. Selbst US-Präsident Bush würde dem zustimmen müssen, sagte al-Sadr der BBC, dass der Kampf gegen die Besetzer rechtens ist. Sadr machte die Präsenz ausländischer Truppen für die Unruhe im Land verantwortlich, aber er ruft die Bevölkerung und die Sicherheitskräfte zur Mäßigung auf. Sie sollen sich nicht von den Plänen der Besatzer provozieren lassen. Sadr, der vor allem von den ärmeren Schiiten anerkannt wird, will sich nicht am Aufbau der Demokratie beteiligen, aber auch niemand daran hindern, dies zu tun.