Irak wurde zum Rekrutierungsplatz für "urbane Terroristen"

Die amerikanischen Geheimdienstchefs warnen vor weiteren Anschlägen auf die USA, ohne dafür konkrete Hinweise zu haben

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Aufgabe von Sicherheitsbehörden ist nicht primär, die Situation wahrheitsgemäß zu berichten, sondern allein schon aus Selbsterhaltungsgründen oder aber aus vorauseilender Vorwegnahme auch noch so potenzieller Risiken die Gefährdungslage hochzureden und damit verschärfte Sicherheitsmaßnahmen einzuführen. Das lässt sich in Deutschland und anderswo beobachten, natürlich auch in den USA, wo die Regierung ihre Legitimation vor allem vom Terrorismus und von der Angst vor Angriffen ableitet. Die virtuellen Gefahren für die USA wurden nun vor einem Ausschuss von den Chefs der CIA, des FBI und anderen Geheimdiensten kräftig ausgemalt, schließlich geht es auch um Geld für die Behörden, die nach dem 11.9. unter erheblichen Druck geraten sind.

Unverändert bleibt die vom Heimatschutzministerium ausgegebene Gefährdungslage auf "Code Yellow" oder "erhöht"

Mit Angst ließ sich schon immer gut Politik machen. Und je mehr die Vertreter der Sicherheit den öffentlichen Diskurs beherrschen können, desto mehr Angst muss geschürt werden. Nun ist zwar nicht unbedingt wegen der massiven Sicherheitsmaßnahmen nach dem 11.9. in den USA kein Anschlag mehr geschehen, dafür ist durch die US-Politik die Zahl der Anschläge anderswo - vor allem natürlich im Irak - drastisch in die Höhe gegangen.

Denkbar ist vieles, möglich ist fast alles. Die Aufgabe von Geheimdiensten und Sicherheitsbehören sollte eigentlich sein, Gefährdungen realistisch und aufgrund von verlässlichen Informationen einzuschätzen. Aber unter der Bush-Regierung könnte dies der Karriere nicht förderlich sein, weswegen das Mögliche vor dem Wahrscheinlichen bevorzugt wird. In einer Anhörung vor dem Geheimdienstausschuss des Senats machten die Chefs der Geheimdienste und Sicherheitsbehörden ihrer Profession alle Ehre und schilderten, dass die USA durch ein breit gefächertes Bedrohungspotenzial angefangen von Konflikten in Lateinamerika und Afrika, der Aufrüstung in China und Russland über nordkoreanische und iranische Raketen und Atombomben bis hin zu Schläferzellen in den USA und der Möglichkeit von Terroranschlägen mit chemischen, biologischen und nuklearen Waffen gefährdet seien.

Hohe Wahrscheinlichkeit für Anschläge auf die USA

Allerdings wies der neue CIA-Chef Porter Goss auch auf eine für die Bush-Regierung unangenehme Erkenntnis hin, nämlich dass die Invasion und militärische Besetzung den Irak zu einem Ausbildungs-, Übungs- und Rekrutierungsfeld für international agierende Terroristen gemacht haben. Der Irak-Konflikt werde von Dschihad-Kämpfern ausgebeutet, um neue Mitstreiter zu gewinnen, die dann den Irak als Experten für den "urbanen Terrorismus" verlassen und transnationale Netzwerke aufbauen würden. Der noch immer im Irak herrschende Mangel an Sicherheit und die geringe Wahlbeteiligung der Sunniten würden deutlich machen, dass der Aufstand seine Ziele teilweise erreicht habe und weiterhin eine ernste Bedrohung darstelle.

Ansonsten betonte Goss noch einmal die Gefahr durch al-Qaida oder andere islamistische Terrororganisationen, die nach Möglichkeiten suchen würden, die eingerichteten Sicherheitsmaßnahmen in den USA zu umgehen. Man müsse mit Anschlägen in den USA rechnen, die auch mit biologischen, chemischen oder nuklearen Waffen ausgeführt werden könnten.

FBI-Director Robert Mueller holte erneut die angebliche Bedrohung von Finanzzentren hervor, die letztes Jahr kurzzeitig zur Erhöhung der Warnstufe in einigen Städten geführt hatte. So wurde gesagt, dass Terroristen zur Zeit der Präsidentschaftswahlen etwas planen würden (Code orange für New York, Washington und Newark). Allerdings stellte sich heraus, dass es sich um alte Informationen und nur mit sehr gutem Willen um eine "abstrakte Bedrohung" handelte ("We are a nation at danger"; Durchsichtiges Spiel mit den Terrorwarnungen). Für Mueller ist es jedoch ein Beispiel für die bessere Informationsbeschaffung. Und er schilderte, dass das FBI mit Tausenden von Mitarbeitern die größte Operation seit dem 11.9. ausgeführt habe, um die Gefahr abzuwehren. Trotz aller Erfolge verfolge al-Qaida aber weiterhin die Absicht, die USA anzugreifen, wobei die Terrorgruppe ihre Strategien und Mittel den neuen Bedingungen anpasse und womöglich auch Massenvernichtungswaffen verwenden könne.

Im Prinzip sei die gesamte Infrastruktur von Brücken und Häfen über Finanzzentren und Flugplätzen bis hin zu Atomkraftwerken und Massenverkehrsmitteln gefährdet. Große Gefahr gehe von möglichen Schläfern aus, die sich in den USA befinden und Anschlagspläne ausbrüten könnten. Mindestens ebenso gefährlich sei, dass al-Qaida amerikanische Bürger etwa in Gefängnissen, aber auch in schwer zu überwachenden Schulen oder Universitäten anwerben könne. Allerdings weist Mueller auch auf die Bedrohung durch radikale Tierschützer, Abtreibungsgegner, Separatisten und Rassisten hin.

Auch die "Cyberbedrohungen", die von anderen Staaten oder von Terroristen bzw. Hackern ohne staatlichen Auftrag ausgehen, seien für die USA "ernst" und ein wachsendes Problem. Einzelne Hacker könnten zwar keinen großen Schaden mit ihren Mitteln anrichten, seien aber ärgerlich. Neben den möglichen Angriffen von anderen Staaten würden vor allem für Geld arbeitende Hacker eine wachsende Bedrohung darstellen, wenn sie für Terror- oder Verbrecherorganisationen, aber auch für andere Staaten arbeiten.

Iran ist derzeit offenbar die Hauptgefahr

Auch Admiral James Loy, stellvertretender Heimatschutzminister, sieht in al-Qaida und anderen islamistischen Terrorgruppen die größte Anschlagsgefahr für die USA. Aber auch Loy kann dafür keine konkreten Hinweise geben. Die Wahrscheinlichkeit eines Angriffs müsse als hoch eingestuft werden, versicherte er dem Ausschuss. Mit dem Einsatz von Massenvernichtungswaffen müsse man rechnen. Die Sicherheits- und Kontrollmaßnahmen an den Grenzen hätten sich zwar verbessert, müssten aber weiterhin ausgebaut werden. Bedrohung gehe nicht nur weiterhin von der Verwendung entführter Flugzeuge aus, sondern auch vom möglichen Einsatz von Drohnen oder anderen ferngesteuerten Fahrzeugen. Man wisse allerdings nicht, ob Terroristen bereits über solche Möglichkeiten verfügen.

Vizeadmiral Lowell Jacoby, Leiter der Defense Intelligence Agency, schließt sich der Aussage der anderen an, dass die USA vor allem durch islamistische Terrorgruppen gefährdet seien. Im Irak habe sich der Widerstand verstärkt. Gab es vor einem Jahr noch 25 Anschläge am Tag, so seien es jetzt 60, wobei die Täter immer raffinierter vorgehen. Die größte Gefahr gehe von den Sunniten aus, Grund zur Besorgnis seien aber auch schiitische Militante. Afghanistan sei hingegen ruhiger, der Widerstand geringer geworden. Ganz allgemein habe die US-Politik den Anti-Amerikanismus von Muslimen verstärkt.

Jacoby wies besonders auf die Gefahr durch den Iran hin. Das Land strebe in der Region die Dominanz an und bemühe sich mit großem Aufwand um die Entwicklung von Atomwaffen und Langstreckenraketen. Iran unterstütze den Terrorismus, helfe den Aufständischen im Irak und wolle Massenvernichtungswaffen erwerben. Die Regierung sei aber entgegen den amerikanischen Hoffnungen stabil, vermutlich werde sie noch konservativer werden, die Reformer hätten an Schwung und Einfluss verloren. Auch Syrien und Nordkorea gelten als Risikoländer, der Iran aber scheint derzeit besonders im Visier zu stehen.