Durchsichtiges Spiel mit den Terrorwarnungen
Vermutlich um die heimische Pharma-Industrie zu schützen, verbreitet der Chef der U.S. Food and Drug Administration Angst vor Terrorangriffen auf importierte Medikamente
In den USA gelangen vor allem über das Internet immer mehr verschreibungspflichtige, aber auch verbotene bzw. nicht zugelassene oder Medikamente aus dem Ausland über die Grenze. Des öfteren enthalten angeblich, wie John M. Taylor von der U.S. Food and Drug Administration (FDA) vor einem Kongressausschuss warnte, aus dem Ausland eingeführte verschreibungspflichtige Medikamente im Unterschied zu den im Land käuflichen ungeprüfte und auch gefährliche Bestandteile. Besonders würden die Online-Bestellungen über kanadische Websites zunehmen, da die Menschen hier irrigerweise glauben, sie würden nach US-Kriterien sichere Medikamente erhalten. Lester Crawford, der Leiter des FDA, verband dieses Problem nun auch mit einer Warnung vor dem Terrorismus.
Gleich, ob Lester Crawford die Menschen abschrecken will, sich aus dem Ausland (billigere) Medikamente zu besorgen, oder ob er eine theoretische Möglichkeit ausnutzt, um eine diffuse Angst zu schüren, so scheint die formulierte Warnung sehr an den Haaren herbeigezogen zu sein.
Auch Crawford bezieht sich auf die mittlerweile bekannten "Hinweise" aus abgehörten Gesprächen oder anderer Kommunikation (chatter) aus der ganzen Welt. Terroristen könnten danach versuchen, die Lebensmittel- und Medikamentenversorgung der US-Bürger anzugreifen. Vornehmlich könnten sie dazu den Weg über illegal importierte rezeptpflichtige Medikamente benutzen. Das sei seine größte Sorge im Hinblick auf die Zunahme des Imports von Medikamenten aus Kanada, um Geld zu sparen. Terroranschläge durch Manipulation von Medikamenten sei, so Crawford, "eine Quelle kontinuierlicher Sorge". Crawford sagt, er sei über die al-Qaida-Pläne informiert worden, die durch die kürzlich erfolgten Festnahmen bekannt wurden. Näheres wollte oder konnte er aber nicht verraten.
Der Sprecher des Heimatschutzministerium, Brian Roehrkasse, will den FDA-Chef zwar nicht widersprechen, aber macht doch auch alles andere als eine Bestätigung der Behauptung: "Obwohl wird davon ausgehen müssen, dass eine solche Bedrohung allgemein existiert, haben wir derzeit keine spezifischen Informationen über irgendeine Bedrohung der Lebensmittel- oder Medikamentenversorgung durch al-Qaida." Das hieße eigentlich, dass solche Pläne zwar prinzipiell möglich sind, aber man nichts von solchen gehört hat, wie dies Crawford behauptet.
Allerdings ist man im Heimatschutzministerium wohl auch deswegen vorsichtig geworden, weil die vor zwei Wochen mit natürlich großem Echo verkündete Warnung vor möglichen al-Qaida-Angriffen auf Finanzzentren und die Heraufsetzung der Warnstufe in New York, Washington und Newark mittlerweile vom Weißen Haus indirekt von einem Sprecher wieder zurückgenommen werden mussten und sich so als peinlicher Falschalarm oder politische Instrumentalisierung erwiesen haben. Die damals erwähnten Kommunikationen (chatter) wurden zunächst als bislang einmalig konkret bezeichnet, kurz darauf stellte sich heraus, dass es sich fast nur um Dokumente handelte, die aus der Zeit vor dem 11.9. 2001 stammten.
Wie immer aber wird vom Weißen Haus nicht eine Falschmeldung offiziell korrigiert, man sitzt sie aus und lässt einen "official", der anonym bleibt, den Medien übermitteln, dass nichts in den entdeckten Dokumenten auf einen drohenden Anschlag hinweist. Allerdings beharrte er darauf, dass vor den Wahlen, im August oder September, eine Gefahr bestünde. Warum dann gleichwohl die Warnstufe nicht wieder für die Städte zurückgenommen wird, bleibt ein Geheimnis. Ein anderer "official" sagte dazu, dass das Weiße Haus die Warnung auch dann bekannt gegeben hätte, wenn keine unmittelbare Bedrohung bestand. Und Frances Fragos Townsend, der Berater für Heimatschutz des Weißen Hauses, versucht die kaum falsifizierbare Behauptung plausibel zu machen, dass die Warnung Anschlagspläne verhindert habe.
There is one inescapable conclusion from recent press coverage of the steady streams of threat information emanating from Washington and London and Pakistan. National newspapers, however unwittingly, have been drawn into "flooding the zone" with stories that move to the forefront of public consciousness the issue that the White House would like to have at the top of the agenda in this election season: domestic security and threats to the homeland.
On any given day, it is clear that presidential staff, the Secretary of Homeland Security, or an anonymous intelligence official, can crank up the cycle again by feeding the frenzy. ... This sort of "warnings roulette" will play out over and over again, whenever the executive branch wants to inform us, and to scare us, with the White House calling balls and strikes in a one-sided game. It is so subtle, yet so obvious.
William E. Jackson: The Al Qaeda Express, in Editor&Publisher
Der FDA-Chef, der bei diesem Spiel nicht ausgeschlossen werden will, verweist, um seine Warnung zu stützen, auf den weit zurückliegenden Tylenol-Fall. 1982 wurden Packungen dieses Schmerzmittels in Chicago aus manchen Apotheken entwendet, mit Zyanid gefüllt und wieder zurück in die Regale gestellt. Sieben Menschen starben damals. "Ich glaube, das ist etwas, das sie sich anschauen", so Crawford. "Nichts dergleichen ist geschehen. Aber das ist eine Quelle kontinuierlicher Sorge."
Nach dieser Position müssten Behörden auch schon Warnungen veröffentlichen, wenn sie einmal wieder über eine denkbare Möglichkeit von Anschlagszielen gestolpert sind. Wenn allerdings keinerlei begründeter Hinweis darauf besteht, dass Terroristen tatsächlich derartiges planen, ist das schlicht eine unverantwortliche Panikmache für den Chef einer so wichtigen Behörde wie die FDA, bei der es entscheidend auch um das Vertrauen der Bürger geht.
Allerdings wird vermutet, dass die Terrorwarnung auch ein politisches Instrument sein könnte, um die heimische Pharma-Industrie zu schützen und die unter Druck befindliche Position der FDA gegenüber dem Import von Medikamenten zu stärken. So will beispielsweise der Bundesstaat Vermont gegen die FDA eine Klage einreichen, um die legalen Möglichkeiten zu vergrößern, Medikamente aus Kanada einzuführen und so Millionen von Dollar einzusparen. So wirft Rod Blagojevich, der Gouverneur von Illinois, Crawford vor, er habe mit seinen "angeblichen Gefahren" wieder einmal gezeigt, dass er mehr interessiert an "Angsttaktiken" sei als daran, dass Amerikaner, die wenig Geld haben, sichere verschreibungspflichtige Medikamente für einen für sie erschwinglichen Preis erhalten. Auch der Gouverneur von Vermont, Jim Douglas, kritisiert Crawford und warnt davor, dass man sich von den Terroristen nicht paralysieren lassen dürfe. Der Vermonter Generalstaatsanwalt Wallace Malley erklärte, dass das Problem mit den Medikamentes nichts mit Terrorismus zu tun und Crawford dies auch durch nichts belegt habe.
Und auch hier lässt sich die mittlerweile geübte Maschinerie beobachten, wie mit unüberprüfbaren, aber politisch instrumentalisierbaren Informationen gearbeitet wird, um Medien und Öffentlichkeit zu beeinflussen. Wichtig ist primär, die Aufmerksamkeit praktisch automatisch anziehende Meldung einer möglichen Terrorbedrohung zirkulieren zu lassen, ob dies stimmt oder nicht, ist sekundär. Wie gut das funktioniert, hatte sich auch in Deutschland vor dem Irak-Krieg sehen lassen, als manche Politiker und Medien eine angebliche Pockengefahr hochspielten (Die Pocken am Frühstückstisch).
Einen Tag nach der Terrorwarnung ihres Chefs erklärte die für Antiterrorismus zuständige FDA-Kommissarin, sie glaube nicht, dass Crawford spezifische Informationen über eine Bedrohung habe, Und zwischen FDA und dem Heimatschutzministerium gäbe es auch keine Widersprüche: "Wir hatten schon immer die Sorge, dass die Produkte, die wir kontrollieren, mögliche Angriffsziele sein können, und wir haben uns darum bemüht, dass sie sicher bleiben. Man hat immer gedacht, es gäbe eine Möglichkeit, dass diese Produkte gefährdet sein können."