"We are a nation at danger"
Die von der US-.Regierung verkündeten Terrordrohungen, die zu massiven Sicherheitsvorkehrungen und vor allem Schlagzeilen führten, sind mindestens drei Jahre alt - und wahrscheinlich bestenfalls eine "abstrakte" Bedrohung
Noch gestern hieß es, dass die gefundenen Informationen über Anschlagsziele in den USA zwar vorwiegend aus der Zeit vor dem 11.9. stammen, aber erst in letzter Zeit aktualisiert worden wären (Code orange für New York, Washington und Newark). Sie sollen von dem heimlich in Pakistan festgenommenen 25-jährigen Mohammed Naeem Noor Khan stammen, der als eine Art Kommunikationsexperte und Angehöriger der "neuen al-Qaida" beschrieben wurde. Ausgekundschaftet wurden als mögliche Anschlagsziele Gebäude von Finanzinstitutionen in New York, Washington und New Jersey. Vor allem Gebäude in New York seien erkundet worden, aber auch das Bank of America Center in San Francisco.
Unklar war schon zu Beginn, ob die Festnahme von Khan mit der von Ghailani zusammen hing, die pünktlich zum Parteitag der Demokraten bekannt gegeben wurde. Eine Hintertür hatte man jedoch von vorneherein eingebaut: die neuen Informationen würden Erkenntnisse verdichten, die man aus anderen Quellen erfahren habe. So eben würde sich "Punkt für Punkt" ein akutes Bedrohungsszenario ergeben, was dann auch von Heimatschutzminister Tom Ridge umgesetzt wurde und in Washington, New York und Newark zur Erhöhung der Warnstufe auf "hoch" (orange) führte.
In Washington und New York wurden aufgrund der "ungewöhnlich konkreten" Warnungen die Gebäude der fünf Finanzinstitutionen mit Barrikaden umgeben, von Sprengstoffhunden kontrolliert und mit schwer bewaffneten Sicherheitskräften geschützt. Straßen und Tunnels wurden gesperrt, kontrollieren SWAT-Einheiten die U-Bahnen oder werden vor allem Lastwagen kontrolliert. Die Bevölkerung wurde zur Wachsamkeit aufgerufen und soll Verdächtiges melden. Rund um das Kongressgebäude werden bis zu den Wahlen 300 Polizisten rund um die Uhr in 12-Stunden-Schichten Straßensperren besetzen und jedes Fahrzeug kontrollieren. Auch in Maryland und Virginia wurden, obwohl überhaupt nicht betroffen, die Sicherheitsvorkehrungen heraufgesetzt. Ein FBI-Mitarbeiter soll gesagt haben, dass aufgrund der Warnungen jeder Anschlagsplan für die nächste Zeit vereitelt worden sei. Aber al-Qaida sei bekannt für geduldige Planung. Die Terroristen würden also nur warten, bis die Gelegenheit wieder günstig ist. Und auch wenn es zunächst hieß, dass man keine Kenntnisse von al-Qaida-Gruppen in den USA habe, soll nun angeblich in einer großen Fahndung nach Verdächtigen und möglichen Informanten gesucht werden.
US-Präsident Bush nutzte die Gelegenheit. Die Terrorpläne zeigen, es gäbe "einen Feind, der das hasst, wofür wir stehen". Überdies würden sie deutlich machen, dass die Bedrohung durch al-Qaida weiter bestehe. Bush versichert, das sei ein "ernsthaftes Geschäft", man würde nicht lokale Behörden benachrichtigen, wenn die Gefahr nicht "wirklich" sei. Die USA seien jetzt sicherer, erklärte Bush, aber "noch nicht sicher genug". Zudem erinnere die Hochsetzung der Warnstufe daran, dass der Kampf gegen den Terrorismus für alle Behörden des Landes auch in Zukunft nicht enden werde.
I think we have an obligation to inform the people involved with protecting New York City, in this case, or parts of Jersey, or parts of D.C. about what we know. We have an obligation. When we find out something, we've got to share it. What we're talking about here is a very serious matter based upon sound intelligence. And I would hope the people affected in New York realize that by sharing intelligence we can better prepare in case something were to happen.
In other words, if we were just silent on the subject, I think -- I think people would be a lot more nervous. They would say, what is government withholding, why weren't they sharing stuff with the people responsible -- Commissioner Kelly, or Mayor Bloomberg? So our attitude is, we try to be as transparent as possible with the affected sites so that people can then take responses necessary to better protect the people.
US-Präsident Bush zur Erhöhung der Warnstufe
Eine der wenigen, die sich angesichts der Terrorwarnung trauten, ein Misstrauen gegenüber der Bush-Regierung anzumelden, die gerne mit solchen Angstbotschaften spielt, um politische Interessen zu verfolgen, war Howard Dean. Obgleich auch Parteigenossen wohl aus Angst vor der Wählergunst und im Bestreben, wie Präsidentschaftskandidat noch mehr für Sicherheit einzutreten und damit die Angst zu instrumentalisieren, Dean als Zyniker abstempelten, scheint er doch recht gehabt zu haben. Natürlich müssen Hinweise auf Anschläge ernst genommen werden, um einen zweiten 11. September zu verhindern, aber Jahre alte Informationen, die noch aus der Zeit vor den Anschlägen auf New York und Washington stammen, zu verwenden, um eine Nation in Angst zu versetzen, scheint doch eher ein politischer Schachzug zu sein.
Obgleich die Terrorwarnung einher ging mit der Behauptung, dass offenbar al-Qaida einen großen Anschlag vor den Wahlen starten wolle, ergibt sich dies anscheinend aus den gefundenen Dokumenten, Zeichnungen und Fotografien nicht. Wie die Washington Post und die New York Times berichten, haben mehrere Mitarbeiter von Behörden erklärt, dass die Informationen mindestens drei Jahre alt seien, wenn nicht älter. Es habe sich nicht Neues darunter gefunden. Nur eine Information über ein Gebäude sei im Januar 2004 aktualisiert worden, aber es sei nicht klar, ob diese Information nicht aus öffentlich zugänglichen Quellen stamme.
Der Großteil der gefundenen Informationen stamme auch nicht aus Erkundungen vor Ort, sondern aus eben solchen Quellen, beispielsweise aus dem Internet. Und offenbar gibt es keine Hinweise darauf, ob die Pläne noch weiter nach den Anschlägen vom 11.9. verfolgt wurden. Und selbst wenn al-Qaida auch Jahre nach den ersten Plänen doch noch zuschlage, bleibt die Frage, warum ohne irgendeinen Hinweis auf einen Zeitraum und bei aller notwendigen Vorsicht die Erhöhung der Warnstufe Knall auf Fall erfolgen musste. Es handelt sich um eine klassische "abstrakte" Gefährdung, mit der vernünftige Politiker, die keine Angstpolitik betreiben, normalerweise anders umgehen.
Ob das Aufbauschen der Terrorwarnung nun von der Regierung kam, die schnell angeblich neue Bedrohungen für sich nutzen wollte, oder ob die Geheimdienste übervorsichtig wurden und lieber einen falschen Alarm auslösen, als wieder zu spät zu kommen, lässt sich von außen nicht beurteilen. Vermutlich haben beide Komponenten zusammen gewirkt, zumal die Möglichkeit von neuen Anschlagsversuchen in den USA tatsächlich besteht, auch wenn sich um Afghanistan und um den Irak konzentrieren. Dass die Bush-Regierung jedoch solche "abstrakten" Bedrohungen ausbeutet, um für sich und ihre Politik zu werben, ist außer Frage. Gestern erklärte Bush noch: "We are a nation in danger." Man mache alles, um der Gefahr entgegenzutreten. Doch selbst, wenn die Bush-Regierung tatsächlich nur aus prä-emptiver Sorge um die Sicherheit die vielen Terrorwarnungen verkündet hat, die bislang meist aus kaum begründeten "chatter", wie der Independent schreibt, bestanden haben, so spielt sie doch mit der Angst, um innen- und außenpolitische Ziele zu verfolgen und die Medien zu dominieren. Das ist auch erneut erfolgreich gelungen.
Auf der anderen Seite werden neue Maßnahmen beschlossen, die angeblich eine Wiederholung des 11.9. verhindern sollen. Schnell will Bush beispielsweise den Rat der 9/11-Commission umsetzen und einen obersten Geheimdienstchef berufen, der die meist unter der Kontrolle des Pentagon stehenden Geheimdienste des Landes sowie deren Budget in Höhe von 40 Milliarden US-Dollar zu "koordinieren". Er soll auch der erste Geheimdienstberater des Präsidenten sein. Ob der neue Geheimdienstchef aber tatsächlich etwas zu sagen hat, wird von Manchen bezweifelt, zumal nicht deutlich ist, ob dieser Kontrolle über das Budget ausüben oder eben nur "koordinieren" darf. Er soll, so etwa Sicherheitsberaterin Condoleeza Rice, "starken Einfluss" auf das Budget haben. Der CIA wird sowieso bereits eine Sonderrolle zugestanden.
Vermutet wird, dass das Pentagon sich nicht ohne Widerstand die Kontrolle über seine Geheimdienste und deren Budget von 32 Milliarden Dollar entziehen lassen dürfte. US-Verteidigungsminister Rumsfeld hat schon diesbezüglich ein Loblied auf die Vielfalt gegenüber den Schwächen der Zentralisierung angestimmt. Bush blieb in seinen Ankündigungen, auch was den zeitlichen Rahmen betrifft, sehr vage und will wohl eher demonstrieren, dass er etwas macht. Welche Funktion das gleichfalls angekündigte Anti-Terrorismus-Zentrum haben wird, ist ebenfalls dunkel, da es den Aufgaben des bereits bestehenden "Terrorist Threat Integration Center" nur die hinzufügt, einen täglichen Bericht zur Terrorismusbedrohung für den Präsidenten zu erstellen. Wie allgemein üblich, wird nicht reformiert, sondern der Behördenapparat aufgebläht.