Code orange für New York, Washington und Newark

Auch bei den neuen Terrorwarnungen der Bush-Regierung ist kaum zu unterscheiden, ob es sich um eine reale Bedrohung oder wieder einmal um eine Strategie der Angstpolitik handelt

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Gestern hat der Heimatschutzminister Tom Ridge erneut eine Terrorwarnung ausgesprochen. Im Unterschied zu früheren Warnungen seien die Hinweise außerordentlich konkret. Da die Terrorwarnung einige Gebäude von Finanzinstitutionen in New York betrifft, wurde die Warnstufe nicht landesweit, sondern nur in New York von erhöht (gelb) zu hoch (orange) verändert. Wie auch schon in der Vergangenheit wird man allerdings den Eindruck nicht los, dass die von der US-Regierung verkündeten Terrorwarnungen (Osama ist wieder da!) zumindest auch einen politischen Zweck verfolgen.

Heimatschutzminister Ridge gibt die Warnung vor Terroranschlägen auf Finanzinstitutionen aus

Auffällig ist vor allem, dass die Informationen nicht nur von einem angeblichen Al-Qaida-Mitglied stammen sollen, das bereits Mitte Juli in Pakistan gefangen genommen worden sein soll, sondern auch, dass die Planungen schon längst vor dem 11.9. begonnen hätten, Anschläge auf die Gebäude des International Monetary Fund und der Weltbank in Washington, der Prudential Financial in Newark sowie der New York Stock Exchange und dem Citigroup Center in New York auszuführen. Es seien Erkundungen der Gebäude durchgeführt worden, aber ob oder warum diese Jahre alten Pläne in irgendeiner Weise aktuell sind, wird nicht gesagt. Eine zeitlicher Rahmen für die geplanten Anschläge wird nicht genannt, weswegen sich die Frage stellt, warum gerade jetzt die Warnstufe erhöht wurde. Irgendwelche verdächtige Aktivitäten in den USA habe man aber nicht entdeckt.

Ein Grund könnte sein, dass die Amerikaner immer weniger von der erhöhten Warnstufe beeindruckt sind, unter der sie bereits zwei Jahre leben mussten. Nie wurde sie reduziert, nur gelegentlich einmal erhöht, manchmal aber auch nicht, obgleich angeblich konkretere Hinweise auf geplante Anschläge verkündet wurden. Kritik wurde lauter am Umgang mit diesem Instrument, dass nicht nur der Prävention, sondern auch der Panikmache dienen kann. Möglicherweise war es daher strategisch klug, die Terrorwarnung zu lokalisieren und dies genau dort zu machen, wo die Menschen am empfänglichsten dafür sein könnten, nämlich in Washington und New York. Ridge erklärte ausdrücklich, dass es keine Zeitangaben für die Anschläge gebe, abgesehen von der Zeitspanne bis zu den Wahlen. Aber davon wurde auch schon früher gesprochen, beispielsweise als erste Vorstöße gemacht wurden, um zu erkunden, ob es politisch durchsetzbar wäre, die Wahlen bei einem Terroranschlag zu verschieben (Anschlag auf den demokratischen Prozess).

Heimatschutzminister Ridge nutzt die Gelegenheit, angesichts dieser bislang kaum gefundenen "Qualität dieser Erkenntnisse, die auf vielen Berichtströmen an vielen Orten beruhen", die Menschen weiter zu erhöhter Wachsamkeit aufzurufen und zu versichern, dass alles getan werden, um die Anschläge zu verhindern. Zudem sei "diese Art der Informationen" ein "Ergebnis der Führerschaft des Präsidenten im Krieg gegen den Terror". Offensive Geheimdienstoperationen und militärische Interventionen im Ausland sowie Partnerschaften mit den Verbündeten wie Pakistan hätten dies ermöglicht.

Diese Rechtfertigung gerade der umstrittenen Bestandteile der Bush-Politik, mitsamt der Unterstützung Pakistans, klingt alles schon sehr nach Wahlkampf, zumal die Warnung unmittelbar nach dem Parteitag der Demokraten und vor dem Ende August eben in New York stattfindenden Parteitag der Republikaner ausgesprochen wurde. Soll also hier die geeignete Atmosphäre kurz vor dem dritten Jahrestag der Anschläge vom 11.9. geschaffen werden, die auch weiträumige Sicherheitsvorkehrungen und womöglich Einschränkungen des Demonstrationsrechts ermöglichen?

We are deploying a full array of counterterrorism resources. We will spare no expense, and we will take no chances. We will be watching and protecting the city through never-ending vigilance.

New Yorks Bürgermeister Michael Bloomberg

Bislang zumindest scheint noch nicht bekannt zu sein, ob das in Pakistan festgenommene al-Qaida-Mitglied Muhammad Naeem Noor Khan, von dem die neuen Informationen stammen sollen, zusammen mit Ghailani aufgegriffen wurde, der bekanntlich fristgerecht nach einem Wunsch der US-Regierung zum Parteitag der Demokraten von Pakistan geliefert wurde und großes, die Berichterstattung über den Parteitag einschränkendes Medienecho hervorrief (Termingerechte Lieferung eines von der US-Regierung bestellten Topterroristen). Der 25-jährige Khan oder "Abu Talha" wird beschrieben als ein Vertreter der "neuen al-Qaida", ein vielgereister, gebildeter und mit guten Computerkenntnissen ausgestatteter junger Mann, der fließend Englisch spricht. Ob er die Informationen mit oder ohne Folter verraten hat, ist derzeit nicht Thema, zumal er ja im weit entfernten Pakistan angeblich mit der Hilfe der CIA festgenommen und wahrscheinlich dann auch mit deren "Hilfe" verhört wurde. In den durch ihn gefundenen Dokumenten habe es jedenfalls detaillierte Erkundungen über die Anschlagsziele gegeben, beispielsweise wie man in die Gebäude hineinkommt, wo sich Überwachungskameras befinden, wie viele Menschen sich zu welchen Zeiten in ihnen aufhalten, welche Schulen, Polizeistationen oder Feuerwehrzentralen wie viel Sprengstoff man benötigt oder ob ein Tanklastwagen eine geeignete Anschlagswaffe ist.

Khan habe auch wichtige Einblicke in das Kommunikationssystem von al-Qaida gegeben. So würden Websites und E-Mail-Adressen in der Türkei, Nigeria oder Pakistan benutzt. Kuriere würden Briefe mit Anweisungen von den in den Grenzgebieten Schutz suchenden al-Qaida-Chefs zu den Anhängern in Pakistan bringen. Khan hätte sie dann im Internet gepostet oder via E-Mail weiter verschickt. Nach Khan erfolge der Großteil der Kommunikation mittlerweile über das Internet. Wenn eine Nachricht verschickt und empfangen worden sei, werde die gesamte Kommunikation gelöscht. E-Mail-Adressen würden nur ein paar Mal genutzt. Natürlich wurde er auch gefragt, wo sich denn Osama bin Laden oder Ayman al-Zawahiri aufhalten. Das aber, so Khan, wüssten nicht einmal die höchsten al-Qaida-Befehlshaber.

Das Kerry-Lager weiß angesichts der Terrorwarnung nicht wirklich, wie es sich verhalten soll. Susan Rice. eine Beraterin von Kerry, meinte, die Warnung zeige, wie gefährdet die USA noch immer seien. Die Nation lasse sich aber nicht aufspalten und stehe vereint zusammen. Man werde al-Qaida vernichten. Howard Dean hingegen, der gescheiterte demokratische Präsidentschaftsbewerber, entzieht sich dem seit dem 11.9. herrschenden Sog und hab zu bedenken, dass jedes mal, wenn es für Präsident Bush nicht gut stünde, er seine "Trumpfkarte, die Terrorismus ist, ausspielt". Es sei nicht zu unterscheiden, was an der Terrorwarnung real und was politisch ist.

Der demokratische Senator Joe Liebermann bezeichnete solche Unterstellungen als "verabscheuungswürdig". Und der republikanische Senator Mich McConnell verurteilte Deans Misstrauen mit einem nach all den Schachzügen zum Irak-Krieg beachtenswerten Argument als "äußerst zynisch":

Schließlich ist der Präsident der Präsident, auch wenn er sich um Wiederwahl bewirbt. Und ich denke nicht, dass die amerikanischen Menschen glauben, dass der Mann, der uns so effektiv im Krieg gegen den Terror führt. so etwas politisieren würde.

Die beiden South Park-Macher Trey Parker and Matt Stone, bringen kurz vor den Präsidentschaftswahlen im November einen Film mit dem Titel Team America: World Police in die Kinos. Das Thema ist der Krieg gegen den Terror - und die Charaktere sind Marionetten. Der Krieg gegen den Terror und bekannte Medienprominente werden in ihren Auswüchsen auf den Arm genommen. Ein Stimme sagt so im Trailer, der gerade veröffentlicht wurde:

We live in a time of unparalleled danger. Weapons of Mass Destruction are being offered to terrorists all over the world. Global chaos is about to consume every country on Earth. And there is only one hope for humanity.

Ein böser Diktator mit nordkoreanischen Anklängen liefert Massenvernichtunsgwaffen an Terroristen. Unter der Führung eines Broadway-Stars macht sich dann ein Team auf, um weltweit das Böse zu bekämpfen und die Zivilisation zu retten. Anscheinend ist man im Weißen Haus nicht amused. Ein Bush-Berater soll gesagt haben, dass Terrorismus wirklich nicht lustig ist. Allerdings macht sich der Film offensichtlich weniger über die Bush-Regierung als über die Regierungsopposition und Leute wie Michael Moore lustig.