Autobahnen und Bundesfernstraßen der öffentlichen Hand entrissen?

Foto: Hubert Berberich. Lizenz: CC BY 3.0

Privatisierung soll Investitionsstau bei Neubau und Unterhaltung auflösen - Möglicherweise stecken da jedoch noch ganz andere Absichten dahinter

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Seit den späten 1970er Jahren fordern politische und wirtschaftliche Akteure die Privatisierung von Aufgaben, die traditionell von den öffentlichen Händen wahrgenommen werden sollten, jedoch aus vielfältigen Gründen nicht in ausreichendem Maße wahrgenommen wurden.

Das bundesdeutsche Fernstraßennetz zählt seit Jahren zu den Objekten der Begierde für private Investoren. Mit der Absenkung der Zinsen auf Null ist die Forderung noch lauter geworden, weil inzwischen viel Kapital verzweifelt nach einträglichen Anlagemöglichkeiten sucht.

Deutschland war einmal stolz auf sein Fernstraßennetz aus Bundesstraßen und Bundesautobahnen. Bei den Autobahnen war der Stolz allerdings ein wenig verhalten, weil sich die Propaganda der Nationalsozialisten, dass sie die Autobahn erfunden hätten, im Volksglauben bis heute festgesetzt hat. In Wirklichkeit wurde die erste deutsche Autobahn schon im Jahre 1932 von Konrad Adenauer eröffnet, der damals Oberbürgermeister von Köln war. Die heute Bundesautobahn A555 genannte Strecke verbindet Köln mit Bonn.

Dass der Bund sein Straßennetz in den vergangenen Jahrzehnten trotz zahlreicher Baustellen, die den Verkehr behinderten, nicht wirklich instand halten konnte, zeigte sich spätestens dann, als größere Brückenbauwerke über den Rhein für den LKW-Verkehr gesperrt werden mussten.

Die Schwarze Null und die Schuldenbremse

Mit der beschlossenen Schuldenbremse und der von Schäuble mit eisernen Klauen verteidigten Schwarzen Null wird der staatliche Handelsspielraum beim Unterhalt der Fernstraßen deutlich eingeschränkt, obwohl die nicht geforderten Zinsen einer Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur nicht wirklich entgegenstehen.

Banken und Versicherungen fühlen sich da wie gerufen, wenn sie sich jetzt anbieten, in die virtuelle Bresche zu springen. Autobahnteilstücke wie die A1 zwischen Hamburg und Bremen (Hansalinie) wurden dabei an private Betreiberkonsortien übertragen, die den Umbau bewerkstelligen mussten, und dafür die auf dieser Strecke eingefahrene LKW-Maut erhielten.

Die 75 Jahre alte Hansalinie gilt als prägnantes Beispiel dafür, wie der Staat seine Unterhaltungspflicht im Jahre 2008 für 30 Jahre auf private Betreiber abwälzen konnte. Das Konsortium bestand anfänglich aus den Bauunternehmen Bilfinger Berger und Johann Bunte sowie dem britischen Investor John Laing. Bei Bilfinger Berger hielt die Freude über das A1-Projekt jedoch nicht lange an.

Die heutige Bilfinger SE hat sich inzwischen aus dem Projekt A1 verabschiedet. Da die Zahl der auf der betroffenen Strecke verkehrenden LKWs deutlich geringer war, als dies im Vorfeld der Bewerbung um die Konzession kalkuliert wurde, war der Betrieb nicht rentabel. Daher hat Bilfinger seine 42,5-prozentige Beteiligung an der Betreibergesellschaft A1 mobil inzwischen mit einem Verlust von 34 Millionen Euro vollständig wertberichtigt und seinen Anteil an der Gesellschaft verkauft. ÖPP-Projekte im Straßenbau stehen inzwischen nicht mehr auf Bilfingers Agenda. Die Freude der privaten ÖPP-Partner scheint offensichtlich nicht so groß zu sein, wie man das im Vorfeld erwartet hatte.

Zusätzlicher Nutzen der für die Maut benötigten Kennzeichenerfassung denkbar?

Bislang werden die Daten, die über die Kameras auf den Mautbrücken erhoben werden, nur für den Zweck der Mautkontrolle genutzt. Auf Nachfrage von Telepolis hat Toll Collect in diesem Zusammenhang erklärt:

Wenn ein Fahrzeug eine Kontrollbrücke passiert und die Maut korrekt bezahlt wurde, werden die fahrtbezogenen Informationen noch auf der Kontrollbrücke umgehend gelöscht. Nur wenn - basierend auf der Erfassung durch die Kontrollbrücke - der Verdacht besteht, dass die Maut nicht oder nicht korrekt bezahlt wurde, werden die Fahrzeugdaten gespeichert und an die für die Kontrolle zuständige Behörde, das Bundesamt für Güterverkehr (BAG), weitergegeben. Dieses speichert die Kontrolldaten zur Beweissicherung bis zum Abschluss eines Nacherhebungs- oder Ordnungswidrigkeitenverfahrens. Abrechnungsbezogene Daten löscht Toll Collect, wenn die Einspruchsfrist für das Transportunternehmen abläuft. […] Daten von nicht mautpflichtigen Fahrzeugen werden noch auf der Kontrollbrücke umgehend und unwiderruflich gelöscht.

Dieses Vorgehen basiert nach Aussage von Toll Collect auf den Bestimmungen des Bundesfernstraßenmautgesetzes und den betreibervertraglichen Regelungen. Der derzeit gültige Betreibervertrag habe Bestand bis zum 31. August 2018. Allfällige Änderungen des Mautgesetzes oblägen dem Gesetzgeber.

Das fachlich zuständige Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) in Berlin hat sich trotz mehrmaliger Nachfrage nicht in der Lage gesehen, die Fragen von Telepolis zu beantworten. Dies weckt die Befürchtung, dass es im Zusammenhang mit der geplanten PKW-Maut und der Neuausschreibung des Betriebs der LKW-Maut zu einer erweiterten Nutzung der erfassten Verkehrsdaten kommen könnte.

Wie das in der Praxis funktionieren könnte, soll mit einem Pilotprojekt in Niedersachsen ermittelt werden. Das Projekt an der Bundesstraße 6 in der Region Hannover bei Laatzen wurde vom Niedersächsischen Ministerium für Inneres und Sport schon 2014 angekündigt. Es soll nun im Sommer 2017 in Betrieb gehen.

Das System nennt sich Streckenradar oder Section Control. Dabei wird das Tempo von Fahrzeugen über einen längeren Abschnitt kontrolliert. Beim Pilotversuch soll dies auf einer drei Kilometer langen Strecke der Bundesstraße 6 durchgeführt werden. Derzeit läuft die Anlage noch im Testbetrieb. Die in Deutschland bislang neue Technik wird noch von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig geprüft. Diese Behörde muss das System zertifizieren und zulassen, bevor es in Betrieb gehen darf.

In Österreich und den Niederlanden gibt es die Section Control bereits seit Jahren. Während dort das Abfotografieren der Autos beim Einfahren und Verlassen des kontrollierten Abschnitts für den Datenschutz kein Problem darstellt, wurde in Deutschland zunächst untersucht, was dabei unter diesem Aspekt zu beachten ist.

Die Einführung der PKW-Maut, deren rein wirtschaftlicher Erfolg immer wieder bezweifelt wird, könnte im Zusammenhang mit Nebennutzung der Kontrolldaten für die Geschwindigkeitsüberwachung auf Autobahnen und Bundesfernstraßen noch eine zusätzliche Bedeutung erhalten. Dass man dabei auf die Erfahrungen mit den LKW-Mautbrücken, deren Kennzeichenerfassung und Gesichtserkennung zurückgreifen wird, ist anzunehmen.

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