Automobile Revolutionen und ihre Nebenwirkungen
- Automobile Revolutionen und ihre Nebenwirkungen
- Die Mythen des automobilen Individualverkehrs lösen sich auf
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Deutschland zeigt sich überrascht von der kriminellen Energie seiner Autoindustrie - Ein Kommentar
Wenn die Presse nahezu unisono hierzulande ihre große, nahezu unfassbare Bestürzung bekundet, dann kann man fast immer davon ausgehen, dass es sich um eine Bestürzung über Tatsachen handelt, die eigentlich jedem bekannt sein konnten. Die offenen Geheimnisse werden immer mit dem größten Radau aufgedeckt, ob es sich nun um gekaufte Sportereignisse, den Kindesmissbrauch in religiösen Einrichtungen oder eben die Autoindustrie dreht.
Als ich 2011 nach einem Besuch im Stuttgarter Mercedes-Benz Museum meinen Telepolis-Artikel "Das Auto hat seine Zukunft hinter sich" veröffentlichte, war die Skepsis groß. Manche Leser missverstanden meine Aussagen als eine Prophezeiung über das baldige Verschwinden des Autos - selbstverständlich waren sie nicht so gemeint.
Seitdem ist Einiges passiert, vor allem der sogenannte Abgasskandal und die neuen Enthüllungen über die "schockierenden" Kartellabsprachen der deutschen Autobauer (über die die EU allerdings auch schon lange Bescheid wusste). Erschreckend! Unfassbar! Wer hätte vermuten können, dass Autos, deren Motorleistung, Gewicht und Größe im Durchschnitt ständig zunehmen, auch mehr Treibstoff verbrauchen und Abgase ausstoßen, allen technologischen Fortschritten zum Trotz? Wer hätte ahnen können, dass in unseren pseudo-ökologischen Zeiten die Autohersteller diese Tatsache zu kaschieren suchen, indem sie tricksen, täuschen und lügen, wo es nur geht?
Kartellabsprachen gehören zwar zum sogenannten freien Markt wie die Butter zum Butterbrot, aber wer hätte sich auch nur in seinen kühnsten Träumen vorstellen können, dass das auch in Deutschland vorkommt, dem Musterland für Sauberkeit, Ordnung, Gerechtigkeit und natürlich auch Ökologie schlechthin? Mit einem Wort: Wer hätte sich vorstellen können, dass sich kapitalistische Unternehmen selbst in Deutschland so verhalten wie kapitalistische Unternehmen?
Es herrscht große Überraschung über die Verwandlung von offenen Geheimnissen in Nichtgeheimnisse, und diese Überraschung kann eigentlich nur bedeuten, dass das veröffentlichte Bewusstsein – also die Medien, die Politik, die Werbung der betreffenden Hersteller – dem Privatbewusstsein der Bürger dabei geholfen hat, Dinge vor sich selbst geheim zu halten, die ihm eigentlich längst bekannt waren. Ein Verblendungszusammenhang wie aus dem Bilderbuch: Alle halfen beim Verblenden mit.
Was geschieht jetzt? Zunächst einmal gibt es ein bisschen Geschrei und Gezeter, ein paar Parlamentsdebatten und Gerichtsprozesse, Softwareumrüstungen und Konzernumstrukturierungen, die alle gemeinsam zum Zweck haben, dass sich in Wirklichkeit gar nichts tut. So wie bei der Mietpreisbremse. Oder dem Emissionsrechtehandel. Oder den Steuermachenschaften der Banken. Ein bisschen Tamtam und Trara, und die Aufregung, die ja ohnehin künstlich ist, wird sich wieder legen.
Wie die Bloggerin Inés Gutiérrez jüngst so schön meinte: "Der Siegeszug des Pkw in Deutschland ist der größte Marketingerfolg der Geschichte (übertroffen höchstens von dem des Christentums) (…)". Noch zugespitzter könnte man sagen: Das Auto ist der wahre Gott der Deutschen, und ihm alles zu opfern ist Bürgerpflicht.
Deutsche Autofans interessiert es schlicht nicht, dass man eher an den Stickoxiden aus den Auspuffanlagen von Diesel-Autos stirbt, als durch einen Amoklauf oder Terroranschlag (was Amokläufe und Terroranschläge nicht weniger grausig macht). Oder dass die Feinstaubkonzentration im Inneren eines Autos regelmäßig doppelt so hoch ist wie außerhalb der Fahrgastzelle.
Noch weniger interessiert sich das Publikum für die manifesten Verbrechen, die die deutsche Autoindustrie in Zusammenarbeit mit südamerikanischen Diktaturen begangen hat. Beihilfe zu Folter und Mord sind keinen Gedanken wert, da können die Beweise noch so klar und eindeutig sein.