Autsch! VIVA PLUS ist seit einer Woche auf Sendung
Wäre Dieter Gorny nicht so ein harter Brocken, man würde ihn in den Arm nehmen und tröstend tätscheln wollen
Seit sein neuer Musikkanal VIVA PLUS auf Sendung gegangen ist, bekommt's der Chef der VIVA Media AG nämlich knüppeldick von allen Seiten. Der reißerisch angekündigte Nachfolger von VIVA ZWEI fiel auf ganzer Front durch. Am lautesten protestieren die Zuschauer.
VIVA ZWEI ist tot. Es lebe VIVA PLUS - nur will das kaum jemand! Nach einer Woche Sendezeit lässt sich sagen: Der Start von Deutschlands neuem Musikkanal war - mit Verlaub - total verkackt. Kaum etwas funktionierte wirklich, das Konzept kam nicht an, die Musikauswahl fiel durch. Wer am 7. Januar den Fernseher anschaltete, bekam statt des üblichen semi-alternativen Clip-Programms von VIVA ZWEI die ersten Sendeminuten von VIVA PLUS zu sehen. Und in denen ging einiges - vor allem drunter, drüber und den Zuschauern gegen den Strich. Eine Verletzung der Seh-Synapsen eines jeden Menschen mit Sinn für Ästhetik sind schon allein die zwei Laufbänder im unteren Teil des Bildschirms - die so genannten ‚Crawls'. Gut ein Viertel der Mattscheibe bedeckten sie am ersten Tag. Täglich schrumpften sie ein bisschen mehr. Doch noch immer sind sie da, nerven und jagen in unterschiedlicher Geschwindigkeit Neuigkeiten ins Fernsehland, die größtenteils schon alt sind und schlimmstenfalls den Informationsgehalt einer Salatgurke besitzen. Auszüge: "Nicht noch ein Teenager-Film - Eine Parodie auf alle Teenager-Komödien +++ Die SIMS veranstalten eine fette Hausparty +++ Mary J. Blige leidet unter dem prämenstruellen Syndrom +++ Kylie Minougue reitet halbnackt auf einem Bullen." Des weiteren gibt es die Tourdaten von Atomic Kitten, Veröffentlichungsdaten neuer Singles und die Charts. "Wir wollen das CNN des Musikfernsehens werden", hieß es im Vorfeld aus der Sendezentrale. Das ging daneben. Vorerst. Und das ist nur der erste Kritikpunkt am neuen Kanal.
Im ganzen Land scheint sich derzeit eine Anti-VIVA-Bewegung zu formieren. Die Macher werden mit bitterbösen E-Mails bombardiert, unzählige Internetforen mit Hasstiraden gefüllt. Das liest sich dann so wie der Beitrag von Andrea auf der Homepage des Senders:
Ich finde Viva + echt zum Kotzen! Andauernd diese scheiß Balken, die einem durch den Bildschirm laufen. Und die Videoauswahl lässt auch zu wünschen übrig! Keiner von uns wird sich so einen beschissenen Sender anschauen!
Das bringt die Stimmungslage auf den Punkt. Und dabei sollte alles so toll werden.
"Ein neues glitzerndes Ding" wollte VIVAs Neuer sein, "ein vollkonvergenter, interaktiver Musiksender. Funky, stylish und kreativ." Doch es glitzert nicht viel: Die Moderatoren sind hibbelige Hipster-Füchse, die mit Camcorder im Anschlag völlig überdreht durch die "Pop-Metropolen" der Welt rennen - und bisher vor allem verwackelte Nichtigkeiten sendeten. Aber immerhin: Das mit der Interaktivität klappt hervorragend. Nie zuvor haben Fernsehmacher so direkt und ungefiltert erfahren, was ihre Zielgruppe von ihnen hält - in diesem Fall absolut nichts. Die Schelte flattert via E-Mail, SMS und Telefon in die Sendezentrale im Kölner Mediapark. Und da bei VIVA PLUS eben die Zuschauer das Programm mitbestimmen sollen, wird spannend, wie die Verantwortlichen auf die Protestwelle reagieren. Immerhin sagte Moderator Yousef Hammoudah, den manche frech als "Quoten-Ausländer" titulieren, am Tag eins: "Euer Input ist unser Maßstab. Sagt uns bescheid!" Das musste er nicht zweimal sagen - die Proteste folgten prompt. Bei so viel Kritik seitens der Fernsehnation wäre es derzeit nur konsequent, VIVA PLUS abzuschalten. Aber das geht natürlich nicht, denn VIVA PLUS (übrigens ein Joint Venture mit dem Mediengiganten AOL Time Warner) soll Geld bringen, Geld, dass sein Vorgänger (mit jährlich fünf Milionen EURO stark defizitär) verprasste. Ob des derzeitigen Zuschauer-Debakels will Dieter Gorny nun erst mal "kleine Änderungen" am Sender vornehmen. Seine Kumpels von AOL Time Warner hingegen packte in den vergangenen Tagen das kalte Grausen: "Wir schlagen hier die Hände über den Köpfen zusammen", sagt ein AOL-Manager, der lieber ungenannt bleiben möchte.
Die wahre Interaktivität - nämlich die zwischen Moderatoren und Zuschauern - hielt übrigens am Premieren-Tag mit dem ersten Anrufer Einzug. Der hieß Mike und klingelte um Mitternacht. "Hallo Mike! Wie findest du VIVA PLUS so", fragte die blonde Moderatorin Katjuschka. "Yo", sagte Mike, "ich hab' nix verstanden. Nee, doch, Viva is gut. Isch guck das immer und so. Ich wollte mir eigentlisch nur Žn Video wünschn. Aber da ham die mir gesagt, dat geht nich." Das war Mike und der Beweis für die These, dass ein interaktiver TV-Sender nur so gut sein kann wie sein Publikum. Wenn Typen wie Mike das Publikum repräsentieren sollten, sieht's für die Zukunft finster aus. Der maulfaule Schlichtling wurde dann auch ganz schnell ignoriert, und die vier Moderatoren (drei Mädels, ein Kerl) redeten grinsend und sehr schnell darüber, wie wichtig es doch sei, dass die Zuschauer auch immer schön sagen, was sie mögen, Mails schreiben und anrufen. Mike?
Jetzt zur Musik: Das Clip-Programm bei VIVA PLUS besteht aus seifigem Mainstream-Einerlei - bis auf überraschende Ausnahmen im Nachtprogramm. Tagsüber laufen Lopez, Spears, Eminem - die üblichen Verdächtigen eben. Nach Mitternacht hingegen wurden schon gehäuft echte Indie-Perlen gesehen: "Bohemian Like You" von den Dandy Warhols, Aphex Twins "Come To Daddy", selten gesendete Clips von Jimi Tenor, Photek und Jeru The Damaja. Zudem läuft zweimal die Woche die Sendung "Rock" und mehr für die Massen neben dem Mainstream. Als erstes Video rotierte immerhin "Let Me Entertain You" von Robbie "haben-alle-lieb" Williams. Das ist alles gar nicht so schlecht, macht weinende VIVA ZWEI-Fans aber auch nicht glücklich. Denn die wollen Weezer und Incubus rund um die Uhr. Und nun fühlen sie sich verraten, um ihre Lieblingssendungen wie 2Rock und Wah² beraubt. Für sie ist VIVA PLUS kein neuer Sender, sondern der Mörder von VIVA ZWEI. Keine guten Startbedingungen. Der Sturm der Kritik ist weniger die Reaktion auf anfängliche Pannen, nervende Laufbänder und ein noch unausgegorenes Konzept. Er ist die Rache der Subkultur.
Aber wie immer ist alles halb so schlimm. VIVA PLUS ist neu, muss seinen Weg noch finden. Und dabei - interaktiv! interaktiv! - sollen die Zuschauer helfen. Nur sind Hasstiraden selten konstruktiv. Die Anti-Hysterie wird sich aber bald legen, VIVA PLUS peu a peu etablieren. VIVA ZWEI wird gleich neben "Formel Eins" unter ‚Früher war alles besser' abgeheftet. Das Vorhaben, alternative Musik rund um die Uhr zu senden, die Subkultur mit den Mechanismen des Mainstreams zu präsentieren, und all jene gewinnbringend vor die Glotze zu zerren, die sonst nur ein angewidertes Mundwinkelzucken für den Lau-Pop-Brei bei VIVA übrig haben - eben dieses Vorhaben misslang bei VIVA ZWEI. Die Subkultur ist eben nicht massentauglich. Mit Einschaltquoten unter fünf Prozent lässt sich nun mal kein Geld verdienen. Und nur darum geht's. Wer glaubt, VIVA ZWEI war der idealistische Versuch, den Mainstream zu brechen und Alternativen zu bieten, der irrt. Mit VIVA ZWEI wollte Dieter Gorny vor allem eines: den Mainstream erweitern. VIVA PLUS ist nun der zweite Versuch und geht auf Nummer sicher. Lieber hippe, Netz-affine Großstadtjugendliche umwerben als zu versuchen nonkonforme Indierock-Hörer zu begeistern. Ob Gorny und Co. mit dem Neuling aber ihr erklärtes Klassenziel, "die Nummer zwei nach VIVA" zu werden (Vgl. Wir wollen die Nummer zwei werden) erreichen, bleibt abzuwarten. Immerhin: VIVA wurde auch nicht in einer Woche Marktführer.