BKK-Vorstand nach Brandbrief über Impfnebenwirkungen fristlos entlassen
Krankenkasse BKK ProVita wandte sich mit umstrittener Daten-Auswertung an Medien. Jetzt zog Verwaltungsrat die Notbremse
Telepolis berichtete am 25. Februar über einen Brandbrief der BKK ProVita an das Paul-Ehrlich-Institut (PEI), das für die Erfassung von Impfnebenwirkungen zuständig ist (Corona-Impfstoffe: Viel mehr Nebenwirkungen als gedacht?). Gezeichnet vom Vorstand der Krankenkasse, Andreas Schöfbeck, hieß es: Eine Auswertung von Abrechnungsdaten zeige eine viel höhere Häufigkeit von Nebenwirkungen nach Covid-Impfungen, als die offiziellen Zahlen des PEI hergeben.
Dramatisch klang vor allem das Ende des Briefs: "Da Gefahr für das Leben von Menschen nicht ausgeschlossen werden kann, bitten wir Sie um eine Rückäußerung über die veranlassten Maßnahmen bis 22.2.2022 18:00 Uhr." Das war natürlich Wasser auf die Mühlen derjenigen, die Impfungen skeptisch gegenüberstehen oder gar vermuten, dass sie zu erhöhten Todesfällen führen (Gibt es einen Zusammenhang zwischen Corona-Impfungen und der Sterblichkeit?).
Die von der Krankenkasse verbreitete Botschaft hatte aber für die Ärzteschaft noch eine besondere Note: Schwere Impfnebenwirkungen müssen nämlich gemeldet werden. Übertreten Ärztinnen und Ärzte also massenweise das Gesetz? Das werde damit impliziert, so der Heidelberger Uni-Chefvirologe Hans-Georg Kräusslich in der Ärztezeitung:
Und wenn die Kasse schwerwiegende, nicht gemeldete Nebenwirkungen unterstellt, sagt sie gleichzeitig, dass all die behandelnden Ärzte wissentlich gegen geltendes Gesetz verstoßen hätten.
Hans-Georg Kräusslich
Das könnte auch Schärfe der Reaktion vom Virchowbund erklären, dem Verband der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte Deutschlands. Dessen Vorsitzender, Dirk Heinrich, HNO-Arzt und Leiter des Hamburger Impfzentrums, nannte die BKK ProVita am 24. Februar eine "Schwurbel-BKK" und diagnostizierte "peinliches Unwissen oder hinterlistige Täuschungsabsicht".
Zweifel kamen aber auch vom Dachverband der Betriebskrankenkassen selbst: Dieser twitterte ebenfalls am 24. Februar, dass die BKK ProVita die fraglichen Versichertendaten gar nicht, wie von ihr behauptet, beim Dachverband abgerufen habe.
Fristlose Entlassung
Fragen über Fragen. In einer kurzfristig einberufenen, mehrstündigen Online-Sitzung des Verwaltungsrats am 1. März entschied sich dessen Mehrheit dafür, "sich mit sofortiger Wirkung vom bisherigen Vorstand Andreas Schöfbeck zu trennen." Näher erklären will man das aber nicht: "Wir bitten um Verständnis, dass wir uns zu den verschiedenen Hintergründen dieser Personalentscheidung aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes nicht weiter äußern."
Bei der BKK ProVita dürfte man sich jetzt um Schadensbegrenzung bemühen. Neuer Vorstand ist der vorherige Stellvertreter, Walter Redl. Er wird in den nächsten Tagen viel zu tun haben, denn eine Rekonstruktion der Kommunikation wirft ein fragliches Bild auf die Krankenkasse.
Der Brandbrief wurde am 21. Februar an das PEI geschickt. Dieses will ihn am 22. Februar empfangen haben. Die Krankenkasse hatte für diesen Tag um 18 Uhr aber schon eine Frist gesetzt. Dabei konnte das PEI nicht einmal die Originaldaten einsehen, sondern nur eine einseitige Beilage des Brandbriefs.
Am 23. Februar sprach dann Ex-Vorstand Schöfbeck schon mit Axel-Springer-Medien. Die Welt veröffentlichte noch am selben Tag einen Artikel mit den Schlagworten: "Heftiges Warnsignal." Und: "Mehr Impf-Nebenwirkungen als bisher bekannt." Am 24. ging die Meldung dann durch zahlreiche andere Medien.
Pressestelle verhaspelt sich mehrfach
Das setzte auch die Krankenkasse unter Druck: Deren Pressestelle veröffentlichte dann den Brief mit Beilage – allerdings falsch datiert auf den 24. Februar. Das war wohl der Tag, an dem man das PDF neu erzeugte. Diese Pressemitteilung wurde jetzt aber kommentarlos gelöscht: "Oje! Die Seite wurde nicht gefunden. Es sieht so aus, als ob hier nichts existiert."
Interessanterweise bezog sich aber diese Mitteilung gar nicht direkt auf den Brandbrief der Krankenkasse, mit dem alles angefangen hatte, sondern auf den Artikel in der Welt. Diese stellt nun immerhin in einem Folgeartikel vom 1. März den ursprünglichen Brief mit Beilage zum Download bereit.
Am 25. Februar verteidigte sich die BKK ProVita noch mit einer "Erläuternden Auswertung" für den Brief an da PEI. Auch diese (Telepolis vorliegende) Mitteilung wurde nun wieder kommentarlos gelöscht: "Oje! Die Seite wurde nicht gefunden. Es sieht so aus, als ob hier nichts existiert."
Nähere Aufklärung versprochen
Im Gegensatz dazu wirkt das Auftreten des kritisierten PEI souverän: Die ärztlichen Abrechnungsdaten der Krankenkassen für Impfnebenwirkungen will man sich genauer anschauen – aber das kostet eben etwas Zeit. Auch mit der BKK ProVita wolle man sich verständigen, dann wohl mit dem neuen Vorsitzenden.
Da das Thema Impfungen längst politisch und hochemotional geworden ist, wird eine reine Verständigung über Fakten den Knoten kaum lösen. Wie sich die impfkritische Krankenkasse positionierte, wie sie dem PEI eine unmögliche Frist setzte, wie sie sich dann sofort mit der Axel-Springer-Medien in Verbindung setzte, wie ihre Pressestelle mehrmals versagte – all das könnte Impfgegner aber einmal dazu anleiten, ihren eigenen Standpunkt kritisch zu hinterfragen.
Wie schon im letzten Artikel berichtet, lässt sich die Diskrepanz zwischen den Abrechnungsdaten und den Meldungen beim PEI ganz einfach erklären: Erstere beinhalten schlicht alle Behandlungen beim Arzt, einschließlich der natürlichen Impfreaktion (wie Schwellung an der Einstichstelle, kurzzeitig erhöhte Temperatur).
Ans PEI werden aber nur über das Normale hinausgehende Impfnebenwirkungen gemeldet. Wer jetzt immer noch zweifelt, möge noch auf die versprochene Auswertung warten.
Wie die Zahlen des Robert-Koch-Instituts Woche für Woche aufs Neue belegen, schützen die Impfungen zwar nicht vollständig gegen eine Infektion – wohl aber in hohem Maße gegen einen schweren COVID-Verlauf. So ist für Ungeimpfte ab 60 Jahren eine Krankenhausaufnahme zurzeit zwölfmal wahrscheinlicher als für Gleichaltrige mit Auffrischungsimpfung.
Welcher Standpunkt stellt also eine "Gefahr für das Leben von Menschen" dar, um noch einmal aus dem Brandbrief zu zitieren? Wenn es der BKK ProVita wirklich um die Gesundheit der Versicherten geht, scheint sie denen mit ihrer Hals-über-Kopf-Aktion aber nun einen Bärendienst erwiesen zu haben. Einige werden später auf der Intensivstation landen – und vielleicht an Covid sterben.