BND-Affäre: die Prioritäten des Kanzleramts

Wie ernst nimmt die Regierung die Kontrolle des Geheimdienstes?

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Zur jüngsten BND-Affäre gibt es Reaktionen, die den wunden politischen Punkt ansteuern. Die Kontrollen der Geheimdienste reichen nicht aus, konstatiert der frühere Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar. Die datenschutzrechtlichen und parlamentarischen Kontrollmechanismen müssten endlich verbessert werden, fordert Schaar nicht zum ersten Mal. Und es gibt drollige Reaktionen.

So warnte ein Leitartikel der konservativen FAZ am Freitag davor, dass ein Geheimdienst, der sich gegen den eigenen Staat richte, "entweder inkompetent oder gemeingefährlich" sei, um aus dieser markigen Ansage eine Schlussfolgerung zu drehen, welche die Regierung, pars pro toto einen Unionspolitiker, doch irgendwie nicht ganz so schlecht aussehen lassen soll: "Dass Kanzleramtsminister Peter Altmaier die Abgeordneten darüber informierte, zeigt, wie ernst die Bundesregierung die Angelegenheit nimmt."

"Die Bundesregierung nimmt die Vorwürfe gegen den BND ernst", ist die einzige Verteidigung, die dem stets regierungsfreundlichen FAZ-Kommentator zu den Vorwürfen noch einfällt. Dies sagt einiges über den Konflikt, in dem die Union und ihre politische Anhängerschaft durch die Enthüllung gekommen sind, wonach der BND dem amerikanischen Geheimdienst bei der Wirtschaftsspionage gegen den Konzern EADS und die Tochterfirma Eurocopter zugearbeitet hat.

Sie sehen sich derzeit nicht nur den üblichen Angriffen durch die Opposition vonseiten der Grünen und Linken und einer forcierteren Kritik des Koalitionspartners SPD ausgesetzt - wogegen meist das rethorische Standardrepertoire und koalitionsinterne Beruhigungsmittel reicht -, sondern auch vonseiten der Wirtschaft. Somit führt für die Union gar kein Weg daran vorbei, als diese Vorwürfe ernstzunehmen. Das ist alternativlos.

"Die deutsche Industrie muss sich darauf verlassen können, dass mit sensiblen Unternehmensdaten vertrauensvoll umgegangen wird", wird ein Sprecher des Bundesverbandes der deutschen Industrie zitiert.

Sollten sich diese Vorwürfe bewahrheiten, wäre das ein schwerer Vertrauensbruch.

Schon seit dem Besuch des früheren Innenministers Friedrich im Sommer 2013 in den USA vollführt die Union einen Eiertanz, wenn es um Wirtschaftsspionage geht. Friedrich kam damals mit der Versicherung des Vizepräsidenten Biden und Justizministers Holder zurück, wonach es die umfassenden NSA-Überwachungsprogramme und - möglichkeiten gerade das Interessanteste auslassen. Es gebe "keine Industriespionage gegen deutsche Unternehmen", beteuerte Friedrich. Und die Regierung übernahm diese Phrase bereitwillig. Menschen, die in der IT tätig waren, wussten es längst besser.

Dessen ungeachtet hielt die Union öffentlich an der Überzeugung fest, dass die Überwachung, die die NSA fest mit dem Partner BND verband, rein dem "Anti-Terrorkampf" galt. Als sich dann herausstellte, dass auch das Mobiltelefon von Kanzlerin Merkel überwacht wurde, gab es zum ersten Mal echte Empörung, die es vorher geben hätte sollen, als es um die Unterhöhlung von Grundrechten der Bürger ging und um Machtmissbrauchsmöglichkeiten durch die NSA-Programme. Allein der politische Wille dazu fehlte. In der Hierachie der politischen Ziele stand das gute Verhältnis mit den USA weiter oben als die Beunruhigungen der Bürger.

Die Kritik kaprizierte sich bei konservativen Politikern zunehmend auf den Whistleblower Snowden, wie dies auch der eingangs erwähnte FAZ-Kommentator durchweg demonstrierte. Nun ist der partnerschaftliche Informationsaustausch zuungunsten heimischer Wirtschaftsinteressen auf anderem Wege enthüllt worden. Mit dem Ergebnis, dass es "konkrete Hinweise" darauf gebe, dass "die NSA mit den Freundschaftsdiensten nicht nur Terror-Ermittlungen, sondern auch Wirtschaftsspionage betrieb".

Das davon informierte Kanzleramt und die Kanzlerin, die informiert hätte sein müssen, haben in der Sache keinen politischen Willen erkennen lassen, die Zusammenarbeit zu unterbinden. Damit liegen die Prioritäten auf der Hand: Lieber ignorieren und verschleiern, als einen Konflikt mit dem großen transatlantischen Partner zu riskieren.