Bad moon rising

Der 9-11-Untersuchungsausschuß wird zur Bombe gegen George W. Bush - und jetzt legt auch noch Bob Woodward nach

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Aus dem Untersuchungsausschuss über den 11. September kommen beinahe jede Woche neue Hiobsbotschaften für George W. Bush und seine Regierung. Rekapitulieren wir die Ereignisse der letzten Wochen: Am 24. März trat Richard Clarke in den Zeugenstand (Was wusste US-Präsident Bush - und warum wollte er nichts davon wissen?). Er diente den vier letzten US-Präsidenten als Anti-Terror-Spezialist und war bis Sommer 2001 Mitglied in Bushs Nationalen Sicherheitsrat (NSC). Mit der Al Qaida hat er sich nicht nur intensiv beschäftigt, er hat sie gewissermaßen erfunden - er war es, der für die disparaten islamistischen Terrorgruppen Ende 1998 dieses CNN-taugliche Label prägte. Er warf insbesondere NSC-Leiterin Condoleezza Rice vor, seine wiederholten Warnungen im unmittelbaren Vorfeld des 11. September missachtet zu haben. Noch eine Woche vor dem Inferno hatte er sie schriftlich aufgefordert, "sich den Tag nach einem Terrorangriff mit Hunderten daheim und im Ausland getöteten Amerikanern vorzustellen und sich zu fragen, was sie vorher hätten tun können".

Bei der Anhörung sprach Clarke die unerhörten Sätze:

Den Angehörigen der Opfer des 11. September ... sage ich: Ihre Regierung hat sie im Stich gelassen. Jene, deren Auftrag es war, Sie zu schützen, haben versagt. Ich habe versagt.

Nach dieser Attacke war die bisherige Linie des Weißen Hauses, Sicherheitschefin Rice dürfe mit Rücksicht auf die - wie einfallsreich - rechtsstaatliche Gewaltenteilung nicht vor dem Ausschuss aussagen, nicht mehr zu halten. Bei ihrem Auftritt am 8. April parierte sie die meisten Anwürfe zunächst geschickt, musste aber schließlich im Kreuzverhör zugeben, dass dem Präsident am 6. August 2001 ein CIA-Memorandum mit dem bemerkenswerten Titel "Bin Laden zu Angriffen in den Vereinigten Staaten entschlossen" vorgelegt worden war (Tante Ben's Schaulaufen). Gleichzeitig behauptete sie aber, dies sei nur ein "historisches Dokument" gewesen und habe auf Planungen Bin Ladens aus den Jahren 1997 und 1998 verwiesen. Im übrigen bedauerte sie, dass die nationalen Sicherheitsinteressen eine Freigabe des Dokuments nicht zuließen.

Ashcroft, Tenet und Mueller sagen aus

Auch diese Rückzugslinie wurde schließlich geräumt, und zwar schon zwei Tage später. Am 10. April hob die Regierung die Geheimhaltungsvorschrift für den Text des Presidential Daily Briefing vom 6.8.2001 auf - ein in der US-Geschichte beispielloser Vorgang. In dem veröffentlichten Text war von "verdächtigen Aktivitäten" im Land die Rede, die mit "Flugzeugentführungen und anderen Arten von Anschlägen" in Beziehung stehen könnten. Das FBI führe deswegen gerade 70 "Bin Laden-bezogene" Einzelermittlungen durch - das klang weniger "historisch" als brandaktuell. Trotzdem behauptete Bush noch am nächsten Tag:

Ich bin zufrieden, dass ich nie Informationen hatte, die anzeigten, daß es einen Angriff auf Amerika geben würde.

Dass das völlig unglaubwürdig war, bewiesen die Sitzungen der Kommission am 13. und 14. April. Eröffnet wurden sie mit einem Resümee des Ausschusses über The Performance of the Intelligence Community (Die Leistungen der Geheimdienste). Es schloss mit den Worten:

Als Ergebnis bleibt eine Frage: Wer ist eigentlich für Geheimdienstarbeit verantwortlich?

Teil des Dossiers ist eine Liste von Berichten, die die CIA "für die höchsten Stellen" angefertigt hatte - und die dort offensichtlich ignoriert wurden. Sie trugen Titel wie "Bin Laden droht mit Angriffen auf US-Flugzeuge" (Juni 1998), UBL plant Vergeltung gegen US-Ziele, möglicherweise in den USA" (September 1998), "Bin Ladens Interesse an biologischen und radiologischen Waffen" (Februar 2001), "Terroristen arbeiten angeblich für eine US-Geiselnahme zusammen" (Mai 2001) und schließlich das bereits erwähnte Memorandum des 6. August 2001.

Die Aussage von US-Innenminister John Ashcroft am 13. April bestand vor allem in Schuldzuweisungen an die Clinton-Regierung, die angeblich den Anti-Terrorkampf sabotiert habe. FBI-Chef Robert S. Mueller und CIA-Chef George J. Tenet beklagten tags darauf die unzureichende Ausstattung ihrer Dienste und räumten schlechte Kooperation ein. "Wir wussten von Bin Ladens Absicht, unser Heimatland anzugreifen, aber wir waren nicht in der Lage, dieses Wissen in eine wirksame Verteidigung des Landes zu übersetzen", streute Tenet Asche auf sein Haupt. Bei so viel Reumütigkeit wollten die Ausschussmitglieder gar nicht härter nachfassen.

Tenet und Rice der Falschaussage überführt

Das dicke Ende kam am folgenden Tag: Tenet hatte vor der Kommission bezeugt, er habe Bush im August 2001 nicht mehr persönlich gesprochen. Nun dementierte ihn sein eigener Sprecher: Tenet sei am 17. und am 31. August auf Bushs Farm gewesen, bis zum 8. September sei der Präsident "mindestens sechs weitere Male über neue Hinweise in Kenntnis gesetzt worden". Damit hat aber nicht nur Tenet die Unwahrheit gesagt, sondern - siehe oben - auch Bush.

Ebenfalls am 15. April platzte eine weitere Bombe: Die Nachrichtenagentur AP meldete:

Wenige Monate vor den Anschlägen vom 11. September haben US-Militärexperten ein Manöver vorgeschlagen, bei dem der Absturz eines entführten Passagierflugzeuges auf das Pentagon simuliert werden sollte. Mit der Übung sollte der Generalstab im April 2001 auf einen etwaigen Ausfall des Operationszentrums im US-Verteidigungsministerium vorbereitet werden, wie ein Sprecher des Pentagon am Mittwoch (Ortszeit) bestätigte.

Diese Vorabkenntnis des Pentagon behauptet und belegt Telepolis-Autor Mathias Bröckers schon lange - Bush und Rice hingegen stritten sie bis dato ab. Rice klagte etwa vor dem Untersuchungsausschuss, die Warnung der Sicherheitsbehörden vor Osama bin Laden seien unpräzise gewesen.

Sie sagten uns nicht wann, sie sagten uns nicht wie, sie sagten uns nicht wo ...

Zumindest zu dem "Wie" und "Wo" gab es aber ganz konkrete Hinweise: Neben der jetzt endlich zugegebenen Manöveridee vom Mai 2001 hatten bereits im Oktober 2000 hauseigene Einsatzkräfte der US-Militärzentrale einen Notfall durchgespielt, bei dem es galt, sich auf ein in das Gebäude gestürztes Flugzeug einzustellen. In einem dritten Fall legte die US-Luftverteidigungsbehörde NORAD einer Antiterrorübung am 1./2. Juni 2001 ein Szenario zugrunde, das zwar nicht von entführten Passagierjets ausgeht, sondern von einer Cruise-Missiles-Attacke. Doch ansonsten passt auch dieses Manöver ganz gut zum 11. September. Das Titelblatt des NORAD-Papiers zeigt niemand anderen als Osama bin Laden - umrahmt von Bildern mit Flugzeugen (vgl. Flugzeuge als Bomben? - Unvorstellbar!)

Zwei zentrale Sicherheitsbehörden - Pentagon und NORAD - haben sich also ganz konkret auf solche Angriffe vorbereitet, wie sie am 11. September Wirklichkeit werden sollten - aber die Sicherheitsberaterin des Präsidenten behauptet, alle Warnungen seien "historisch" gewesen.

"Zeit"-Autor und Woodward contra "Zeit"

Die Lüge von Tenet wurde in den deutschen Medien nur beiläufig erwähnt, das CIA-Memo vom 6. August 2001 teilweise gar als Entlastung für die Bush-Regierung gewertet. "Für alle Verschwörungstheoretiker, die hinter dem Anschlag nicht Al Qaida vermuten, sondern die Marsmännchen oder die CIA, bietet das Dokument kein Futter", lästert etwa die "Zeit" auf ihrer Website.

Am Tag nach Erscheinen der aktuellen Ausgabe des Hamburger Wochenblattes behauptete allerdings ausgerechnet "Zeit"-Autor Oliver Schröm gegenüber der Tageszeitung "Junge Welt", dass das fragliche Dokument in der Ursprungsfassung neuneinhalb Seiten länger war. Schröm hatte Ende 2002 in der "Zeit" unter dem Titel "Tödliche Fehler" eine Chronologie der Fehler und Versäumnisse der US-Behörden im Vorfeld des 11. September erstellt. Darin schrieb er unter dem Eintrag "Crawford, 6. August 2001":

US-Präsident George W. Bush macht Urlaub. ... Jeden Morgen steht aber weiterhin das 'Presidential Daily Brief' auf dem Programm. Im 'PDB', wie es im CIA-Jargon heißt, wird dem Präsidenten von hochrangigen CIA-Mitarbeitern die Sicherheitslage dargelegt. An diesem Morgen unterrichtet der CIA-Direktor persönlich den Präsidenten. Sein PDB-Papier hat statt der sonst üblichen zwei bis drei diesmal elfeinhalb bedruckte Seiten ...

Von diesen elfeinhalb Seiten waren nach Freigabe des Dokuments am 10. April 2004 nur noch knapp zwei Seiten - präzise: 17 Sätze - zu lesen. Man fragt sich: Wo ist der Rest?

Schröm bezieht sich in seinen Recherchen auf Bob Woodward, den Starjournalisten der "Washington Post", der schon bei der Aufdeckung des Watergate-Skandals mitwirkte. Jetzt legt Woodward nach: Bush habe nur drei Monate nach den Angriffen auf das Pentagon und den World Trade Center einen Geheimplan für die Invasion des Irak in Auftrag gegeben, schreibt der Autor in seinem neuen Buch "Plan of Attack", das diese Woche auf den Markt kommt. Das ließ sich auch damals bereits absehen: Bush gegen Hussein, II. Akt?). Im Dezember 2001 steckten die USA noch mitten im Afghanistan-Krieg und betonten in der Öffentlichkeit immer wieder, im Irak eine diplomatische Lösung zu suchen. Andere hatten allerdings bereits gesagt, dass Buch schon kurz nach dem 11.9. den Sturz Husseins plante (US-Präsident Bush und die Irak-Obsession).

On Nov. 21, 2001, 72 days after the terrorist attacks on New York and Washington, Bush directed Defense Secretary Donald H. Rumsfeld to begin planning for war with Iraq. "Let's get started on this," Bush recalled saying. "And get Tommy Franks looking at what it would take to protect America by removing Saddam Hussein if we have to." He also asked, Could this be done on a basis that would not be terribly noticeable?

Die nächste Sitzung des 9-11-Untersuchungsauschusses findet erst Mitte Mai statt. Wetten, dass schon vorher etwas passiert?

Von Jürgen Elsässer ist gerade das Buch "Kriegslügen. Vom Kosovokonflikt zum Milosevic-Prozeß" (Verlag Kai Homilius) erschienen.