Baerbock vor UNO: Friedensrede für mehr Krieg
Seite 2: Russlands Krieg ist nicht gerechtfertigt
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Russlands Krieg ist ein Angriffskrieg. Und seine Grundlage sind infame Lügen, die Außenminister Lawrow heute im UN-Menschenrechtsrat erneut wiederholt hat. Sie sagen, Sie handeln aus Selbstverteidigung. Aber die ganze Welt hat gesehen, wie Sie über Monate zur Vorbereitung dieses Angriffs Ihre Truppen zusammengezogen haben.
Die deutsche Außenministerin stuft Russlands Krieg als "Angriffskrieg" ein. Sie weiß sehr genau, dass nur so eine Verurteilung eines Kriegs nach der UN-Charta möglich ist. Die vom russischen Außenminister vorgetragene Begründung, der Krieg diene der russischen "Selbstverteidigung" (was ihn als Krieg rechtfertigen würde) weist sie ohne großes Federlesen oder weitere Beweisanstrengungen als "infame Lüge" zurück.
Damit macht sie diplomatisch unmissverständlich klar, dass Deutschland nicht bereit ist, die Einwände Russlands gegen die Expansion der Nato seit 1990 auch nur zu würdigen, geschweige denn, den mehrfach vorgetragenen russischen Sicherheitsinteressen entgegenzukommen – und sei es nur, um eine weitere Eskalation in der Ukraine oder Europa zu vermeiden.
Mit der Art und Weise, wie Baerbock Lawrows Stellungnahme als "infame Lügen" aburteilt, demonstriert sie zugleich, dass sie aus der Position der Stärke redet. Sie muss nicht überzeugen, sie muss nicht argumentieren, Beweise erbringen oder Ähnliches; die ganze Überzeugungskraft ihrer Argumente bezieht sie daraus, dass sie hier für "den Westen" und damit das größte Militärbündnis der Weltgeschichte spricht, weshalb sie (zu Recht) darauf zählt, dass ihre Lügen Geltung beanspruchen können.
Russische Panzer schaffen keinen Frieden
Sie sagen, Russland schickt Friedenstruppen. Aber Ihre Panzer bringen kein Wasser, Ihre Panzer bringen keine Babynahrung, Ihre Panzer bringen keinen Frieden. Ihre Panzer bringen Tod und Zerstörung. Und in Wahrheit missbrauchen Sie Ihre Macht als ständiges Mitglied des Sicherheitsrats. Herr Lawrow, Sie können sich selbst täuschen. Aber uns täuschen Sie nicht. Unsere Völker werden Sie nicht täuschen – und auch Ihr eigenes Volk werden Sie nicht täuschen.
Hut ab. Russische Panzer bringen also kein Wasser. Keine Babynahrung. Keinen Frieden. Das ist übel, wirklich übel. Und sehr im Unterschied zu deutschen Panzern vermutlich. Dass deutsche Panzer Frieden bringen, ist ja per definitionem so. (Und in der Tat: Ebenso wie der Krieg im Frieden vorbereitet wird, so wird auch der Frieden durch die Ergebnisse des Kriegsverlaufes herbeigeführt. In diesem, ganz und gar tödlichen Sinne, stiften deutsche Panzer tatsächlich weltweit Frieden.)
Aber dass sie Wasser und Babynahrung bringen, ist selbst für gestandene Analytiker und Dialektiker wirklich neu. Und natürlich hocherfreulich – weiter so! Und: Herr Lawrow, Ihre Legitimationen werden nicht geglaubt – im Unterschied zu unseren!
Tote Flüchtlinge und gute Flüchtlinge
Uns kommen Gerüchte zu Ohren – auch hier in diesem Raum –, dass Menschen afrikanischer Herkunft, die aus der Ukraine fliehen, an den EU-Grenzen diskriminiert werden. Ich war heute Vormittag in Polen. Und mein polnischer und mein französischer Kollege und ich haben sehr deutlich gemacht: Jedem Geflüchteten muss unabhängig von seiner Nationalität, Herkunft oder Hautfarbe Schutz gewährt werden.
Ja, so kann man das auch sagen. Dass die EU seit Jahren Tausende von Flüchtenden an ihren Grenzen sterben lässt; dass noch vor kurzem die Polen ihre Grenze mit Stacheldraht und Sondertruppen gegen die "Flüchtlingswaffe aus Belarus" "verteidigt" haben und dabei "Frauen und Kinder" an Hunger und Kälte umkommen ließen und zurzeit an die tausend Flüchtende vor allem arabischer Herkunft in Gefängnissen festhalten – all das vergisst Frau Baerbock.
Angesichts dessen, dass die neuen Flüchtenden die Opfer des (Haupt-)Feindes sind, ist ohne Weiteres klar, dass sie aufgenommen werden. Polen, das bis gestern angeblich noch "voll" war und heute angibt, jeden Tag 50.000 Ukrainer aufnehmen zu können, wird nicht einer "infamen Lüge" bezichtigt, sondern gelobt – und gleichzeitig dazu ermahnt, der Glaubwürdigkeit halber jetzt aber auch mal einen Afrikaner oder Araber heil über die Grenze zulassen.
Sich bekennen ist Pflicht
Jede und jeder einzelne von uns muss jetzt eine dezidierte und verantwortungsvolle Entscheidung treffen und Partei ergreifen.
Dass jeder einzelne von uns "eine dezidierte und verantwortungsvolle Entscheidung treffen und Partei ergreifen" muss, heißt natürlich: Da gibt es gar nichts zu entscheiden, sondern alles ist längst klar! Nachfragen, Güterabwägungen treffen, gar abweichende Meinungen vertreten im Land der Meinungsfreiheit – das war gestern. Das war nämlich, bevor "Putin" uns diese "neue Realität" beschert hat – siehe oben!
Man sollte festhalten: Wenn deutsche Medienmacher diese Rede der deutschen Außenministerin mehrheitlich gut finden, wenn Annalena Baerbock als die "positive Überraschung dieser Regierung" gefeiert wird (Die Welt), dann ist das eine Auskunft über den Zustand der deutschen Gesellschaft.
Diese Gesellschaft ist sich – mit Baerbock – einfach sicher, über die besten Werte dieser Welt zu verfügen. Demnach sieht es zurzeit so aus, dass auf dem Globus Demokratien gegen autoritäre Regime kämpfen, Freiheit gegen Unterdrückung. Das macht nicht nur jede Frage danach überflüssig, was Herr Müller in Essen in seinem Niedriglohn-Job von der "lupenreinen" deutschen Demokratie eigentlich hat oder was Frau Orlowa im autoritären Putin-Russland eigentlich fehlt (außer "lupenreiner Demokratie" natürlich).
Das ersetzt nicht nur alles Nachdenken über Interessen und Gegensätze in wie zwischen den Nationen. Das versetzt vor allem in den Zustand einer moralischen Selbstgerechtigkeit, die es dem Rest der Welt wieder einmal zeigen muss – was die Grünen in ihrem Wahlkampf ja unmissverständlich klar gemacht haben, soll also hinterher keiner sagen, man habe nichts wissen können.
Frieden schaffen mit deutschen Waffen
Vom Standpunkt dieser gefestigten deutschen Kriegsmoral aus kommt es natürlich nicht infrage, auch nur festzuhalten, dass die Nato in den letzten Jahrzehnten Russland durch die Aufnahme von 14 Staaten und das Vorrücken um 1.000 km nach Osten so sehr in die Enge getrieben hat, dass dessen Führung nun eine letzte "rote Linie" überschritten sieht. Ebenso wenig sind da Kompromisse möglich, z.B. eine "neutrale Ukraine" – was übrigens dem lauthals bedauerten "Leiden der Ukrainer:innen" schnell ein Ende bereiten würde.
Stattdessen lautet die Vorgabe der Außenministerin:
Wir haben uns dafür entschieden, die Ukraine militärisch zu unterstützen – damit sie sich im Einklang mit Artikel 51 unserer Charta gegen den Aggressor verteidigen kann. Deutschland ist sich seiner historischen Verantwortung in vollem Umfang bewusst. Deshalb bekennen wir uns heute und für alle Zukunft zur Diplomatie und werden immer nach friedlichen Lösungen suchen. Aber wenn unsere friedliche Ordnung angegriffen wird, müssen wir dieser neuen Realität ins Gesicht sehen. Wir müssen verantwortungsvoll handeln. Und deshalb müssen wir heute vereint für den Frieden eintreten!
Doch dieses Eintreten für den Frieden mündet in noch mehr Krieg: "Waffenlieferungen in Kriegsgebiete" – bisher untersagt in Deutschland – müssen ab jetzt und in diesem Fall unbedingt sein. Die Außenministerin erinnert an unsere "historische Verantwortung", die ja bekanntermaßen darin besteht, dass Nazi-Deutschland die Ukrainer:innen fast ausgerottet hatte.
Der Schluss daraus: Weil Putin "unsere friedliche Ordnung" angegriffen hat, müssen eben diese Ukrainer:innen dringend zu einem Guerilla-Krieg gegen die russischen Invasoren ermutigt werden – für den Frieden natürlich!
Kein böses Wort übrigens gegen einen ukrainischen Präsidenten, der alle Männer zwischen 18 und 60, die vor dieser Hölle weglaufen wollen, festhält und zwingt, ihr Leben zu opfern für seine Machterhaltung. Kein böses Wort gegen polnische und rumänische Grenzer, die die ukrainischen Männer gewaltsam in "ihr Vaterland" zurücktreiben.
Nebenbei bemerkt: Praktisch schicken die westlichen Friedensbewahrer inzwischen freiwillige Fremdenlegionäre und US-Veteranen an die Front und es ist auch schon von Kampfflugzeugen die Rede. Es kommt also voran mit dem Kampf der Demokratien.
Kampf auf Leben und Tod
Aber jetzt geht es um die Gegenwart. Es geht um Familien, die in U-Bahn-Stationen Schutz suchen, weil ihre Häuser bombardiert werden. Es geht um Leben und Tod der ukrainischen Bevölkerung. Die Sicherheit Europas steht auf dem Spiel. Die Charta der Vereinten Nationen steht auf dem Spiel. Fast jedes Land, das hier vertreten ist, hat einen größeren, einen mächtigeren Nachbarn. Es geht hier um uns alle, meine Damen und Herren.
Das Leben der ukrainischen Bevölkerung wäre rasch gerettet, wenn die Nato auf eine mögliche Mitgliedschaft des Landes verzichten würde. Gehört zur "Sicherheit Europas" eigentlich nicht auch die Russlands? "Die Charta der Vereinten Nationen steht auf dem Spiel" – wegen eines Kriegs? Dann dürfte es sie schon lange nicht mehr geben. Und wer schützt eigentlich vor dem "mächtigsten" Militärbündnis der Welt?
Logik und Wahrheit? Hier geht es um Höheres. Und hier spricht die Außenministerin des Landes, das gerade beschlossen hat, den drittgrößten Militäretat der Welt auf den Weg zu bringen.
Bischof Desmond Tutu sagte einst: "Wer sich in Situationen der Ungerechtigkeit neutral verhält, stellt sich auf die Seite des Unterdrückers." Heute müssen wir uns alle entscheiden. Zwischen Frieden und Aggression. Zwischen Gerechtigkeit und dem Willen des Stärksten. Zwischen Handeln und Wegsehen.
Auch ohne den historischen Kontext genauer zu kennen, in dem Desmond Tutu seine Aussage gemacht hat, ist doch anzunehmen, dass es ihm um die soziale Frage im südafrikanischen Apartheidstaat gegangen ist. Aber das Zitat eines Friedensnobelpreisträgers ist natürlich immer schön und was nicht passt, wird passend gemacht. Also wird es kurzerhand auf die Ebene der Staatenkonkurrenz übertragen.