Bahnstreik der GDL – die Medien machen mobil
Die Vertretung der Eisenbahner unterwirft sich nicht der Logik etablierter Gewerkschaften. Das widerspiegelt sich deutlich auch im Bild der Presse von dem Arbeitskampf. Ein Kommentar
Die Gewerkschaft der Lokführer (GDL) hat nach einer Urabstimmung einen Streik ausgerufen, um ihre Forderung nach einer Lohnerhöhung Nachdruck zu verleihen. Dies ist für die meisten Medien nicht etwa nur Anlass, darüber zu berichten, sondern sie fühlen sich geradezu herausgefordert, dagegen Stellung zu beziehen.
Ein Streik zur Unzeit
"Mitten in der Ferienzeit trifft ein Bahnstreik Millionen Berufspendler und Urlauber", weiß die Süddeutsche Zeitung zu berichten. Und ihr Kommentator legt gleich nach: "Pendler, Urlauber und Dienstreisende dürfen sich jetzt auf Verspätungen freuen – oder Verbindungen, die ausfallen." (Alexander Hagelücken, SZ 11.8.2021).
So ergreifen Medien Partei für die Betroffenen, und der Schuldige ist in der Tarifauseinandersetzung ausgemacht: die Gewerkschaft. Dass eine Tarifauseinandersetzung immer zwei Parteien hat, fällt dabei zunächst unter den Tisch.
Nicht die Arbeitgeber sind schuld, die eine Anpassung der Löhne an die Inflation verweigern, sondern die Gewerkschaft, die sich das nicht gefallen lässt.
Dabei wollen die verantwortungsvollen Journalisten das Streikrecht keineswegs infrage stellen: "Die Autonomie der Tarifpartner ist eine Errungenschaft, mit der Deutschland gut gefahren ist. Streiks sind unbequem, aber im Arbeitskampf ein legitimes Mittel.
Das gilt ausdrücklich auch für die Mitglieder der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer. Trotzdem kommt der Streik jetzt zur Unzeit. Mehr noch: Er ist ein Schlag ins Gesicht der Bahnreisenden und aller Menschen, die sich vor der Ansteckung mit Corona fürchten." (Jörg Quoos, WAZ 11.8.2021)
Dass die Tarifautonomie den Mitgliedern der Gewerkschaften viel bringt, will der Kommentator nicht behaupten, wenn er feststellt, dass sie Deutschland viel nützt: Das Land verfügt über ausreichend viele billige und willige Arbeitskräfte - den Tarifpartnern sei Dank. Deshalb dürfen die Gewerkschafter in seinen Augen auch mal streiken.
Kritisiert haben will er nur den Zeitpunkt. Dabei hat es noch nie einen Zeitpunkt gegeben, an dem ein Streik angemessen gewesen wäre. Auch er sieht in dem Streik nicht ein Mittel gegenüber dem Arbeitgeber, sondern einen einzigen Anschlag auf die Bahnkunden.
Und wenn die Bahn ihr Fahrgastangebot kürzt und die Züge voller werden, dann sind die Lokführer Schuld an steigenden Infektionszahlen.
"Die GDL überzieht total ..."
... weiß der Kommentator der Süddeutschen Zeitung mitzuteilen. Dabei verliert er kein Wort über die Forderungen der GDL, die mehr als bescheiden sind. Mit ihrem Beharren auf eine Lohnerhöhung von 3,2 Prozent auf zwei Jahre bleibt die angeblich so radikale Gewerkschaft deutlich unter der Preissteigerungsrate von 3,8 Prozent in diesem Jahr, wobei einige Ökonomen noch von einem weiteren Anstieg ausgehen.
Insofern nimmt diese Gewerkschaft einen Kaufkraftverlust ihrer Mitglieder in Kauf. Doch selbst diese Forderung ist dem Bahnvorstand zu viel. Er will neben einer Nullrunde in diesem Jahr Abschlüsse für die nächsten vier Jahre, die weit unter der Inflationsrate liegen und so einen Lohnverlust für die Beschäftigten auf Jahre festschreiben.
Dass die Gewerkschaft überzieht, macht der Kommentator daher auch nicht an der Forderung fest, sondern an der Lage der Bahn:
Wie geht's der deutschen Bahn? Sie dürfte heuer wegen Corona zwei Milliarden Euro Verluste machen - nach sechs Milliarden im Vorjahr. In dieser Situation kämpft keine verantwortungsvolle Gewerkschaft für jedes Zehntelprozent mehr Lohn.
Eine gute deutsche Gewerkschaft - und da sind die DGB-Gewerkschaften Vorbild - orientiert sich nicht an den Notwendigkeiten eines Einkommens seiner Mitglieder, sondern an der Lage des Unternehmens.
Wenn das Unternehmen Verluste macht, dann ist es in den Augen des Schreibers eine Selbstverständlichkeit, dass die Beschäftigten dafür grade zu stehen haben.
Zwar sind sie nicht schuld an Corona, aber sie sollen die daraus entstehenden Verluste ausgleichen durch Lohnsenkungen, denn nichts anderes ist eine Nullrunde oder ein Abschluss unter der Inflationsrate. Dass man diese Logik auch umdrehen könnte, kommt niemanden in den Sinn.
Wieso muss nicht die Bahn die steigenden Mieten, Energiepreise etc. ausgleichen, die den Mitarbeitern der Bahn ständig Verluste in ihrem Portemonnaie verursacht - und das schon seit Jahren.
Diese Sorgen erscheinen dem Autor lächerlich – Zehntelprozente – angesichts der riesigen Verluste des Unternehmens, für die es jederzeit Kredite vom Staat erhält. Gerade die Bescheidenheit der GDL wird ihr deshalb zum Vorwurf gemacht.
Angesichts der niedrigen Forderungen kann dies nicht der eigentliche Beweggrund für den Streik sein. Der GDL geht es in den Augen der Kommentatoren in Wahrheit um die Macht!
Streik als Machtkampf
"Der Arbeitskampf eskaliert jedoch vor allem, weil es für die GDL um einen Machtkampf mit der größeren Konkurrenzgewerkschaft EVG geht." (SZ, 11.8.2021) Diese Behauptung stimmt nur teilweise, steht die GDL doch auch in einem Machtkampf mit der Politik, die mit dem Tarifeinheitsgesetz die Tariffähigkeit der GDL stark beschnitten und so die GDL in die Situation gebracht hat, sich selbst behaupten zu müssen.
In Deutschland werden Gewerkschaften nicht einfach verboten, denn die Politik weiß die Leistung der DGB-Gewerkschaften zu schätzen. Diese haben aus der Abhängigkeit der Beschäftigten vom Wohl der Unternehmen, welche diesen immer wieder Existenzunsicherheit verschafft, eine positive Grundlage für ihre Tätigkeit gemacht: Sie kümmern sich in Form der Mitbestimmung in Aufsichtsräten oder mittels Betriebsräten um den Erfolg und das Wohl "ihrer" Unternehmen.
Deshalb sind sie auch immer bereit, Entlassungen zuzustimmen und die negativen Folgen durch Sozialpläne abzumildern. Lohnforderungen werden auf den Gang des Geschäftes abgestimmt.
Deshalb gibt es zurzeit Nullrunden und Lohnverluste, weil die Inflation stets höher ist als die Lohnabschlüsse. Dies alles inszeniert als gewerkschaftlichen Kampf mit Transparenten und Trillerpfeifen.
Diese Form der Interessenvertretung von Arbeitnehmern lassen sich aber nicht mehr alle Arbeitnehmer gefallen. Zu ihnen gehören auch die Mitglieder der GDL.
Sie orientieren ihre Forderungen nicht einfach am Wohl der Unternehmen, sondern haben die wirtschaftliche Situation ihrer Mitglieder im Auge. Sie sehen sich aber bei dieser Interessenvertretung nicht nur den Konkurrenzgewerkschaften gegenüber, sondern auch der geballten Macht der Politik und der Medienöffentlichkeit, die versucht, die Bevölkerung gegen diese Gewerkschaften in Stellung zu bringen.
Zwar haben Arbeitnehmer ein Recht, sich zusammenzuschließen und eine Gewerkschaft zu gründen - was diese darf und was nicht, ist jedoch gesetzlich geregelt. Um zu verhindern, dass es konkurrierende Gewerkschaften im jeweiligen Betrieb gibt mit unterschiedlichen Abschlüssen, wurde das Tarifeinheitsgesetz verabschiedet.
Es schiebt damit hauptsächlich einen Riegel vor die Konkurrenz gegen die DGB-Gewerkschaften. Zwar gibt es im Öffentlichen Dienst mehrere Gewerkschaften. Sie bewegen sich aber alle auf der Linie des DGB. Insofern war dieses Gesetz eines gezielt gegen GDL, UFO und andere sogenannte Spartengewerkschaften, verabschiedet mit einhelliger Zustimmung aller regierenden Parteien und auch der Grünen.
So steht die GDL vor der Alternative, sich dieser Auseinandersetzung zu stellen oder sich als Alternative zu den DGB-Gewerkschaften aufzugeben.
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