Bakterienkolonien und kollektives Gehirn
Kreative Netze im präkambrischen Zeitalter - Geschichte des globalen Gehirns II
Die Entwicklung eines globalen Gehirns durch die Computernetze wird von manchen als der Eintritt der Menschheit in ein neues Zeitalter angesehen. Mittlerweile aber hat das steigende Wissen um Netze in technischen, sozialen und biologischen Systemen zu neuen Erkenntnissen geführt, die uns die Geschichte des Lebens und die Theorie der Evolution ganz anders sehen lassen. Howard Bloom zeigt im ersten Teil seiner Geschichte des globalen Gehirns, wie sich aufgrund neuer Forschungen bereits bei den "primitiven" Mikroorganismen der biologischen Frühzeit ein sozialer Meta-Organismus und ein kollektives Gehirn ausgebildet haben.
Anfänge einer vernetzten Existenz
Seit etwa 10 Jahren haben Wissenschaftler und andere Autoren in schneller Folge Bücher über ein entstehendes globales Gehirn veröffentlicht, das durch Computernetze verknüpft ist. Das Internet, das World Wide Web und seine Nachfolger ermöglichen bereits jetzt einem Neurowissenschaftler in Straßburg seine Ideen sofort mit einem Geschichtsphilosophen in Sibirien und einem Algorithmenjongleur im Silicon Valley auszutauschen. Aber das ist, wie die Visionäre der weltweiten Meta-Intelligenz behaupten, nur der Beginn einer eben anbrechenden Veränderung der Menschheit.
Meine sich über 16 Jahre erstreckende interdisziplinäre Arbeit scheint auf etwas davon sehr Verschiedenes hinzuweisen. Sicher, die Computervernetzung der einzelnen Menschen und ihres Geistes wird zu erheblichen Veränderungen führen. Doch ein weltweiter Neokortex ist kein Geschenk des Siliziumzeitalters. Er ist eine Stufe in der fortwährenden Evolution einer vernetzten Intelligenz, die bereits seit langer Zeit existiert. Und sie beschränkt sich weder auf den Menschen, noch ist sie ein Produkt der Technologie. Die Natur ist hinsichtlich des Konnektivismus weitaus klüger als wir. Ihre Mechanismen für den Informationsaustausch, die verteilte Datenverarbeitung und die kollektive Schöpfung sind komplizierter und beweglicher als alles, was die besten Computerwissenschaftler jemals entworfen haben.
Der erste Schock für die Theoretiker der elektronisch vernetzten Intelligenz könnte das Alter des biotischen Gegenstücks sein. Die Schwerkraft presste diesen Planeten vor 4,7 Milliarden Jahren zusammen. Nach gerade einmal 500000 Jahren, seitdem sich die Erdkruste stabilisiert hatte, fügten die Kräfte der chemischen Bindung das erste Leben zusammen, das sich entdecken läßt. Und einen geologischen Augenblick später, ungefähr vor 3,5 Milliarden Jahren, hinterließen die ersten kollektiven "Gehirne" ihre unauslöschlichen Spuren an der Oberfläche der Gewässer. Diese Spuren werden Stromatolithen genannt. Das sind mineralische Ablagerungen von der Größe eines Zentimeters bis zu der eines Menschen oder gar bis zum riesigen Umfang eines Riffs. Stromatolithen entstanden durch die Zusammenarbeit von Kolonien mit mehr Mikroorganismen pro Megalopolis als die Bevölkerung von Mexico City. Diese Gemeinschaften von Prokaryoten gedeihten in den seichten Gewässern tropischer Seen und in den Gezeitentümpeln des Meeres.
Die felsigen Ablagerungen, die alte Stromatolithen hinterlassen haben, wurden von Heerscharen von Cyanobakterien geschaffen, von innerlich so einfachen Organismen, daß sie nicht einmal ihre DNA in einem Zellkern versammelt haben. Aber während der ersten Äonen ihrer Existenz hatten diese primitiven Zellen bereits einen der grundlegenden Tricks der Gesellschaft herausgefunden: die Arbeitsteilung. Einige Mitglieder der Kolonie spezialisierten sich auf Photosynthese und speicherten die Energie des Sonnenlichts in den vielgestaltigen, komplexen Molekülen der ATP. Die von der Sonne mit Energie ausgestatteten Monteure nahmen Nahrungsstoffe aus ihrer Umgebung auf und lagerten die unbrauchbaren Überreste in potentiell giftigen Abfallbergen. Ihre sehr unterschiedlichen Bakterienverwandten ernährten sich hingegen von dem toxischen Abfall, der ihre photosynthetischen Familienangehörigen sonst hätte töten können.
Die Masse dieser unabhängigen Lebewesen wurde von einem schützenden Gewölbe ihres eigenen Baus zusammengehalten. Eine Mini-Lasagne verbundener Cyanobakterien bildet eine kreisförmige Niederlassung. Das Wasser, in dem die Heimstatt sich befindet, spült eine Schicht aus Lehm und Erde über den entstehenden Bau. Manche der Bakterien senden Fäden aus, um diese Karbonatablagerungen zu binden. Schicht für Schicht bildet die Kolonie ihre Infrastruktur, ein wellenförmiges oder domähnliches Bauwerk, das im Verhältnis zu seinen Erbauern ungefähr so groß wie Australien für ein einzelnes Kind mit Eimer und Sandschaufel ist.
Viele Stromatolithen haben ein besonderes Kennzeichen, deren Bedeutung bislang übersehen wurde. Ihre versteinerten Überbleibsel breiten sich weiterhin von einem Zentrum in Wellen aus: ein sehr vertrautes Muster für die wenigen Wissenschaftler, die eine bislang nicht vermutete Eigenschaft von Bakterien untersucht haben - soziale Intelligenz.
Das bakterielle Netzwerk
Eshel Ben Jacob an der Universität von Tel Aviv und James Shapiro von der University of Chicago haben Bakterienkolonien aus einer ganz neuen Perspektive untersucht und überraschende Ergebnisse erhalten. Was sie gefunden haben, erklärt, warum die Wellen ein Zeichen für ein bakterielles Netzwerk und für noch weitaus mehr sind.
Über Generationen stellte man sich Bakterien als einsame Zellen vor, die unabhängig voneinander leben. Ben Jacob und James Shapiro haben jedoch gezeigt, daß nur einige Bakterien, wenn überhaupt, Einsiedler sind. Sie sind äußerst soziale Lebewesen. Und so unterentwickelt ihre zelluläre Struktur auch sein mag, so ist ihre soziale Struktur ein Wunder. Die Wellen sind eine Manifestation der koordinierten Taktik einer Kolonie zur Beherrschung ihrer Umwelt. Wir können sie als die Methode von Probieren und Schwelgen bezeichnen.
Der Keim einer Bakterie kommt in ein reichhaltig Nahrung enthaltendes Gebiet. Wenn sie die Nährstoffe verbraucht, in die sie geraten ist, pflanzt sie sich mit einer schwindelerregenden Rate fort. Aber manchmal geht der ursprüngliche Nahrungsvorrat aus, der an ihrem Ausgangspunkt stand. Wenn die einzelnen Bakterien, deren Zahl jetzt in die Millionen gehen kann, vom Hunger heimgesucht werden, sterben sie im Unterschied zu den Bürgern Athens während der Hungerplage im Jahre 430 nicht dort, wo sie sich gerade befinden. Diese Prokaryoten schließen sich zu einer gemeinsamen Unternehmung zusammen, die die Kolonie am Leben erhalten soll.
Die ursprüngliche Nachkommenschaft des ersten Keims war seßhaft. An einem Ort verwurzelt zu sein, macht Sinn, wenn es in diesem Mikroteil eines Territoriums einen Überfluß an Eßbarem gibt. Jetzt aber ist die unbewegliche Form dieser ersten Bakterien keine kluge Idee mehr. Zahlreiche Zellen stellen sich um. Sie erzeugen nicht mehr Couch Potatoes wie sie selbst, sondern sie lenken ihre verbleibenden Kräfte darauf, Abkömmlinge einer ganz anderen Art herzustellen - wilde Umherstreifer, die zur Bewegung gebildet wurden. Anders als ihre Eltern tummelt sich die neue Generation mit einer Reihe von äußerlichen Geißeln, mit denen sie sich über eine harte Oberfläche schlängeln oder durch Wasser rudern können. In Massen strömen sie aus, um ihr Glück zu suchen, und breiten sich in Form eines Ringes um die von ihren Vorfahren erbaute Heimstatt aus. Die Reisen dieser Wagemutigen führen wieder zu mehr Nahrung.
Erfolgreiche Nahrungssucher erleben eine weitere große Veränderung. Sie lassen wieder Abkömmlinge entstehen, die dazu bestimmt sind, wie einst ihre Großeltern an einem Ort zu bleiben. Diese häuslichen Wesen fressen, was ihnen ihre neue Umgebung anbietet. Schließlich ist auch ihr Zuhause leer geräumt. Dann gehorchen sie der Tradition der Bakterien und bilden einen neuen Schwarm unternehmungslustiger Pioniere. Jede Generation von Emigranten hinterläßt einen Kreis, der mit der sich ausbreitenden Suche kleiner wird. Und jede Generation von Siedlern verdichtet sich in einem dicken Band, während sie Nahrung von ihrem Aufenthaltsort aufsaugt. Die Wellen der alten Stromatolithen sind ein positiver Beweis, daß das Leben vor 3,5 Milliarden Jahren bereits Vorteile aus der sozialen Kooperation gezogen hat.
Die Forschungen von Ben Jacob und Shapiro haben gezeigt, daß Bakterienkolonien durch Kommunikationsverbindungen komplex vernetzt sind. Sie besitzen viele Signalmittel: chemische Ausschüttungen, mit denen eine Gruppe ihre Entdeckungen allen anderen Nachbarn mitteilt; Fragmente genetischen Materials, die jeweils eine andere Geschichte von einem Ende zum anderen der Population überträgt. Und eine Vielzahl von Mitteln für die Fernübertragung von Daten.
Diese verwandeln eine Kolonie in einen kollektiven Prozessor zum Aufspüren von Gefahren, zum Empfinden der Umwelt und, wenn erforderlich, zu radikalen Anpassungen, um zu überleben und zu gedeihen, egal wie schwer die Herausforderung ist. Die daraus entstehende modulare Lernmaschine ist so klug, daß Eshel Ben Jacob sie ein kreatives Netz genannt hat.
Man nehme beispielsweise einen Prozeß, der zu den versteinerten Stromatolithen geführt haben könnte, die wie epileptisch mißgestaltete Würste sich über eine Entfernung von zwei Metern und mehr dahinschlängeln. Nicht alle Bakterien besitzen die Strategie der runden Wellen zur Erkundung und Ausbeutung. Manche wie die im Wasser lebenden Myxobakterien - Gruppenjäger, die Opfer von der Größe anderer Mikroorganismen bis hin zu Fischen jagen - werden sich strecken und krümmen, bis sie den chemischen Duft eines Opfers einfangen. Aber um die interne Funktionsweise einer dieser sich bewegenden Kooperativen zu verstehen, ist es sinnvoll, über Eshel Ben Jacobs Schultern zu schauen, während er seit sieben Jahren seine Forschungsarbeit durchführt und entdeckt, wie einzelne Bakterien so "vorverdrahtet" sind, daß sie zu Komponenten einer größeren Informationsverarbeitungsmaschine werden.
Das kollektive Gehirn der Bakterien
Wenn der Hunger zuschlägt, legen einige Banden von Bakterienkundschaftern einen weiten Weg zurück, der zu einem ebenso unfruchtbaren Territorium führt, wie dasjenige, von dem aus sie geflohen sind. Aber sie erleiden ihr Schicksal nicht stillschweigend, da es die sensorischen Tentakel gibt, mit denen die größere Gruppe ihre Umgebung wahrnimmt. Sie müssen ihre Entdeckungen mitteilen und senden eine chemische Botschaft aus: "Vermeide mich!" Andere Erkundungsgruppen schenken der Warnung Beachtung und meiden ihre Schwestern, die in der Wüste gelandet sind. Indem sie chemotaktische Abstoßungssignale freisetzen, haben die gescheiterten Pfadfinder ihr Schicksal besiegelt. Sie werden ohne Hilfe und alleine in der Sahara sterben, in die sie gewandert sind. Aber ihr Selbstmord diente dem kollektiven Sammeln von Informationen und fügte der wachsenden Datenbank über die Umwelt Überlebensberichte hinzu.
Andere Bakterienzellen erleben turbulente Situationen, die sie vernichten, bevor sie ihre chemischen Bewertungen versenden können. Doch auch sie schaffen es, Informationen über ihre Entdeckungen mitzuteilen, da Fragmente ihrer zerstörten Genome durch die Kolonie schweben und die Botschaft einer Gefahr transportieren. Dann gibt es noch die Reisenden, deren Fahrt sie in ein neues, verheißungsvolles Land bringt. Sie senden eine ganz andere chemische Botschaft aus. Frei übersetzt, lautet sie: "Heureka, wir haben es gefunden. Schließt euch so schnell wie möglich an."
Die Bakterienkolonie zeigt mit all dem die klassischen Merkmale eines komplexen adaptiven Systems, das in Zusammenarbeit lernt. Wie John Holland, ein früher Pionier der Forschung über komplexe adaptive Systeme, sagt, führt das "Verhalten einer unterschiedlichen Menge von Agenten" zu "gemeinsamen Fähigkeiten", die die des Individuums weit überschreiten. Das ist die Leistung eines massiv parallel arbeitenden Systems, wovon der moderne Supercomputer ein weiteres Beispiel ist.
Aber Ben Jacobs Untersuchungen weisen darauf hin, daß Bakterienkolonien bereits vor 3,5 Milliarden Jahren riesige Schritte jenseits aller Kapazitäten von Computern, die Menschen jemals gebaut haben, gemacht haben. Die informationsvernetzten Mikroorganismen unter Ben Jacobs Mikroskop besitzen eine Fähigkeit, die jede Maschine von Cray oder Fujitsu übertrifft. Da sie als Gruppe arbeiten, verfügen Bakterien über einen Verwandlungstrick, den man lange für unmöglich gehalten hatte. Es ist kein Zufallsprozeß wie die Mutation, sondern eine zielorientierte, "teleonomische" Begabung. Sie können als ihre eigenen Geningenieure handeln und benützen auch tatsächlich dieselben Werkzeuge wie die modernen Genbastler: Plasmide, Vektoren, Phagen und Transposone. Wenn sich die Strategie der Kolonie, in einer Gruppe zu jagen und zu fressen, als nutzlos erweist, dann lösen die ans Zentrum zurückgesendeten Botschaften keine neuen Migrationswellen aus, sondern sie werden zu Rohdaten für die genetische Forschung und Entwicklung.
Ben Jacob wollte herausbekommen, wie erfinderisch der Prozeß der Neugestaltung des Genoms wirklich ist. Haben Bakterien in Not nur vorfabrizierte DNA-Spiralen eingebaut und sind zu alten Strategien zurückgekehrt? Oder konnten sie ganz neue Lösungen entwickeln? Der israelische Physiker, der sich der Mikrobiologie zugewandt hat, erklärt, wie er den Kreativitätstest für die Mikroben angelegt hat: "Wir versuchten, Bakterienkolonien neuartigen Bedingungen auszusetzen, denen sie niemals zuvor begegnet waren. Es waren harte Bedingungen, bei denen es um Leben und Tod ging. Wir wollten wissen, wie erfinderisch sie beim Umbau ihres genetischen Codes sein können. Wir nahmen beispielsweise Bakterien, die sich auf Agar nicht bewegen konnten, wohl aber dazu fähig waren, in einer Flüssigkeit frei umherzuwandern. Wir setzten sie in Agar, in die Wildnis ihrer schlimmsten Alpträume, und entzogen ihnen Nährstoffe. Die Notwendigkeit, sich durch eine Suche nach günstigerem Land auszubreiten, war eine kreative Herausforderung."
Durch die Bildung eines modularen Netzwerks, das die Kapazitäten eines Supercomputers überschreitet, und durch die Veränderung ihres Genoms in ihrem Inneren konnten die in Massen auftretenden Experimentiergruppen das Problem lösen. Die vernetzten Gehirne der Computervisionäre wiederholen so nur eine der ältesten Lebensstrategien auf der Erde.
Hinter der reinen Vernetzung beginnt eine weitere futuristische Vision: die des globalen Gehirns. Auch hier haben die Mikroben die Menschheit weit hinter sich gelassen. Bakterien und ihre häufigsten Feinde, die Viren, beherrschen schon längst den weltweiten Austausch von Informationen. Beide nehmen Schnipsel genetischen Materials, ähnlich wie Menschen mit Selbstanleitungsbüchern arbeiten. Dieses System der molekularen Unterhaltung ermöglicht es den Mikroorganismen, eine Verbesserung von Kontinent zu Kontinent zu telegraphieren. Die Art und Geschwindigkeit der Kommunikation kann erstaunlich sein. Nehmen wir einige moderne Beispiele. Viren sind solch gute Sammler von Genpaaren, daß sie molekulares Material von Walen oder Affen holen und in das von Möwen oder Katzen einfügen können. Im Laboratorium übertragen sie Gene von Glühwürmchen in die zelluläre Steuerzentrale von Tabakblättern und veranlassen so, daß die Pflanzen in der Dunkelheit leuchten. Auch Bakterien ziehen ihren Nutzen aus diesem globalen System der genetischen Vermischung.
In der Gegenwart haben Mitglieder der mikrobiologischen Verwandtschaft die Macht ihrer Informationszusammenfügung gezeigt. Während der 80er Jahre starben Neugeborene unerwarteterweise in modernen Krankenhäusern an Lungenentzündung. Erwachsene, die sich von Operationen erholten, litten an geheimnisvollen Infektionen. Das Problem war nicht auf einen kleinen Ort beschränkt. Patienten aus Deutschland, Frankreich, den USA und Japan waren neuen Formen bakterieller Angriffe ausgesetzt. Am Erstaunlichsten war die Tatsache, daß die Bakterien, die diese überraschenden Angriffe ausführten, praktisch über Nacht eine Resistenz gegenüber einem halben Dutzend von Antibiotika zu entwickeln schienen. Eine Klinik in Tokyo gab kund, daß Bakterien plötzlich die Fähigkeit erwarben, die Verteidigung zu durchbrechen, die durch ein früher unüberwindbares Streptomycin-Medikament aufgebaut wurde. Fast zur selben Zeit teilte ein Krankenhaus in San Francisco mit, daß die Bakterien in seinen Gängen denselben erschreckenden Trick zu beherrschen schienen.
Das genetische Äquivalent einer gemeinsamen Datenbank ermöglichte es Bakterien und Viren, die durch Telefone, Computer, internationale Konferenzen und Zeitschriftenartikel vernetzten Wissenschaftler zu übertrumpfen. Die neuen Techniken, die das globale mikrobiologische Gehirn erfand, waren teuflisch schlau. Beta-Lactam behindert beispielsweise den Bau des äußeren Rings bei Bakterien. Als pharmazeutische Unternehmen Antibiotika perfektioniert hatten, die Beta-Lactam herstellen, veränderten sie regelmäßig die Komposition ihrer Entdeckungen, um die bakterielle Evolution zu verhindern. Das Rennen zwischen Forschern und ihren bakteriellen Widersachern begann 1942. Über Jahrzehnte führten die Wissenschaftler, dann wurden sie schließlich von den Bakterien besiegt.
Das Beta-Lactam-Antibiotikum wirkt durch die Zerstörung eines bakteriellen Enzyms, das man Beta-Lactamase nennt. Infektiöse Bakterien traten zum Gegenschlag an, indem sie Bauanleitungen für unempfindliche Formen der Beta-Lactamase aus nicht-infektiösen Ketten ausliehen oder neue undurchdringliche Variationen entwickelten.
Tetracyclin, ein anderer Krankheitskiller, der zuvor feuerfest war, stand in den 60er, 70er und 80er als Medikament zur Auswahl. Aber in den 90er Jahren wurde Tetracyclin fast unwirksam. Dieses Antibiotikum hatte die Eigenschaft, die zentralen Proteinbildner zu sabotieren. Die Bakterien reagierten durch die Entwicklung einer Pumpe, die das Antibiotikum buchstäblich wieder hinausspuckte.
Die heutigen Mikroorganismen können sich so schnell bewegen, weil sie zwei Vorteile besitzen, die ihre frühen Vorfahren nicht hatten: die Fähigkeit, nützliche Genknäuel von Millionen verschiedener Arten aufzunehmen, und die Hilfe schneller Flugzeuge, um Innovationen von einer Population zur nächsten zu bringen.
Doch man sollte die potentielle Reichweite des mikrobiologischen Netzes des Präkambriums nicht unterschätzen. Die Chancen sind gut, daß die frühesten Mikroorganismen auf Wind- und Wasserströmen über die Erde reisten. Wissenschaftler haben bereits elf verschiedene Bakterienarten entdeckt, deren Alter auf bis zu drei Milliarden Jahren zurückreicht. Angesichts der Neuheit dieser Funde, werden diese elf Arten wahrscheinlich im nächsten Jahrzehnt als schwacher Abglanz der Vielfalt des proto-biotischen Lebens gelten. Aller Wahrscheinlichkeit nach entstand das globale Gehirn der Mikroben, ausgestattet mit weitreichendem Transport, Datenaustausch, genetischen Varianten, aus denen sich schnell neue Geheimnisse ziehen lassen, und der Fähigkeit, das Genom selbst neu zu erfinden, etwa 3,5 Milliarden vor der Geburt des Internet.
Ironischerweise sollten zukünftige multi-zelluläre Formen mit einer Fülle neuer Fähigkeiten auf das Land und ins Wasser einziehen. Ihre mikrobischen Nachbran aber benutzten weiterhin das globale Gehirn. Trotz der Tatsache, daß die vernetzte Intelligenz ein Schlüssel für das Überleben der "fortgeschritteneren" Arten blieb, waren weitere 1,5 Milliarden Jahre Versuch und Irrtum erforderlich, bevor sich das globale Gehirn unter den "höheren Tieren" wieder herausbildete - zusammen mit der frühen Verbreitung von Werkzeugen aus Stein.
Aus dem Englischen übersetzt von Florian Rötzer