"Banken abstürzen lassen"

Die baskische Wirtschaftswissenschaftlerin Miren Etxezarreta über politische Verantwortlichkeit, die spanische Banken-Rettung und Alternativen

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Miren Etxezarreta ist emeritierte Professorin für angewandte Ökonomie an der Autonomen Universität von Barcelona. Sie hat einen Doktortitel der London School of Economics und der Universität Barcelonas. Die 76-jährige Baskin aus der Kleinstadt Ordizia lebt in der katalanischen Metropole Barcelona.

Geht es in Spanien nun um eine eine Rettung, eine Banken-Hilfe oder einen Kredit?

Miren Etxezarreta: Gesprochen wird in der Öffentlichkeit über alle diese Begriffe gleichzeitig. Die Regierung spricht nur über einen Kredit und wir und die Kritiker der Regierung sprechen von einer Rettung.

Handelt es sich um eine richtiggehende Rettung?

Miren Etxezarreta: Ja, der einzige Unterschied liegt vielleicht in den Auflagen, die Spanien im Vergleich zu den anderen Ländern gemacht werden, die schon unter den Rettungsschirm gehen mussten. Das wird gegenüber der Öffentlichkeit behauptet, wobei ich große Zweifel daran habe, ob das überhaupt so ist.

Beziehen sich die Zweifel darauf, dass aus der EU-Kommission sehr deutlich gesagt wird, dass stets der die Bedingungen stellt, der das Geld gibt? Zudem werden auch Verknüpfungen zum Defizit gemacht.

Miren Etxezarreta: Zuerst muss ich natürlich anmerken, dass die Glaubwürdigkeit dieser Regierung am Nullpunkt angelangt ist. Noch vor wenigen Tagen haben sie mit Nachdruck erklärt, es werde keine Rettung geben, dabei wussten wir praktisch alle, dass es dazu kommen würde. Ihnen ihre Behauptungen jetzt abzunehmen, wäre ein schlichter Glaubensakt. Im Ausland sprechen ohnehin praktisch alle von einer Rettung. Die Regierung versucht uns dagegen in einer Marketingoperation weiszumachen, dass dies keine Konsequenzen für uns haben werde. Doch die werden kommen.

Man muss bedenken, dass es der Austeritätskurs längst umgesetzt wird. Es gibt bereits Einschnitte ins Bildungs-, Gesundheits- und Sozialsystem und auch die Steuern wurden mit der Ausrede erhöht, eine Rettung verhindern zu wollen. Die Auflagen, die mit einer Rettung verbunden sind, wurden also schon von der Regierung präventiv umgesetzt. Zudem pocht man in Brüssel darauf, dass bisherige Auflagen umgesetzt werden müssen. Dazu wird es eine weitere Anhebung der Mehrwertsteuer geben, das Renteneintrittsalter soll weiter angehoben und die Strukturreformen verstärkt werden. Das sind klare Auflagen. Dass diese Bankenrettung keine Auswirkung auf die Bevölkerung habe, ist reines Marketing.

Das bedeutet, die rechte Regierung unter Mariano Rajoy hat präventiv den Rettungsplan durchgezogen, der Griechenland, Irland und Portugal erst mit dem Nothilfeantrag diktiert wurde?

Miren Etxezarreta: Genau. Es ist Unfug, dass es keine Auflagen gibt. Die, die wir schon zuvor bekamen, waren denen sehr ähnlich, welche diese Länder erfüllen müssen.

In welcher Situation befindet sich das spanische Bankensystem?

Miren Etxezarreta: Zumindest ein wichtiger Teil der spanischen Banken ist technisch pleite. Das ist offensichtlich, wenn sie derartige hohe Summen zur Rekapitalisierung brauchen.

Warum?

Miren Etxezarreta: Ich habe zwar keinen besonderen Einblick in ihre Bilanzen, doch das dürfte vor allem mit der unheilvollen Politik während des Immobilienbooms zu tun haben. Dazu kommt die Unfähigkeit, die Probleme nach dem Platzen der Blase wieder auszugleichen. Dafür sind die Geldhäuser und die Politik verantwortlich, weil in den vergangen drei Jahren nicht die adäquate Politik gemacht wurde.

Wurde die Situation durch die Politiken sowohl der sozialistischen Vorgängerregierung als auch von den konservativen Nachfolgern verschlimmert?

Miren Etxezarreta: Natürlich. Die Sparpolitik, die von der EU diktiert und hier von den letzten beiden Regierungen enthusiastisch angenommen wurde, hat eine große Verantwortung für die Zuspitzung der Situation. Wenn die Arbeitslosigkeit extrem steigt, fallen auch immer stärker Hypotheken- und Konsumkredite aus, weil sie die Leute nicht mehr bedienen können.

Man muss aber auch die Privatisierungspolitik der Sparkassen beachten, die mit der Krise auch als Ausrede durchgezogen wurde. Damit wurden die Sparkassen in Banken verwandelt. Das ist bisher noch nicht ausreichend analysiert und beachtet worden. Wenn man zum Beispiel sieben schwache Sparkassen zur Bankia-Bank fusioniert, dann ist das desaströs. Aus sieben abstürzenden Sparkassen wird keine starke Bank. Das hat unter anderem zum extremen Finanzloch in der Bankia-Bilanz geführt, die nun einen Finanzbedarf von 23,5 Milliarden Euro hat. Doch Bankia steht dabei nicht allein. Sonst erklärt sich nicht, warum der Internationale Währungsfonds (IWF) von einem Finanzbedarf von über 40 Milliarden Euro spricht und die Rettungssumme nun sogar bis zu 100 Milliarden betragen soll.

Wir haben mit einem Problem des privaten Finanzsystems zu tun

Hatten diese Fusionen nicht auch damit zu tun, dass aus kleineren Sparkassen, die problemlos abgewickelt werden könnten, große Banken geschaffen wurden, um ihre Rettung jetzt als alternativlos darzustellen?

Miren Etxezarreta: Genau. Deshalb beharre ich darauf, dass ein großer Teil des Problems, das wir heute haben, aus den Entscheidungen resultiert, die in den letzten Jahren getroffen wurden. Die Krise von Bankia und anderen ist das Ergebnis der Entscheidungen, die in den letzten Jahren getroffen wurden. Dahinter steckt eben auch der entschiedene Wille zur Privatisierung der Sparkassen. Man muss oft zurückzuschauen, um die Gegenwart zu verstehen.

Gibt es Alternativen dazu, nun mit 100 Milliarden Banken zu stützen?

Miren Etxezarreta: In der Ökonomie gibt es immer Alternativen. Die Frage ist nur, wem sie nützen und wem sie schaden. Man hat entschieden, Privatbanken zu retten. Schulden von privaten Banken werden mit einem Federstrich zu Staatsschulden gemacht und der Allgemeinheit aufgelastet. Gerettet werden Banken, nicht nur spanische, sondern auch deutsche, französische, britische und US-amerikanische Banken. Mit dieser Operation wird klar, dass wir mit einem Problem des privaten Finanzsystems zu tun haben. Wir als einfache Bevölkerung sollen die Verrücktheiten des Privatkapitals bezahlen, weil es pleite ist.

Die logischste Konsequenz wäre, die Banken abstürzen zu lassen. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) sagt, nicht Miren Etxezarreta, dass man nur Banken stützen sollte, die eine klare Überlebenschance haben. Andere, die schlecht dastehen, sollten sogar nach Ansicht der OECD abgewickelt werden. Das ist auch eine Alternative, aber weil sie den Banken und ihren Anlegern nichts nützt, wird die nicht einmal in Erwägung gezogen.

Wie wäre es, das Geld statt in Banken in Investitionen der Realwirtschaft zu stecken, zum Beispiel in erneuerbare Energien , um die starke Energieabhängigkeit des Landes zu verringern und Arbeitsplätze zu schaffen, damit die Leute ihre Kredite bezahlen können? Zumal ja nun 100 Milliarden Euro – zehn Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung - von einer Regierung als Staatsschulden aufgenommen werden, die angeblich die Schulden senken will.

Miren Etxezarreta: Wie gesagt, Alternativen gibt es immer. Das wäre eine Alternative, die statt dem Finanzkapital eher der Allgemeinheit nützen würde. Niemals ist es ein technisches Problem, sondern ein Problem des politischen Willens. Damit meine ich aber nicht nur den Willen der Politiker, sondern den Willen der faktischen Mächte. In unseren Analysen messen wir der Politik oft zu viel Bedeutung bei. Dabei sollten wir nie vergessen, dass die politische Macht im Dienst der ökonomischen Macht steht. Wir kritisieren oft - zu Recht – natürlich die Politik. Dabei ist für all das die enorme Macht des Finanzkapitals verantwortlich.

Schauen wir uns den Weg an, der nun mit der Bankenrettung eingeschlagen wurde. Was halten sie von der Einschätzung von Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz, der von einer "Voodoo-Ökonomie", weil Spanien seine Banken retten würde, damit die Banken Spanien retten?

Miren Etxezarreta: Willkommen sei sein Kommentar, doch wir brauchen keinen Herrn Stiglitz, um zu verstehen, dass es sich hierbei um eine reine Rettung des Finanzkapitals handelt, also des gesamten Geflechts, das sich um die Staatsschulden rankt. Es geht um die Rettung von privatem Kapital. Die Staatsschulden Spaniens sind vergleichsweise niedrig. Deshalb beharre ich darauf, dass es sich eigentlich um ein Problem des privaten spanischen Finanzsystems handel, was durch den Rettungsplan klar wird. Damit wird die Macht offenbart, die das Finanzkapital hat, nicht nur das spanische, sondern das europäische. Die Bevölkerung wird nun für dessen Pleite zur Kasse gebeten.

Wird nun mit dem Geld die Wirtschaft gestärkt, fließen wieder Kredite, werden Arbeitsplätze entstehen, wie die Regierung behauptet?

Miren Etxezarreta: Ich habe große Zweifel daran. Dafür müsste man sich das Kleingedruckte anschauen können. Bisher wurden Banken bei Rettungsmaßnahmen aber keinerlei Auflagen gemacht, wie sie das Geld einsetzen sollen. Es wird nur von einer Rekapitalisierung gesprochen, aber nicht davon, was sie mit dem Geld tun sollen. Sie können es auch im Ausland anlegen. Spanische Banken haben sich schon bisher enorme Summen bei der Europäischen Zentralbank (EZB) für einen Zins von einem Prozent geliehen, doch die Kredite fließen nicht.

Es ist richtig, dass Kredite für das Funktionieren einer Wirtschaft sehr bedeutsam sind. Doch nicht weniger bedeutsam ist die Nachfrage nach Krediten. Wegen der Sparpläne wird nichts verkauft, viele Firmen fragen gar keine Kredite nach. Wir benötigen höhere Löhne, mehr Jobs und bessere Bedingungen am Arbeitsmarkt, um die Wirtschaft zu revitalisieren. Doch es gibt nicht einmal einen Hinweis darauf, dass Maßnahmen in diese Richtung erfolgen sollen.

Führt diese "Rettung" wie in Griechenland oder Portugal in den Abgrund und die Depression?

Miren Etxezarreta: Spanien ist schon in der Rezession, die Wirtschaftsleistung ist in drei Quartalen hintereinander geschrumpft. Das Land ist nicht einmal aus der Krise herausgekommen, die 2008 begann. Die Anpassungsprogramme und Auflagen werden sich nicht ändern und die Schrauben für die Bevölkerung werden weiter angezogen und die Realwirtschaft weiter abwürgt. Man wird die Kontrolle über die Haushalte verstärken. Im Sprachgebrauch der EU heißt Kontrolle aber, die Ausgaben zu senken. Also werden auf der einen Seite die Banken regelrecht mit Geld bombardiert, während die Sparprogramme forciert werden, die der Realwirtschaft und der Bevölkerung die Luft abschnüren. Das bedeutet, dass nur den Banken gedient wird. Es passiert nichts anderes. Das geschieht nun schon seit drei Jahren.

Die Krise wird dazu genutzt, um die sozialen Errungenschaften der letzten Jahrzehnte wieder zurückzudrehen

Welche Politik müsste stattdessen gemacht werden?

Miren Etxezarreta: In diesem Kapitalismus eine alternative Politik vorzuschlagen ist natürlich so, wie einen Wunschzettel ans Christkind zu schreiben. Obwohl es innerhalb dieses Systems keine definitive Lösung für diese Probleme geben kann, könnten andere Schritte gegangen werden.

Warum erhöht zum Beispiel die europäische Zentralbank nicht die Liquidität erneut. Obwohl sie schon eine Billion Euro ausgegeben hat, wurde dieser Hahn abgedreht. Man könnte ihn wieder öffnen. Warum werden keine Eurobonds oder europäischen Bürgschaften ausgegeben, um die Zinslast von Staaten wie Spanien zu verringern? Es gäbe Möglichkeiten, doch sie werden nicht genutzt. Es wird nur zu dem angesetzt, was wir in unseren Taifa-Seminaren die Rettung der Mächtigen nennen. Man hat Angst vor dem, was in Griechenland passieren kann. Bevor sich die Lage dort zuspitzen könnte, hat man einen Flicken am spanischen Finanzsystem angebracht. Für die Realwirtschaft ändert sich nichts.

Gibt es eine Strategie, die hinter dem Vorgehen steht? Mir scheint, dass ziemlich egal ist, ob die Griechen am Sonntag Parteien wählen, die sich gegen den Sparkurs aussprechen. Es sieht doch danach aus, dass das Land die Eurozone längerfristig ohnehin verlassen soll und hinter all den Vorgängen eine versteckte Agenda steht.

Miren Etxezarreta: Davon gehe ich aus. Man sollte wirklich nicht glauben, dass die Verantwortlichen dumm oder naiv sind. Hinter diesen Vorgängen steht, dass die sozialen, ökonomischen und sogar politischen Errungenschaften in der EU und besonders in der Euro-Zone langfristig zerstört werden sollen, die sich breite Bevölkerungsschichten erkämpfen konnten. Besonders wurden Verbesserungen nach dem Zweiten Weltkrieg erreicht. Diese Krise wird nun dazu benutzt, um das Rad zurückzudrehen und das sagen einige bisweilen auch offen. Welche direkte Auswirkung hat denn zum Beispiel die Erhöhung des Renteneintrittsalters auf die derzeitige Krise? Keine. Das wesentliche Ziel, das hinter den Vorgängen steht, ist ein anderes.

Wird nicht faktisch ein Europa der zwei Geschwindigkeiten angepeilt und zum Beispiel Griechenland schon offen mit Rauswurf gedroht?

Miren Etxezarreta: Die EU funktioniert doch schon seit Jahren mit zwei Geschwindigkeiten oder sogar mit noch mehr Geschwindigkeiten. Das läuft schon, und wie immer kommt dabei der Peripherie die Aufgabe zu, die Metropole reicher zu machen. Das kann innerhalb oder außerhalb des Euros vorangetrieben werden, weshalb ich mir nicht sicher bin, dass Griechenland den Euro verlassen wird. Es sieht zwar ganz danach aus, muss aber nicht passieren. Die Unterschiede haben sich seit Jahren auch im Euroraum verstärkt und sie werden sich weiter verstärken. Das ist die Dynamik des Kapitalismus mit armen und reichen Ländern. Dazu gibt es auch innerhalb der Länder noch andere Einheiten, z.B. multinationale Unternehmen. Denen kann es in jedem Staat gutgehen, auch wenn es der Bevölkerung schlecht geht. Die sozialen Geflechte und die kleine und mittlere Unternehmen brechen dagegen zusammen.

Handelt es sich bei dieser Krise um eine fundamentale Krise des Kapitalismus.

Miren Etxezarreta: Natürlich. Das sagen wir und andere nun schon seit einigen Jahren. Im Kapitalismus bleibt nicht viel mehr zu tun, als mehr oder weniger aktualisierte keynesianische Rezepte anzuwenden. Dazu kommt das Problem, dass es ein unbeschränktes Wachstum angesichts beschränkter Ressourcen nicht geben kann. Das Problem kommt noch hinzu oder ist den anderen sogar vorgelagert, wie das Problem mit der Ökologie.