Barockes Quecksilber

Neal Stephensons neues Buch "Quicksilver" und die Ankündigung des "Barockzyklus" sorgen bereits vor Erscheinen in den USA im Web für Aufregung

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Neal Stephenson, neben William Gibson und Bruce Sterling einer der ganz großen Cyberpunk-SF-Autoren, legt am 23. September 2003 in Amerika sein neues Buch Quicksilver vor. Das fast 1.000 Seiten starke Buch ist die Fortsetzung seines Romans "Cryptonomicon", dessen Erscheinen vor 2 Jahren auch in Deutschland für Aufsehen sorgte (The Course of the Empire Takes its Way).

Der am Eingang der Barockzyklus-Website befindliche Code wurde bereits geknackt

Benügte sich "Cryptonomicon" noch mit dem Springen zwischen 2 Zeitebenen, dem II. Weltkrieg und der Gegenwart, siedelt der studierte Physiker und Geograph Stephenson "Quicksilver" im 17. Jahrhundert an. Also im Zeitalter Isaac Newtons und Gottfried Leibniz', in dem die Naturwissenschaften begannen, ein neues Bild der Welt zu entwerfen und damit die wissenschaftliche Grundlage für die spätere "Aufklärung" lieferten.

Leibniz, einer der wenigen deutschen Universalgelehrten, schrieb nicht nur eine Existenzphilosophie und legte den Grundstein zur vergleichenden Geschichtswissenschaft und Sprachforschung, er baute auch die erste Rechenmaschine und entwickelte, unabhängig von Newton, die Differentialrechnung. Newton, der Entdecker des Gravitationsgesetzes und Begründer der modernen Physik und Akustik, erfand außerdem das Spiegelfernrohr, galt als einer der einflussreichsten Politiker seiner Zeit und war Jahrzehnte lang der "Münzvorsteher der Britischen Krone". Damit hatte er wohl nicht nur die Hand am Puls der Zeit.

Genau dahin gesellt Stephenson in "Quicksilver" seinen Protagonisten Daniel Waterhouse und schließt damit den Kreis zu "Cryptonomicon", in dem der Kryptograph Lawrence Waterhouse und sein Enkel, Randy Waterhouse, die moderne Variante eines Kryptographen und damit ein "Hacker", die Hauptrollen spielen. Wie der englische Naturgelehrte Robert Hooke (1635 - 1703), der neben dem Quicksilber-Barometer u.a. auch eine Flugmaschine mit Windradantrieb baute, in die Handlung eingewoben wird, können wir nur erahnen. Doch seine Karriere vom gelernten Mechaniker über den Naturforscher und Erfinder des Universalgelenkes (für den Maschinenbau) zum Kurator der Royal Society liefert für eine Verdichtung im Stephenschen Sinne eine geradezu ideale Plattform.

Auch dem mehr als undurchsichtigen Priester aus "Cryptonomicon", Enoch Root, das alter Ego von Stephenson, scheint in "Quicksilver" wieder eine Schlüsselrolle zu zufallen. Denn so beginnt das erste Kapitel: "Boston, Common, October 12, 1713, 10:33:52 a.m. Enoch rounds the corner just as the executioner raises the noose above the woman's head." Weiterlesen kann man hier, wo man auch ein langes Interview mit dem Autor findet.

Wer, wie wir selbst, mit der codierten "Landkarte" auf der Website nicht zurecht kommen sollte, findet bei Todd Garrison Hilfe, der erzählt, wie er den Code geknackt hat und damit in den Besitz des ersten signierten Buches "Quicksilver" kommen wird.

"Quicksilver" ist nicht nur die Fortsetzung von "Cryptonomicon", sondern auch der 1. Band der Trilogie Barockzyklus. Im Abstand von jeweils 6 Monaten, gerechnet ab dem 23. September 2003, will Stephenson uns jeweils mit einem neuen Band des "Zyklus" beschenken. Alle Achtung. Auch wenn er, wie er selbst behauptet, in den letzten Jahren nichts anderes gemacht hat, als sich um den "Barockzyklus" zu kümmern, ist das für einen Autor, der alles mit dem Füllfederhalter schreibt und dessen Bücher im Durchschnitt 800 Seiten haben, ein mehr als strenger Zeitplan.

Aber wir wollen nicht meckern - ganz im Gegenteil: Die Lektüre eines Stephenson gehört ja immer noch zum Feinsten. Ob er mit den beiden folgenden Bänden den Kreis zurück bis zu "Cryptonomicon" schließen wird, lässt Neal Stephenson noch offen. "Quicksilver" weist er eindeutig als "historical piece" aus. Wired veröffentlichte eben ein kurzes Interview mit dem Science-Fiction-Autor, der seit seinen Büchern "Snow Crash" und "Diamond Age" Kultstatus in der digitalen Szene genießt, über das Interesse am 17. Jahrhundert.