Battlefield Europe
Seite 2: Warnschuss an Berlin
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Macron habe angekündigt, künftig "stärker als in der Vergangenheit" zu protestieren, sobald die Bundesregierung mal wieder nationale Vorhaben europäisch verkleidet und "die EU für ihre Interessen einspannt", warnte die FAZ. Dies sei schon bei den Auseinandersetzungen um die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 ein "Leitmotiv" der französischen Politik gewesen. Damals hat Paris kurzzeitig seine Zustimmung zu dem deutschen Pipelineprojekt zurückgezogen, was im Allgemeinen als ein Warnsignal an Berlin interpretiert wurde.
Als ein wichtiger Streitpunkt gelten zudem die Freihandelsverhandlungen mit den USA, wo Berlin aufgrund der hohen Exportabhängigkeit der deutschen Autoindustrie kompromissbereit ist und auf einen raschen Abschluss drängt, während Paris vor allem seinen Agrarsektor zu schützen bestrebt ist - und die Entscheidung offen kritisierte, "Verhandlungen über ein Handelsabkommen mit Washington aufzunehmen, obwohl Trump aus dem Pariser Klima-Abkommen aussteigt", so die FAZ. Selbstverständlich nutzt Washington diese Differenzen zwischen Berlin und Paris, um diese deutsch-französischen Konflikte zu verstärken - und beharrt bei den Freihandelsverhandlungen auf Lockerungen in eben dem Agrarsektor, den Macron nicht weiter liberalisieren will.
Den Kern des neu aufflammenden deutsch-französischen Konflikts bildet aber das exportorientierte "deutsche Wachstumsmodell", zu dem sich Macron laut FAZ zuletzt wieder "ungewöhnlich kritisch äußerte", da es sich "auf Kosten der Reformnachzügler in Südeuropa etabliert habe". Das deutsche Modell beruhe auf der Einbindung von Billiglohnländern in die Produktionsketten der deutschen Industrie, so Macron unter Verweis auf die "verlängerten Werkbänke" deutscher Konzerne in den osteuropäischen Ländern, was der französischen Vorstellung von einem "sozial nachhaltigen Wirtschaftsmodell für die EU" widerspräche. Macron lehnte es ausdrücklich ab, sich an dieses Modell anzupassen. Das exportorientierte deutsche Wachstum habe dazu geführt, die "Ungleichgewichte in der EU" zu verstärken.
Im Endeffekt kreisen die Spannungen zwischen Paris und Berlin um denselben Streitpunkt, der auch den Konflikt zwischen den USA und China anheizt: Es sind die "Ungleichgewichte" in den Handelsbilanzen, die Ausdruck der krisenbedingt zunehmenden Verschuldungsdynamik des spätkapitalistischen Weltsystems sind. Länder, die Exportüberschüsse erzielen, können ihre Industriekapazitäten halten - auf Kosten der Konkurrenz, die hierdurch Defizite verzeichnet. Der Exportüberschussweltmeister Deutschland führt mit seinen Überschüssen auch Schulden, Arbeitslosigkeit und Deindustrialisierung aus. Somit beruht die Illusion einer heilen kapitalistischen Arbeitsgesellschaft in der Bundesrepublik auf eben jenen Schuldenbergen im Ausland, über die man sich so gerne hierzulande empört.
Macrons Vorschläge zielen darauf ab, die europäischen Folgen dieser deutschen Überschisse durch Gegenmaßnahmen zu minimieren - und sie werden in Deutschland als Einstieg in eine "Transferunion" abgelehnt. Die zunehmenden handelspolitischen Auseinandersetzungen sind Ausdruck einer strukturellen Überproduktionskrise, in der das auf Pump laufende Weltsystem sich befindet, bei der alle wichtigen Staaten oder Währungsräume gewissermaßen dem deutschen Vorbild nacheifern und zu "Exportweltmeistern" werden wollen, um durch Exportüberschüsse ihre eigene Industrie zu schützen - auf Kosten anderer Länder. Da dies nicht möglich ist, gewinnen die Auseinandersetzungen an Schärfe, was wiederum Nationalismus und Chauvinismus Auftrieb verschafft.
Dabei hat die harte deutsche Sparpolitik, die Berlin nach Krisenausbruch europaweit durchsetzte, maßgeblich zur Stärkung dieser nationalistischen Fliehkräfte beigetragen. Der deutsche Wirtschaftsnationalismus, verkörpert durch den obersten Sparkommissar Schäuble, hat das "deutsche" Europa entlang der Interessen der deutschen Exportindustrie ausgerichtet - und zugleich den Nationalismus befördert, der nun in Ländern wie Italien Triumphe feiert. Die italienische Rechte ist konkret im Konflikt mit der Berliner Austeritätspolitik groß geworden.
Es ließe sich gar argumentieren, dass inzwischen die Rechtspopulisten in Europa ein Stück weit mitregieren. Macron etwa hat Madame Le Pen im Nacken, die bei den EU-Wahlen mehr Stimmen erhielt als seine junge Retortenpartei, deren luftige europapolitische Reformvorhaben am deutschen Widerstand gegen eine "Transferunion" scheiterten. Paris kann es sich aus innenpolitischen Gründen kaum noch leisten, weiterhin stillzuhalten. Genauso konnte Merkel alle Reformforderungen Macrons unter Verweis auf den anschwellenden Rechtspopulismus einer AfD ablehnen.
Weitere Konflikte zwischen den einstigen "Partnern" scheinen folglich vorprogrammiert: Inzwischen mehrten sich laut der FAZ in Paris die Stimmen, die auf einen "kompletten Kurswechsel" gegenüber Berlin drängten, da die "Strategie des Entgegenkommens" nichts gebracht und man dadurch bei "anderen Partnern viel Kredit verspielt" habe. Es gelte, künftig "projektbezogen" Partner zu finden. Erfolgreiche Europapolitik hänge vom "Geschick ab, projektbezogene Allianzen zu schmieden" - etwa bei der Klimapolitik. Es gebe "in den meisten Fragen EU-Partner, die nur unwillig die Politik der Bundesregierung mittragen würden".
Dies klingt nach einer offenen Herausforderung der dominanten Stellung der Bundesrepublik innerhalb einer zerrütteten, vor einem ungeordneten Brexit stehenden EU.
Tomasz Konicz publizierte zu diesem Thema das Buch "Aufstieg und Zerfall des deutschen Europa".