Bedrohungen des globalen Dorfes

"Sechs Milliarden Menschen stellen in einer globalen Welt einen idealen Nährboden für die Mikroben dar"

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In Terry Gilliams neuem Film "12 Monkeys" verkriechen sich die Menschen unter der Erde vor einem Virus, der sie heimsucht. Nicht aus der Natur kommt die Katastrophe, sie ist von Menschen, den Frankensteins der Kleinstlebewesen, in die Welt gebracht worden und aus ihr nicht mehr vertreibbar. Garretts Buch beschreibt die neuen Plagen der Menschen und weist auf ihre gesellschaftlichen Ursachen hin.

Vor dem magischen Datum der Jahrtausendwende gedeihen die Ängste und die Szenarien des Niedergangs. Seitdem der AIDS-Virus die Menschen befällt, geht die Furcht vor neuen Epidemien um, die von der modernen Medizin nicht mehr in den Griff zu bekommen sind. Im Zeitalter der Gentechnik beherrscht uns nicht mehr die Sorge vor Monstern, die durch Mutation riesengroß und gefährlich geworden sind, oder vor Außerirdischen, auch wenn diese ebenso wie die Engel noch ein faszinierende Kraft ausüben.

Nachdem die Menschen so gut wie alle anderen Arten besiegt oder vernichtet haben, sind es jetzt die sich schnell an neue Bedingungen anpassenden Viren und Bakterien, die uns mit neuen und alten Seuchen zu bedrohen scheinen. Durch Mutation, schnell ablaufende Selektionsprozesse und dem Austausch von Genen tricksen sie die natürlichen und künstlichen Abwehrsysteme aus, überspringen Artenschranken und ökologische Nischen. Mikroparasiten werden immun gegen die Wunderwaffen, Infektionskrankheiten, die schon ausgelöscht schienen, verbreiten sich wieder.

Sechs Milliarden Menschen stellen in einer globalen Welt einen idealen Nährboden für die Mikroben dar.

In den optimistischen Zeiten nach dem Zweiten Weltkrieg glaubte man, daß alle Probleme zu lösen seien. Während man die Menschen aus der Armut und Unterdrückung herausführte, würde man alle bedrohlichen Parasiten, Bakterien und Viren auslöschen. Der Erfolg der Antibiotika und der Impfstoffe schien dies nahezulegen. Und noch vor 20 Jahren sah alles ganz anders aus. 1978 wurde die Deklaration von Alma Ata unterzeichnet, bei der man davon ausging, daß bis zum Jahr 2000 die Menschheit gegen die meisten Infektionskrankheiten immunisiert sein und jedem Menschen eine medizinische Grundversorgung zur Verfügung stehen sollte. Doch bald darauf kamen die ersten Anzeichen, daß dies nur ein schöner Traum war, denn die Schere zwischen den Industrie- und Entwicklungsländern öffnete sich immer mehr, und mit dem Ende des Kalten Krieges flammten vermehrt Kriege auf, setzten Wanderungsbewegungen ein und schritt die Globalisierung zügig voran.

Zwischen 1980 und 1989 stieg die Zahl der Menschen stieg, die vor Naturkatastrophen, Kriegen, Hungersnöten oder Unterdrückung flohen, auf 75 Prozent jährlich.

Die Biochemikerin Laurie Garrett hat ein wahrhaft erschlagendes Werk über die möglicherweise kommenden Plagen geschrieben, das vor allem auf die sozialen Ursachen der neuen Epidemien hinweist. Die Mikroben, in denen wir schwimmen, sind nicht nur Teil der von den Menschen immer weiter zerstörten Ökosphäre, die Verbreitung ihrer bösartigen Formen sind auch abhängig von den Verhaltensweisen und Lebensbedingungen der Menschen. Kriege, Armut, Vertreibung, globale Wanderungen und weltweiter Reiseverkehr, Promiskuität, Prostitution, die Explosion der Städte, das Leben in deren Gettos und die "Verdritteweltlichung" eines Teils ihrer Bewohner, Obdachlosigkeit und überfüllte Wohnungen, Wiederverwendung von Spritzen und der Handel mit Blutkonserven, aber auch die Resistenz gegen Medikamente, Eingriffe in die Biosphäre, Klimaanlagen, Verschmutzung der Gewässer oder der Luft bedingen die Wiederkehr der Seuchen.

Die Lage sei bedrohlich, das Schickal der Menschen im globalen Dorf in ihrer eigenen Hand. Man müsse handeln, denn die Krisengebiete, die Megastädte und die vielen bereits Erkrankten seien just jener Nährboden, den die wimmelnde Welt der Mikroben benötigen, um ihr gefährliches Potential zu entwickeln. Die Menschen trampeln nach Laurie Garrett "säbelrasselnd herum und machen sich ihren Weg mit den Ellbogen frei - ohne Rücksicht aufeinander oder auf die Ökosphäre." Kleine Veränderungen aber können ein ganzes System in eine neue und unerwartete Richtung treiben. Wenn die Menschen sich darüber nicht klar werden und entsprechend handeln, so liege der Vorteil auf seiten der Mikroben, ihren Beutejägern. Vielleicht flüchten wir uns in der Absenz von sozialen Utopien deswegen nicht mehr auf das Land, wie einst die Menschen vor der Pest, sondern in den keimfreien Cyberspace, der es uns gestattet, mit Menschen zu kommunizieren, ohne ihnen zu nahe zu treten und zum Opfer der biologischen Viren zu werden.

Laurie Garrett versucht in ihrem dickleibigen Buch die Fakten und Prognosen durch das Erzählen von dokumentarischen Geschichten zu veranschaulichen. Sie führt den Leser an die Orte des Geschehens und stellt die Menschen vor, die die neuen Seuchen untersuchen und bekämpfen. Aber so interessant das Buch auch sein mag, es ist einfach zu dick und zu umständlich. Es enthält zu viele ungeordnete Details und ist vermutlich nur ein Zusammenfügen von journalistischen Beiträgen. Streichen, Verdichten und Systematisieren hätten dem Buch und damit dem Thema gut getan. Schade darum.

Zu Laurie Garrett "Die kommenden Plagen. Neue Krankheiten in einer gefährdeten Welt", Fischer Verlag, 1017 Seiten.