Beeinflussungskampagnen in Schweden: McCarthysierung gegen Putinversteher
Martin Kragh, Ökonom und Russlandforscher der Universität Uppsala, scheiterte am Justizministrium mit einer Klage wegen "russischer Desinformation" gegen die Zeitung Aftonbladet
Es ist ein wichtiges Kapitel in einer schwedischen Debatte um Russlands Einfluss auf die Öffentlichkeit und wohl kaum das letzte. Eine formale Untersuchung der Berichterstattung der größten Zeitung Aftonbladet wurde am Dienstag von der "Justizkanzlerin" (ein Staatsanwalts- und Ombudsmann-Amt mit medienstrafrechtlicher Kompetenz) Mari Heiderborg abgelehnt. "Die Unterlagen genügen aus allgemeiner Sicht nicht für eine Strafverfolgung."
Martin Kragh, Ökonom und Russlandforscher der Universität Uppsala, hat die Untersuchung beantragt, da er sich von der Zeitung persönlich angegriffen fühlt. Er beklagt die hohe Messlatte der Justizkanzlerin - schließlich habe Aftonbladet "russische Desinformation" betrieben und ihm als "schwedischem Staatsbürger schwerwiegende Straftaten vorgeworfen".
Der Fall Martin Kragh und das Aftonbladet beschäftigte die schwedische Öffentlichkeit vor allem Anfang diesen Jahres, begonnen hat der Konflikt jedoch bereits im Jahre 2017. Damals untersuchte der Wissenschaftler die Zunahme russischer Aktivitäten nach der Ukraine-Krise 2014 in der Analyse "Russia’s strategy for influence through public diplomacy and active measures: the Swedish case".
Die beiden offiziell neutralen Länder Schweden und Finnland hatten 2014 die Kooperation mit der NATO vertieft, was den Kreml immer wieder zu Drohungen motivierte. Kragh analysierte unter anderem die Themen, die das schwedischsprachige Sputnik-Portal aufgriff, das nur zwischen 2015 und 2016 existierte und wohl wegen zu geringer Klickzahlen wieder eingestellt wurde. Zudem verwies er auf Webseiten, die Fakenews wie svenskpress.se oder pressbladet.se veröffentlichen, das in der Aufmachung an "Aftonbladet" erinnert. Dabei ging es um angebliche Kooperationen zwischen Schweden und der Ukraine sowie um eine Verschwörung zwischen Schweden und dem Islamischen Staat. Alle Falschmeldungen hätten es in die seriösen Medien Schwedens geschafft.
Russische gegen britische Desinformation?
Zudem sieht der Wirtschaftswissenschaftler den Kulturteil der Zeitung Aftonbladet als "Sprecher eines weit links liegenden Pro-Kreml-Narrativs" und weist Autoren des pro-sozialdemokratischen und auflagenstarken "Aftonbladets" aus den prorussischen Sozialen Medien nach.
Nach Kragh will Russland, dass Schweden den neutralen Status Quo beibehält, hält aber die Methoden Russlands für kontraproduktiv. Der Ton der Analyse war nicht alarmistisch gehalten. Der Autor sah sich danach immer wieder durch Angriffe von Seiten des Kulturessorts des Aftonbladets ausgesetzt.
Im Herbst wurde von russischen Medien kolportiert, dass Hacker Namenslisten von Mitarbeitern für das britische "Institute for Statecraft" gefunden hätten (Integrity Initiative: Britische Beeinflussungskampagne gegen Russland?) Die Institution gab vor, mit der vor allem vom britischen Außenministerium finanzierten Kampagne "Integrity Initiative" gegen russische Desinformation vorgehen zu wollen, hat jedoch auch gegen einen Labour-Politiker agitiert und sich in die spanische Politik eingemischt (Britische Beeinflussungskampagne).
Nach den gehackten Dokumenten gebe es ebenso wie in anderen Ländern auch einen "Nordic Cluster", eine Gruppe aus Mitarbeitern aus Skandinavien, welche von Kragh geleitet würde. Kragh widersprach per Twitter, Verbindungen mit dem Institute of Statecraft zu haben, auch wendet er sich gegen den Vorwurf, ein MI6-Agent zu sein.
Die Anschuldigungen haben mit einer Anklage gegen den Wissenschaftler in der Zeitung "Skanske Dagbladet" im Dezember die etablierten Medien erreicht. Autor ist mit Carl Meuling ein in Russland tätiger Investor, der versucht haben soll, die Schwedendemokraten (SD) zu mehr Russlandfreundlichkeit zu bewegen, schrieb der liberale Autor Patrik Oksanen in der Regionalzeitung "Hela Hälsingland". Die SD-Kontakte bestätigte auch das "Aftonbladet".
Ein Friedensaktivist namens Tord Björk warnte darauf in einer Unterschriftenaktion vor einer möglichen "McCarthysierung" Schweden, es unterzeichneten Sozialdemokraten und Grüne.
Im Februar schaltete sich Aftonbladet ein. Der RT-Mitarbeiter Aleksej Sachnin bezichtigte dort Kragh, heimlich britische Interessen zu vertreten und ein "MI-6-Agent" zu sein. Die Ressortleitern Asa Linderborg, 50, sah in dem Russlandforscher eine "Gefahr für die Demokratie" und einen Fall für den schwedischen Verfassungsschutz "Säpo". und bezichtigte ihn indirekt des Landesverrats. Kragh wolle Nato-kritische Zeitungen wie die ihre mundtot machen. In insgesamt drei Artikel greift sie den Russlandexperten massiv an. Kragh griff diese später als Grundlage für seine Beschwerde bei der Justizkanzlerin auf.
Die Leitung des "Aftonbladets" räumte später ein, Linderborgs Artikel nicht gelesen zu haben, entfernt aus dem Netz wurde jedoch allein ein Beitrag eines freien Mitarbeiters, der Kraghs Kompetenz als Wissenschaftler in Frage stellt. Kragh selbst erhielt in der Zeit, in der die Debatte hochkochte, mehrfach Morddrohungen und viele Beschimpfungen via Mails und Sozialen Netzwerken.
Streit um den Nato-Beitritt Schwedens
Das Agieren der Zeitung wird von der liberalen Boulevardzeitung "Expressen" und der liberal-konservativen "Svenska Dagbladet" als Schmutzkampagne scharf kritisiert, beide Blätter ließen in jüngster Zeit viele Nato-Befürworter zu Wort kommen, aber auch namhafte Russlandforscher und Journalisten vom Fach stellen sich hinter den Wissenschaftler.
Linderborg, eine promovierte Philosophin und früher in der "Linkspartei" aktiv, mag sich derzeit anderen Medien gegenüber nicht über das Thema äußern, auch den schwedischen gegenüber nicht. An der Nato-Frage habe er sich bislang nicht beteiligt, so Kragh auf Anfrage, er plädiert jedoch für eine effektive schwedische Verteidigung, die sich auch auf "Cyberangriffe und Beeinflussungspperationen" erstrecken müsse.
Laut Kragh gibt es eine traditionell US-kritische Haltung des Blattes und dadurch bedingt wohl einen unkritischen Blick auf Russland. Dass dort nun unbewiesene Anschuldigungen gegen ihn aus russischen Quellen stünden, sei ein Beweis seiner These von 2017. Da Sputnik vermutlich aufgrund zu kleiner Leserzahlen dicht machte, habe sich Aftonbladet mit einer weit größeren Leserschaft angeboten.
Jedoch glaubt der 39-jährige, dass der Einfluss Russlands nicht dramatisiert werden soll, es gebe keine Partei im schwedischen Parlament, die offen die Außenpolitik Russlands verteidige, wie etwa Le Pen in Frankreich. Allgemein gilt Schweden, das nach Angaben von Wladimir Putin zusammen mit der Nato "eine Bedrohung für Russland" darstelle, als harter Brocken für die Strategen des Kremls. Der Grund liegt wohl auch im "Rysskräck", der traditionellen Russenfurcht Schwedens, das Wort wird derzeit auch von russischen Medien aufgegriffen.
Über Jahrhunderte kämpfte das Land mit Russland um die Vorherrschaft über die östliche Ostsee, bis sich das Königreich nach den Napoleonischen Kriegen von allen militärischen Auseinandersetzungen zurückzog. Seither setzt das Land auf verhaltene Neutralität, die offene wie verdeckte Sicherheitskooperationen mit westlichen Staaten nicht ausschließt. Kürzlich wurde beschlossen, die Verteidigungsausgaben zu erhöhen, auch wird eine "Finnlandbrigade" diskutiert, die dem Nachbarland im Falle eines russischen Angriffs zu Hilfe kommen soll. Mit dem Weißbuch der "Umfassenden Verteidigung" der Verteidigungskommission wurde das zivile Pendant "Resilience" zur Zivilverteidigung ergänzt und mit Blick auf Russland eine Mobilmachung von Militär und Gesellschaft vorbereitet (Total Defence).
In Schweden plädieren die vier bürgerlichen Parteien, die sich früher in einer "Allianz" zusammenfanden, für einen Nato-Beitritt. Die Regierungskoalition aus Sozialdemokraten und Grünen, sprechen sich dagegen aus, wie auch die Linken und die rechten Schwedendemokraten.
Es ist einer der vielen Risse, die derzeit durch die schwedische Gesellschaft gehen, wie auch nun zwischen dem Aftonbladet und den liberaleren Medien. Dass die Zeitung die kampagnenartigen Texte veröffentlichte, hat einer sachlichen Diskussion über die Entscheidung zwischen Bündnisfreiheit und Nato-Mitgliedschaft wohl nicht gedient.
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