Bei Pepsi-Trinkern leuchtet es im präfrontalen Cortex

Mit dem Kernspintomographen beobachten Forscher Vorgänge im lebenden Gehirn. Doch was sehen sie dabei eigentlich?

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Gedanken lesen, die innersten Regungen des Menschen in Echtzeit verfolgen – das klingt ziemlich abgehoben. Der New Scientist hat der Erforschung des Gehirns mit bildgebenden Verfahren in seiner aktuellen Ausgabe einen Themenschwerpunkt gewidmet und tut so, als sei das schon fast Realität.

Jeden Tag trifft jeder von uns unzählige Entscheidungen. Wäre es da nicht schön, wenn man diese Entscheidungen vorhersagen könnte? Die Spieltheorie war ein Ansatz, die Sache mathematisch in den Griff zu bekommen. Gegenwärtig ist es der Blick aufs menschliche Gehirn, der die Phantasie von zahlreichen Neurowissenschaftlern beflügelt. Ihnen geht es nicht mehr nur darum, Tumoren oder Schäden von Schlaganfällen zu diagnostizieren, sondern zu ergründen, wo und wie Vorlieben, Vorurteile, Gefühle etc. bei einer Person entstehen.

Das Gehirn in 3D

Was ist das für eine Technik, mit der man das Gehirn bei der Arbeit beobachten kann? Sie heißt funktionelle Magnetresonanztomografie (FMRT) und kommt seit zirka 10 Jahren zum Einsatz. Mit ihr kann man beobachten, wie sich der Blutfluss im Gehirn verändert. Denn aktive Gehirnzellen verbrauchen mehr Sauerstoff als inaktive. Sie müssen dementsprechend vom Gehirn mit frischem Sauerstoff versorgt werden. Blut wiederum hat unterschiedliche magnetische Eigenschaften, je nachdem, ob der rote Blutfarbstoff Hämoglobin mit Sauerstoff beladen ist oder nicht und diese kann das Gerät messen. Das schöne an dem Verfahren: Es ist völlig nebenwirkungsfrei. Die Änderungen der Hirnaktivität können kontinuierlich gefilmt werden, mit einer zeitlichen Auflösung von rund einer Minute.

Experimente im Kernspintomographen

Wie tief reicht der Blick der Neurowissenschaftler in unser Gehirn? Der New Scientist umreißt Versuche von einigen US-Forschern, die das Gehirn von Menschen und Affen bei Entscheidungsprozessen beobachtet haben. Gregory Bern von der Emory University in Atlanta etwa ließ 36 Frauen mehrere Runden des Gefangenendilemmas spielen. Er konnte feststellen, das die Aktivität in bestimmten Gehirnregionen (orbitofrontaler Kortex, Striatum) größer war, wenn sich die Probandinnen fürs Kooperieren entschieden. Bei Affen gelang es ihm, das Muster der neuronalen Aktivitäten des orbitofrontal-striatalen Netzwerks vorherzusagen, bevor diese eine Entscheidung trafen. Welche Entscheidung sie jedoch treffen würden, konnte er vorab nicht bestimmen.

Die Forschung mit der funktionellen Magnetresonanztomographie ist noch jung und man gewinnt den Eindruck, als tasteten sich die Neurologen bei ihren Experimenten mit sehr unterschiedlichen Fragestellung an die Sache heran – verlässliche Aussagen scheinen jedoch eher die Ausnahme. Trotzdem gibt es unglaubliche Optimisten. Auf die Frage etwa, ob es möglich wäre, dass ein Arbeitgeber mit FMRT-Scans herausfinden könnte, für welches Mindestgehalt ein Bewerber bereit wäre zu arbeiten, zitiert der New Scientist den Forscher Paul Glimcher vom Center for Neural Science an der Universität von New York. Der glaubt, dass dies mit 20 bis 40 Fragen machbar wäre:

Ich schätze, wenn eine gute Gruppe versuchen würde, an dieser Vorhersage zu arbeiten, würde sie dafür zirka sechs Monate brauchen.

Neuromarketing, die Suche nach dem Kauf-Knopf

Solche Euphorie beflügelt auch die Werbeindustrie. Dem Kunden mit bildgebenden Verfahren direkt ins Hirn zu blicken und ihn zielgerichtet zum Käufer machen – das ist das absolute Nonplusultra für jeden Produktstrategen. Morgenduft wittert die Branche, seit der US-Forscher Read Montague eine Cola-Pepsi-Verkostung mit dem Kernspintomographen überwachte. Er fand heraus, dass sich die Probanden beim Blindversuch für Pepsi entschieden und dabei das Belohnungszentrum im Gehirn intensiv leuchtete. Sobald er jedoch die Marke enthüllte, änderte sich nicht nur die Präferenz seiner Probanden, sondern auch das Muster der Hirnaktivität. Der Name stimulierte den medialen präfrontalen Kortex, der für höhere kognitive Aufgaben zuständig ist und für das Selbstbild der Person. Das wenig revolutionäre Fazit: Mit der Marke Coca-Cola werden positive Assoziationen und Selbstwertgefühle verbunden. Das kommt einem doch irgendwie bekannt vor.

Ein FRMT-Scan und ich sage dir, wer du bist?

Tatsächlich sollte man mit den Schlussfolgerungen aus den farbigen Hirnbildern etwas vorsichtiger sein. Diesen Rat erhält man zumindest beim Leibniz-Institut für Neurobiologie (IfN) in Magdeburg, wo gerade Europas leistungsfähigste Kernspintomograph (Feldstärke 7 Tesla) installiert wird. Die Aufnahmen gaukeln eine Eindeutigkeit vor, die in der Realität nicht gegeben ist. Man sollte sich immer vergegenwärtigen, dass mit der Kernspintomographie nicht neuronale Prozesse gemessen werden, sondern lediglich der Blutfluss im Gehirn. Und anhand der Aktivität in einer bestimmten Gehirnregion lässt sich nicht eindeutig ablesen, was der Proband gerade tut. Dazu ist das Gehirn viel zu komplex vernetzt. Dass Neurologen mit ihrem Blick auf unser Gehirn unsere geheimsten Wünsche lesen können, so wie der New Scientist befürchtet, wird wohl noch lange nicht eintreten.