Beobachtungen zur Psychologie von hohen Türmen
Ultra-hohe Gebäude allein können urbane Dichte bewahren.
Vor hundert Jahren machte der große Chicagoer Architekt Louis Sullivan eine interessante Bemerkung über Wolkenkratzer. "Die soziale Bedeutung des hohen Gebäudes ist am wichtigsten", sagte er. "Es sollte ein stolzes und aufragendes Ding sein, das einen starken Anreiz für die architektonische Vorstellungskraft bietet. Aber wenn die Vorstellungskraft fehlt, ist die Sache hoffnungslos."
Die ultra-hohen Gebäude, die von den Architekten und Ingenieuren heute ins Gespräch gebracht werden, haben nichts von der Aufregung und Kühnheit verloren, über die Sullivan sprach. In Taiwan und China, Malaysia und Indonesien, Thailand und Singapore, Japan und Australien wird früher oder später einer eine Stadt zu mehr als einem halben Kilometer Höhe hochwachsen lassen, wie es dem unternehmerischen Geist dieser Länder entspricht. Eines Tages wird vielleicht der von Sir Norman Foster schon lange geplante 788 Meter hohe Millenium Turm für Japan auch das noch übersteigen. Außerdem zeichnet sich auf die lange Sicht, mit dem Bau des Mile High Illinios von Frank Lloyd Wright, noch ein anderes Ziel ab, welches das berühmteste aller Hochbau-Projekte und schon 50 Jahre alt ist.
Es gibt inzwischen keine technische Grenze mehr, die es verbieten würde, hoch zu bauen. Wolkenkratzer nutzen Unterkonstruktionen mit ultra-hoher Stabilität, die enormen Belastungen auch in sehr kleinen Bereichen standhalten können. Sie werden mit einem Multi-Geschwindigkeits-Liftsystem ausgestattet sein und die Parkplätze werden sich außerhalb der Gebäude befinden. So wird nicht länger nutzbarer Raum verbraucht und der Zugang zu hohen Etagen beschleunigt. Ihre Informationstechnologie wird ihnen eine beispiellose weltweite Kommunikationskapazität geben und sie können in 48 Monaten gebaut werden. Von einstellbaren Masse-Dämpfern und aktiven Konstruktionsrahmen im Gleichgewicht gehalten wird ein Bauwerk mit 90 Geschossen und mit 2.000 Quadratmeter Grundfläche im 3. Jahrtausend - noch vor 10 Jahren ein undenkbares Gebäude - mit der Hälfte der Energiekosten und dem Zweifachen der Wärmenutzung eines achtstöckigen Bürokomplexes im 21. Jahrhundert auskommen können.
Es stimmt nicht, daß die heutigen Super-Wolkenkratzer nur monokulturelle Symbole sind. Sie sind senkrechte Straßen, mit 200.000 qm Platzangebot für 10.000 Personen für 24 Stunden am Tag - und nicht nur der Aufenthaltsort am Tag für ein paar hundert Büroarbeiter. Typisch ist, daß die ersten 10 Etagen dem Shopping und der Unterhaltung überlassen werden, während die Türme nicht nur große Büroetagen sondern auch Hotels, Restaurants und Wohnungen beherbergen. Und da sie so hoch aufragen, stehen alle diese unterschiedlichen Unterkünfte, stadtplanerisch gesprochen, auf der Spitze einer Stecknadel. Eine Gruppe solcher Türme wäre eine Stadt über der Stadt: die Wiederherstellung der Unverwechselbarkeit einer Stadt, die in unserem Jahrhundert mehr und mehr verloren gegangen ist. Gebäude wie diese können, so leicht wie Mikroprozessoren in die Platine eines Computers, in die bestehende Transport-Infrastruktur einer alten Stadt eingebunden werden. Der neue Wolkenkratzer ist ein Wunder an Macht, Technologie und Kunst. Warum in aller Welt hat jemand etwas dagegen?
Die Antwort liegt im traditionellen System der ästhetischen Werte, dessen Idee, Städte seien Ort mit einem enormen Reichtum, Erscheinung mit Darstellung verwechselt und dessen Glaube an dem ewigen Wert in Anbetracht der Natur verfliegt. Aus diesem eingeschränkten Blickwinkel hat die Verzerrung der Geschichte einen tödlichen Ahnenkult hervorgebracht. Daher ist jede alte Stadt mit Gebäuden überladen, von denen gesagt wird, sie seien unbezahlbar, die aber in Realität nutzlos sind. Sie sind entweder zu klein, zu ungleichmäßig, in der Wartung zu schwierig oder zu weit entfernt von der vorhandenen Verkehrs-Infrastruktur, um dem heutigen Handel nützen zu können.
Allein in der Innenstadt von London gibt es Tausende solcher Gebäude. Es sind soviele, daß absolut kein verfügbarer Platz für neue Gebäude vorhanden wäre, wenn sie nicht schon während des Zweiten Weltkrieges bombardiert worden wären (in letzter Zeit gefolgt von den Terroranschlägen der IRA). Die Innenstadt würde wie Petra Jerash von der Starre ihrer eigenen Vergangenheit erdrosselt.
Heute steigt die Nachfrage nach großen Gebäuden nach Jahren der Rezession wieder. Diesmal ist die Planungsphilosophie eine andere. In Europa und den USA vermuten die meisten Politiker, daß die Vergrößerung der Verkehrs-Infrastruktur eine größere Mobilität, mehr Schnittpunkte und Kreuzungen, größere Ineffizienz und höhere Kosten und Umweltverschmutzung nach sich ziehen würde. Man könnte vermuten, daß einen diese Schlüsse direkt zu höherer Dichte und größeren Gebäuden leitet. Sie wissen, daß man urbane Dichte nur erreichen kann, wenn man hoch baut. Sie wissen, daß es für die expandierenden globalen Finanzzentren, die sich selbst rühmen, ihre Geschäfte 'face to face' zu führen, keine dichtere Alternative gibt. Und jetzt haben diese Stadtplaner, wie wir in Berlin und auch in London sehen können, das Spiel verloren.
Vor 30 Jahren benannte der kanadische Medienphilosoph Marshall Mac Luhen den Preis, den wir für die Macht unserer Technologie zahlen, eine künstliche Umwelt für uns selbst zu schaffen. Er sagte, der Preis dieser Macht sei der Schock, den jede neue Innovationsstufe mit sich bringt. Er sah, daß dieser Schock wie eine Narkose wirkt, die trotz unserer Entschlossenheit, dem vorzubeugen, unsere Fähigkeit paralysiert, uns selbst gegen Veränderung zu verteidigen. Deswegen ist, wie McLuhan sagte er, ein Wandel trotz der gegen ihn aufgebauten Abwehr möglich. Es gibt kein besseres Beispiel für diesen Prozess als den Widerstand gegen hohe Gebäude in Städten.
Wir sollten uns nicht zum Narren machen lassen, wenn die Stadtplaner sagen, daß sie unsere Städte zu globalen Finanzzentren des 21. Jahrhunderts erblühen lassen wollen. All zu oft wollen sie lediglich ihr irrelevantes historisches ästhetisches Wertesystem beibehalten. Natürlich wollen sie wirtschaftliches Wachstum, aber sie wollen auch derart viele Stadtviertel und Häuser, die unter Denkmalschutz stehen, historische Fassaden und Sichtkorridore, daß nichts Neues von ökonomischen Interesse jemals dort gebaut werden kann, wo es gebraucht wird.
Wenn die Abneigung gegen hohe Gebäude anhält, werden unsere Städte mehr und mehr durch den Bau von peripheren Siedlungen und Satellitenstädten verdünnt werden. Im Laufe der Zeit werden die Vorteile der entfernten Gebiete den Planern immer attraktiver erscheinen. Im Laufe der Zeit werden die Grenzen, die Städte und ländliche Gegenden voneinander trennen, verschwimmen. Im Laufe der Zeit wird das, was sich einmal innerhalb der alten Stadtmauern befand, in die Provinzen und noch weiter hinausfließen. Von den Herausforderungen der Gegenwart gelähmt, klammern sich unsere Stadtplaner an der Vergangenheit fest. Als Folge werden die Zukunft, die Ausdünnung und die Dezentralisierung, vor denen sie sich gefürchtet hatten, ohne jede Gegenwehr fortschreiten.