Bergkarabach geteilt

Fällt am 15. November wieder an Aserbaidschan: Das Kloster Dadiwank im Korridorbezirk Kelbecer. Foto: Julian Nyča. Lizenz: CC BY-SA 3.0

Armenien soll Gebiete im Korridor räumen - und knapp zweitausend russische Soldaten sollen einen Waffenstillstand sichern

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Nachdem die armenische Seite am Montag einräumte, dass es den Aserbaidschanern gelang, die militärisch wichtige Stadt Schuschi zu erobern (vgl. Ist Bergkarabach gefallen?), haben sich der armenische Regierungschef Nikol Paschinjan und der aserbaidschanische Langzeitpräsident Ilham Alijew unter Vermittlung des russischen Präsidenten Wladimir Putin auf eine Waffenruhe geeinigt. Solche Einigungen gab es in den vergangenen Wochen bereits mehrfach, ohne dass sich Baku daran gehalten hätte.

Opt-Out-Verlängerungen

Dass das nun anders sein könnte liegt an 1.960 russischen Soldaten, die zusammen mit 90 Transportpanzern, 380 weiteren Fahrzeugen und nicht näher ausgeführter "Sondertechnik" eine Demarkationslinie zwischen Armeniern und schiitischen Türken sichern sollen - zumindest die nächsten fünf Jahre lang. Kündigt keine Seite das Abkommen sechs Monate vor Ablauf dieses Zeitraums, verlängert er sich automatisch um ein weiteres halbes Jahrzehnt - und so weiter.

Die ersten Soldaten und Fahrzeuge wurden bereits gestern in das Kriegsgebiet geflogen. Schießt oder bombt die aserbaidschanische Armee nun, geht sie das Risiko ein, diese Truppen zu treffen und damit die Reaktion einer Streitkraft heraufzubeschwören, die deutlich mächtiger ist als sie. Dass Putin bereits reagierte, als die Aserbaidschaner am Montag versehentlich einen russischen Mi-24-Militärhubschrauber über offiziellem armenischem Staatsgebiet abschossen und dabei zwei russische Soldaten töteten, konnte Alijew noch abwenden, indem er umgehend um Entschuldigung bat und eine Entschädigung anbot. Und vielleicht auch, indem er sich auf das Angebot Putins einließ.

Sehr unterschiedliche Reaktionen

Kremlsprecher Dmitri Peskow lobte das Abkommen nach dessen Bekanntgabe diplomatisch als "Sieg der Völker beider Länder". In den Ländern selbst waren die Reaktionen darauf sehr unterschiedlich: In der der armenischen Hauptstadt Eriwan besetzten Demonstranten zeitweise das Parlament und skandierten, Ministerpräsident Paschinjan sei ein "Verräter". Paschinjan selbst sprach von einer "äußerst schwierigen Entscheidung", auf der das Militär bestanden habe, nachdem dessen "Ressourcen am Ende" gewesen seien.

In Aserbaidschan glichen die Versammlungen nach der Bekanntgabe des Abkommens dagegen eher Siegesfeiern. Hier lobte Staatspräsident Alijew die Waffenruhe als Beginn eines "nachhaltigen Friedens". Ähnlich äußerte sich der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu, der den aserbaidschanischen "Geschwistern" auf Twitter zu einem "freudigen Erfolg […] auf dem Feld und am Verhandlungstisch" gratulierte.

Süden aserbaidschanisch, Norden armenisch

Dass die Reaktionen so unterschiedlich sind, liegt daran, dass sich die armenische Seite in der Vereinbarung nicht nur eine Waffenstillstandslinie entlang der in den letzten sechs Wochen eingebüßten Gebiete im Süden Bergkarabachs und des Korridors akzeptiert (vgl. "Moderne Waffen und ein sehr hoher Kampfgeist"), sondern darüber hinaus noch Korridorgebiete kampflos räumen muss, in die dann die aserbaidschanische Armee einzieht: am 15. November ist der Bezirk Kelbecer dran, am 20. November der Bezirk Ağdam, und am 1. Dezember der Bezirk Laçın. Laçın und das nördlich davon gelegene Kelbecer gehörten in den 1920er Jahren zur autonomen sowjetischen Kurdenregion Kurdistana Sor, in der Kurmandschi Amtssprache war. In den 1930er Jahren setzte dort eine Aserbaidschanisierungspolitik ein, in deren Rahmen Kurden teilweise nach Zentralasien umgesiedelt wurden.

In Laçın werden russische Soldaten aber einen fünf Kilometer breiten Mini-Korridor zwischen Armenien und Bergkarabach kontrollieren. Damit dieser Korridor die symbolisch und militärisch wichtige Stadt Schuschi nicht berührt, soll dafür eine neue Straße gebaut werden. Aserbaidschan verspricht, neben russischen auch armenische Fahrzeuge auf dieser neuen Route unbehelligt zu lassen.

Dafür genehmigt Armenien dem Nachbarland den Bau neuer (und ebenfalls von Russen bewachter) Verkehrsverbindungen mit Nachitschewan, die durch Südarmenien führen werden. Nachitschewan ist eine von Armenien, dem Iran und der Türkei umschlossene aserbaidschanische Exklave. Anders als bei der armenischen Exklave Bergkarabach entschied man in ihrem Fall in den 1920er Jahren, dass sie auch ohne Landverbindung zu Aserbaidschan gehören sollte. In den Jahrzehnten danach sank der Anteil der Armenier dort von etwa einem Drittel auf unter ein Prozent.

Aliyevs Ankündigung, dass auch die Türkei künftig Truppen in Bergkarabach stationieren darf, ist den Kreml-Angaben nach zumindest dem jetzigen Abkommensstand nach nicht zutreffend. Dmitri Peskow zufolge hat man sich bislang lediglich auf Verhandlungen zur "Einrichtung eines Zentrums zum Monitoring der Waffenruhe auf aserbaidschanischem Gebiet" geeinigt.

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