Berlin macht Deutschland ärmer
Während in vielen Ländern die Hauptstädte das nationale BIP pro Kopf deutlich erhöhen, wäre Deutschland nach einem Bericht des Instituts für deutsche Wirtschaft Köln "reicher" ohne Berlin
Meist sind die Hauptstädte in ihren Ländern auch wegen ihrer Größe ein wichtiger Wirtschaftsstandort, der sich positiv auf das nationale BIP auswirkt. Nach einem Bericht des Instituts für deutsche Wirtschaft Köln (IWD) unterscheidet sich Deutschland hier von vielen anderen Ländern. Würde man Berlin wirtschaftlich aus Deutschland "herausschneiden", stiege das nationale BIP um 0,2 Prozent pro Einwohner.
O,2 Prozent ist nicht viel, allerdings wären es ohne Länderfinanzausgleich noch mehr. Berlin trägt mit 124 Milliarden Euro gerade einmal 4 Prozent zum nationalen BIP bei. Das BIP pro Kopf für Berlin liegt mit 35.782 Euro unter dem Durchschnitt für Deutschland von 37.265 Euro im Jahr 2015.
Vergleicht man damit aber die Verhältnisse in anderen Ländern, dann bemerkt man, dass die Zentralität bzw. der Unterschied zwischen Hauptstadt und dem Rest des Landes in Deutschland schlicht weniger ausgeprägt ist als in anderen Ländern. Zumindest für die 15 Länder, die das IWD verglichen hat, ist Deutschland mit der Hauptstadt Berlin einzigartig. Vergleicht man Berlin mit London so würde Großbritannien ohne seine Hauptstadt ein um 12 Prozent kleiner BIP aufweisen. Die Kehrseite ist, dass der Wohlstand in den boomenden Metropolregionen wie London oder Paris deutlich höher als im Rest des Landes ist, es also in vielerlei Gesichtspunkten, nicht nur politisch, ein Ungleichgewicht zwischen der Hauptstadt und dem Land gibt.
Dabei ist Großbritannien keineswegs das Land mit dem größten wirtschaftlichen Bedeutung der Hauptstadt. Den extremsten Wert weist Griechenland auf, das ohne Athen ein um 20 Prozent niedrigeres BIP hätte, es würde also ein Fünftel der Wirtschaftskraft ausfallen. Im Großraum Athen leben etwa 3,8 Millionen Menschen, ein Viertel aller Griechen. Frankreich ohne Paris würde 15 Prozent einbüßen. Ein Fünftel aller Franzosen lebt im Großraum Paris, wo ein Drittel des BIP entsteht. Auch in Tschechien, Portugal, Dänemark, Finnland und Schweden wäre es noch über 10 Prozent. Österreich würde 6,1 Prozent des BIP pro Kopf ohne Wien verlieren.
Im Gegensatz zu den anderen Hauptstädten ist es das ganze Berlin erst wieder nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Wiedervereinigung geworden. Erst 1999 zogen Parlament und Regierung nach einer knappen Entscheidung 1991 nach Berlin, wobei aber einige Ministerien in Bonn verblieben und andere einen Zweitsitz in Bonn behielten. Obgleich Berlin aufgrund seiner Bevölkerung nach London und Paris die drittgrößte Metropole ist, hat die Zeit, als die Stadt zweigeteilt war, der wirtschaftlichen Entwicklung geschadet bzw. sie verzögert. Die Arbeitslosigkeit war hoch, die Löhne relativ niedrig, dafür aber auch die Lebenshaltungskosten, allen voran die Mieten, was sich aber seit einigen Jahren deutlich verändert.
Aber die Stellung von Berlin liegt keineswegs alleine an der Stadt selbst und ihrer Geschichte, Deutschland ist im Gegensatz zu den zentralistischen Ländern wie Frankreich und Großbritannien, aber auch vielen anderen Ländern föderalstisch nicht nur im politischen System. Die "verspätete Nation" ist wirtschaftlich und demografisch polyzentral: "Berlins untergeordnete wirtschaftliche Rolle ist untypisch für Europa, aber typisch für Deutschland: Es ist Ausdruck des föderalistischen Geschäftsmodells. Dass der Mittelstand gerade auch in ländlichen Regionen stark ist, ist eines der Alleinstellungsmerkmale der deutschen Wirtschaft", so das Fazit des IWD-Berichts, dessen Titel "Der Wohlstandseffekt der Hauptstadt" auf die deutsche Alleinstellung hinweist.
Oft ist die Hauptstadt auch die größte Metropolregion eines Landes, in Deutschland ist dies allerdings das Rhein-Ruhr-Gebiet mit vielen Großstädten und einer Bevölkerung von fast 10 Millionen in großem Abstand zur großen, aber relativ dünn besiedelten Region Berlin-Brandenburg mit 6 Millionen und München mit 5,7 Millionen. München und Hamburg haben ein größeres BIP als Berlin, das auch nicht wie meist üblich das Kapitalzentrum ist, das sich in Frankfurt befindet. Berlin ist zumindest noch "arm, aber sexy", es ist nur das halbe politische Zentrum und relativ arm, aber ein internationaler Magnet für die kreative Klasse, den Tourismus und einen modernen Lebensstil.