Berlinale: Bloß keinen Ärger mit den Rechtsextremen
Provokation: Filmfestival hofiert AfD und beweist: Die Demokratie ist nicht wehrhaft. Es gäbe viele Möglichkeiten, das Problem zu lösen. Kommentar.
"Wie kann man in Deutschland eine Revolution niederschlagen? Indem man eine rote Ampel vor das Parlament stellt."
Es ist dieser alte, durchaus etwas abgehangene Witz, der auch hier wieder vollkommen zutrifft: Eine unzweideutige Haltung gegenüber den Antidemokraten und Faschisten von der AfD scheitert an formaljuristischen Einwänden, an Bürokratie und an falscher Nachsicht.
Das neueste Beispiel dieser schlechten Charaktereigenschaften und der praktischen Schwächen unserer demokratischen Verhältnisse bietet gerade die Berlinale, die ohnehin von vielen internen Querelen gebeutelten "Internationalen Berliner Filmfestspiele". Kommende Woche wird die 74. Ausgabe dieses größten und einstweilen noch wichtigsten deutschen Filmfestivals eröffnet.
Zu der Eröffnungsgala sind mehrere AfD-Parlamentarier des Bundestags und des Berliner Abgeordnetenhauses eingeladen worden – der Bund und das Land Berlin sind Träger und mit einem Gesamtanteil von rund 40 Prozent am Etat öffentlicher Geldgeber des Festivals.
Widerstand gegen formalistische Praxis
Gegen diese Einladungen gibt es seit vergangener Woche massiven und wachsenden öffentlichen Widerstand. Dies kann eigentlich niemanden überraschen – nur die Berlinale hatte damit aber offenbar nicht gerechnet.
Selber schuld, und zwar doppelt: Die Einladungen wären vermeidbar gewesen, und auf den jetzigen Shitstorm hätte man sich einstellen müssen. Sich zu wundern, ist mindestens sehr naiv.
Das Ergebnis ist "ein PR-Desaster", wie jetzt der Deutschlandfunk treffend kommentierte.
Das Netz vergisst nie
Auslöser des Streits war wieder mal ein offener Brief: Der kursierte seit vergangenem Freitag eine Weile im Netz, ist aber inzwischen verschwunden. Offenbar fehlten einigen unter den woken Unterzeichnern unter all den "Jews, women, members of the BIPOC, LGBTI+, disabled, Roma and Sinti, or Jehovah’s Witness communities" die Palästinenser?
Aber wer gut sucht, kann ihn noch finden, seine Spuren ohnehin. Denn das Netz vergisst nie und am vergangenen Samstag, als der Brief noch online war, berichteten längst alle relevanten internationalen Branchendienste darüber.
Zuerst die Publikation Deadline, wo auch die Namen von rund 200 Unterzeichnern veröffentlicht wurden, dann auch Variety und der Hollywood Reporter.
Würde die Berlinale auch Adolf Hitler einladen?
In einer an The Hollywood Reporter gesendeten Erklärung behauptet die Berlinale in einem Versuch der Schadensbegrenzung, dass das Festival-Protokoll darin bestehe, "demokratisch gewählte" Politiker einzuladen.
Alle eingeladenen AfD-Abgeordneten wurden bei den letzten Wahlen entweder in den Bundestag oder das Berliner Abgeordnetenhaus gewählt. "Entsprechend sind sie auch in politischen Kulturgremien und anderen Gremien vertreten. Das ist eine Tatsache, und wir müssen sie als solche akzeptieren", sagte das Festival.
Genau diese Behauptung der Berlinale muss man bestreiten. Ein Protokoll ist kein Dogma, es lässt sich ändern.
Sehr wohl stellt sich umgekehrt die Frage, was denn eigentlich erst passieren muss, damit die Berlinale ihr Protokoll ändert? Was wäre, würde Adolf Hitler heute noch leben? Ein "demokratisch gewählter Politiker", oder? Würde man ihn einladen? Vermutlich.
Und wer jetzt darauf verweist, dass das "doch ganz andere Umstände und Zeiten" waren, könnte man erwidern, er habe beim Geschichtsunterricht nicht aufgepasst. Oder was tut die Berlinale, damit diese Zeiten und Umstände nicht wiederkommen?
Selbstlähmung von Demokratien
Der Rückzug aufs Formaljuristische und ein Einladungsprotokoll, das für entspannte liberale Zeiten, aber nicht für Kulturkämpfe zwischen autoritären und demokratischen Parteien entstanden ist, ist de facto eine Kapitulationserklärung von Demokraten.
Sie belegt zwei Dinge: den fehlenden Instinkt der Berlinale. Und die Gefahr der Selbstlähmung von Demokratien, wenn demokratische Verfahren zum Fetisch und Selbstzweck werden.
Der ganze Vorgang der formaljuristisch korrekten, politisch fatalen Einladung für Faschisten ist in Zeiten, in den viel von Übergriffen die Rede ist, natürlich selbst ein Übergriff – ein Übergriff auf der politisch-symbolischen Ebene.
Und er ist ein Schlag ins Gesicht all jener, die mit weitaus weniger institutioneller Stützung und Hilfe als die Berlinale sie hat, und die mit weitaus weniger finanziellem Polster und politischen Backup heute tagtäglich gegen Rechtsextremismus demonstrieren.
Schwächen der Kritik
Der Offene Brief, der am Freitagabend veröffentlicht wurde, ist selbst ein Schnellschuss, der sowohl in manchen Formulierungen und inhaltlichen Exzessen, als auch im emotionalen, empörten Grundtenor, der durchdrehenden Rhetorik das Anliegen selbst eher beschädigt.
Er wurde von vielen Leuten unterzeichnet. Etwa die Hälfte von ihnen sind Deutsche, andere kommen vor allem aus den USA, Großbritannien und anderen Teilen Europas. In dem Brief heißt es, die Einladung an AfD-Politiker sei "unvereinbar" mit dem "Code of Conduct" der Berlinale, "ein Ort der 'Empathie, des Bewusstseins und des Verständnisses' zu sein".
Zugleich ist der Offene Brief aber auch zum Teil selbst sehr schrill formuliert und ebenso wie der Bericht auf Deadline ein Beispiel dafür, wie Konsens-Anliegen und Positionen der demokratischen Mehrheitsgesellschaft von der extremen Linken und in diesem Fall manchen erklärten Feinden der deutschen Kulturszene und ihrer Institutionen erwartungsgemäß instrumentalisiert werden.
Deadline framed das Ganze in sehr einseitiger Weise, und spricht zum Beispiel fehlerhaft von "einem staatlich finanzierten Festival" obwohl die Berlinale 60 Prozent ihres Etats selbst erwirtschaften muss.
Fragwürdig sind auch bestimmte Formulierungen des Offenen Briefs, etwa jene:
Die Einladungen ... sind ein weiteres Beispiel für das feindselige und heuchlerische Umfeld, mit dem Kunst und Kultur in Berlin und Deutschland konfrontiert sind. (...)
Wir weigern uns, zu normalisieren oder rechten Politikern die Teilnahme an unseren Räumen zu erlauben.
Im Ernst? Und wer ist das "wir", dem die Räume gehören?
Die Unterzeichner sind zugegeben meist eher Leute aus der dritten und vierten Reihe, wenn man mal von zwei, drei Namen, absieht, die unter ziemlich vielen Offenen Briefen der letzten Monate zu finden sind – etwa Candice Breitz, die längst nicht über alle Zweifel erhabene, südafrikanische Künstlerin und BDS-Unterstützerin. Aber auch deutsche Kuratoren finden sich auf der Liste.
Das alles entschuldigt nicht das törichte Verhalten des Festivals, relativiert allerdings die Kritik an ihm.
Was könnte die Berlinale jetzt tun?
Was könnte die Berlinale denn tun? Eigentlich ist es gar nicht so schwer.
Hier könnte ein maßvoll und konsensuell, nicht spalterisch formulierter offener Brief Wunder tun: Man könnte hier alle anderen demokratischen Parteien auffordern, auf ihren Sitz bei der Berlinale-Eröffnung öffentlich zu verzichten und ihre Einladung zurückzugeben.
Das würde die Berlinale von dem angeblichen Zugzwang befreien, alle "demokratisch gewählten" Parteien einladen zu müssen. De facto muss sie nämlich gar nicht die Mitglieder des Parlaments einladen, genauso wenig wie die Mitglieder des Verfassungsgerichts.
Sie hat es nur bisher getan. Einladen muss sie allenfalls die Mitglieder der jeweiligen Regierung, an der die AfD ja nicht beteiligt ist. Also nur die erste Gewalt. Juristisch gesprochen, weil sich die Berlinale ja auf eine juristische Position zurückzieht.
Vielleicht kommen die demokratischen Politiker ja auch von selber drauf.
Oder die Berlinale traut sich noch, selbstständig zu handeln. Andere Institutionen machen es vor und entscheiden selbst, wen sie einladen. Das Prozedere, dass die Berlinale beschreibt, gehört der Vergangenheit an und ist unzeitgemäß. Tatsächlich hat man bei der Berlinale nicht daran gedacht, umzudenken.
Nachtrag: Die starke Kritik an den Einladungen der AfD-Politiker zur Eröffnung des Festivals zeigte Wirkung. Am vergangenen Donnerstag meldete RBB, dass die Festivalspitze die Vertreter der AfD wieder ausgeladen habe.