Berlusconi will die Völker "okzidentalisieren und erobern"
Der Medienmogul und Chef der italienischen Exekutive betonte während seines Deutschlandbesuchs die "Überlegenheit der abendländischen Kultur"
Erst einmal waren die bemerkenswerten Äußerungen des italienischen Ministerpräsidenten, die er am Mittwoch auf einer Pressekonferenz in Berlin gesagt hatte, in Deutschland nur wenig beachtet worden. Erst als in Italien und aus vielen anderen Ländern scharfe Kritik laut wurde, reagierten Politiker und Medien auch in Deutschland. Heute hat sich Berlusconi freilich vor dem italienischen Parlament verteidigt und gesagt, er sei missverstanden worden. Man habe einzelne Worte aus dem Zusammenhang gerissen und darüber einen "künstlichen Streit" entfacht.
So ganz aus dem Zusammenhang gerissen scheinen die von Berlusconi geäußerten Sätze allerdings nicht zu sein. Laut Silvio Berlusconi sollten die Leute im Westen "sich der Überlegenheit unserer Kultur bewusst sein", die einen "breiten Wohlstand" und den "Respekt der Menschenrechte, der religiösen Rechte - was in den islamischen Ländern nicht existiert - und der politischen Rechte" sichere. "Die Freiheit der Individuen, der Völker" sei nicht "das Erbe anderer Kulturen wie der islamischen". Das Abendland müsse "die Völker okzidentalisieren und erobern: Es hat dies mit der kommunistischen Welt gemacht und es hat dies mit einem Teil der islamischen Welt gemacht," auch wenn es "einen anderen Teil gebe, der vor 1.400 Jahren stehen geblieben ist."
Einen "breiten Wohlstand" haben die europäischen Länder tatsächlich den meisten islamischen Ländern voraus, aber dennoch ist in Kuwait die Arbeitslosigkeit mit ca. 1,4% niedriger als in Deutschland. Die "Menschenrechte" werden zwar in zahlreichen islamischen Ländern mit den Füßen getreten, aber auch im Westen wird so manches mit Füßen getreten, nicht zuletzt in Italien selbst (Vgl. Folter in Genua?). Auf Missionierung steht in Ländern wie Saudi-Arabien oder Afghanistan die Todesstrafe, während die Mehrheit der islamischen Länder weitgehend tolerant ist. So hatte Saddam Hussein einen christlichen Innenminister, und selbst die Mullahs im Iran garantierten der armenischen christlichen Minderheit die freie Religionsausübung und finanzierten ihnen Festivals. Dagegen gibt es in der Stadt, in der Berlusconi regiert, einen unabhängigen Staat, in dem sich meines Wissens keine Moschee befindet (und wohl auch keine genehmigt würde). Das mit den "politischen Rechten" ist so eine Sache. An nominellen Demokratien mangelt es nicht in der islamischen Welt. Gleiches gilt allerdings auch für Südamerika (das offensichtlich dann wieder nicht zum Abendland gehört, im Gegensatz zu Nordamerika). Andere Staaten im islamischen Raum (z. B. Türkei) haben zwar halbwegs freie Wahlen, aber eine durch und durch korrupte politische Kaste. Aber auch diese Problematik ist in Berlusconis Heimatland nicht ganz unbekannt (wir erinnern uns an Tangentopoli 1992).
Wenn Berlusconi mit "okzidentalisieren" meint, man müsse den Völkern Freiheit und Wohlstand bringen, dann kann man sich dem getrost inhaltlich anschließen, auch wenn die Wortwahl vermessen ist. Bekanntlich gibt es auch jede Menge nicht abendländische Länder mit Reichtum und Freiheit: Japan, Israel, Singapur.... Was er jedoch mit "conquistare" (erobern) meint, bleibt schleierhaft. Hoffen wir, dass es nur eine unglückliche Metapher ist.
Der Teil mit der kommunistischen Welt bleibt unklar. In manchen Teilen hat das mit dem Wohlstand und der Freiheit ja ganz gut hingehauen (Ungarn, Tschechien, Polen), in anderen weniger (Weißrussland, Moldawien, Turkmenistan, Serbien bis vor kurzem). Allerdings ist kaum nachvollziehbar, wer hier erobert oder okzidentalisiert wurde. Oder meint Berlusconi damit eine Auto-Okzidentalisierung Ungarns? Kurzum, es lohnt nicht, sich tiefere Gedanken über etwas zu machen, was flach serviert wurde. Es geht auch keineswegs darum, die islamische Welt im Gegenzug schön zu reden, ob aber ausgerechnet Berlusconis Lösung, alle Länder über einen Kamm zu scheren und zu beleidigen und gleichzeitig, im Glashaus sitzend, mit der eigenen Überlegenheit zu prahlen, die richtige Vorgehensweise ist, darf bezweifelt werden, selbst wenn er nur laut ausgesprochen haben mag, was viele insgeheim denken.