Bestialischer Makkaronenfraß

Globalisierungskritiker kämpfen gegen den Niedergang der Pizza

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Globalisierungskritiker gibt es überall. Sie kämpfen nicht immer gegen die großen Konzerne oder die Tourismusindustrie, sondern manchmal auch für sie - zumindest wenn es um Pizza geht. Zum Welttourismustag

In Italien kämpft die Associazione Verace Pizza Napoletana (Vereinigung Echte Neapolitanische Pizza) gegen den Niedergang der Pizza. Sie streitet dafür, Regeln für eine "Qualitäts-Pizza" einzuführen. Es könne nicht angehen, so ihr Präsident Antonio Pace, dass jedermann auf der Welt seine eigene Pizza erfindet und davon überzeugt ist, sie sei die allerbeste. Pace schwebt ein Gütesiegel für "echte" neapolitanische Pizza vor, wie es das für Wein mit der Bezeichnung "DOC" (Denominazione di origine controllata) längst gibt.

Dabei ist die Pizza ein Opfer ihres eigenen Erfolgs. Denn, wie Pace stolz hervorhebt, war sie "das erste Fastfood der Welt". Als in den fünfziger Jahren die große Emigrationswelle aus Italien einsetzte, versuchten nicht wenige ihr Glück in der Fremde mit dem Pizzabacken zu machen. Und dort trafen sie - es war das Zeitalter des anbrechenden Massentourismus - auf immer mehr begeisterte Gäste.

"Bestialischer Makkaronenfraß"

Das versteht sich nicht von selbst. Denn in den Zeiten zuvor reiste man nach Italien nicht wegen, sondern trotz des Essens. Vor allem das Olivenöl bereitete den mit Schmalz und Butter aufgewachsenen Deutschen Alpträume. "Ich fürchtete mich sehr vorm Oele / Womit man dort die Speisen würzt", dichtete Friedrich Rückert 1817, einen Mitreisenden nach einen Gasthof fragend: "ob er nicht einen mir empföhle, / wo man in die Gefahr nicht stürzt." Und Johann Gottfried Seume grauste sich vor der Pasta, diesem "bestialischen Makkaronenfraß", mit der man sich "zu Tode kleistern" könne.

Was heutzutage den Deutschen die hiesige Pizzeria, war ihnen früher der deutsche Gasthof in Rom. Goethes Sohn August kehrte auf seiner italienischen Reise in der Trattoria Tedesca ein und notierte glücklich in seinem Tagebuch: "Man kocht hier ganz auf deutsche Weise, und ich ließ mir Bohnen und Bratwurst schmecken." Aber noch Anfang der 1950er Jahre hatte sich der Geschmack nicht verändert. Eine Frau L., die mit ihrem Mann und einem befreundeten Paar die Reise nach Italien in einem geliehenen Ford 12 M angetreten hatte, erinnert sich:

Feurige Blicke der kleinen quirligen Makkaronis, und ich glaube, wir waren doch sichtlich erleichtert, als wir erst mal jeder mit einem Teller Spaghetti vor einer der Osterias saßen, wo die Kellner die Käselöffel nur so schwangen. Für mich war das Spaghetti-Essen die reinste Tortur, aber was tut man nicht alles, um zünftig zu erscheinen.

So überrascht es nicht, dass die Reiseführer Gebrauchsanleitungen druckten: "Spaghetti "trinkt" man, das heißt man saugt sie ein. Die Dinger sind so lang - aber bitte, legen Sie das Messer weg! Wir wollen nicht auffallen. Nehmen wir die Gabel steil in die rechte Hand, senken sie ins Gewirr, drehen sie ein paar Mal um ihre Achse und führen die Beute zum Munde. Es ist ganz einfach." Gerade die Deutschen erwiesen sich als lernfreudig und konnten es kaum erwarten, ihre Freunde in der Heimat "zum Italiener" einzuladen und ihre neuesten Künste vorzuführen.

Wider das Blubbern dicker Soßen

Der Siegeszug der italienischen Küche war nicht mehr aufzuhalten, 1961 sorgte hierzulande "Miracoli" für Furore und seit 1968 waren Pizza und Pasta auch politisch korrekt. Fortan galt das "Blubbern dicker Soßen" (Franz Josef Degenhardt) in der deutschen Küche als Inbegriff des tumb Bodenständigen. "Gutbürgerlich" verkam zum Schimpfwort erster Klasse. Und heute? Exotisches gibt es an jeder Ecke, Pizzas in tausenderlei Variationen. Aber ist das nicht beliebig? So sehnt man sich nach dem Authentischen auch in der Küche und spürt auf Reisen den regionalen Kochkünsten nach. Die Regionen haben die regionale Küche längst als Markenzeichen entdeckt, als touristische Attraktion. Vor nicht allzu langer Zeit beantragte der italienische Landwirtschaftsminister Pecaro Scanio konsequenterweise bei der UNESCO, die Pizza zum Weltkulturerbe zu erklären. Es muss doch wieder etwas Besonderes sein, nach Neapel zu fahren und eine echte Pizza zu essen.

Voyage. Jahrbuch für Reise- & Tourismusforschung 2002. Schwerpunktthema: Reisen und Essen. Dumont, Köln 2002, 20,40 €