Besuch aus aller Welt
Die internationalen Bemühungen um ein Ende der Konflikte in Libanon und Gazastreifen laufen auf vollen Touren, aber die Kämpfe gehen dennoch weiter
Die Liste der Ereignisse im Libanon und dem Gazastreifen ist auch diesmal wieder lang. Die israelische Luftwaffe fliegt auch weiterhin ohne Unterlass Angriffe auf eine mittlerweile kaum noch zu zählende Zahl von Zielen in den beiden Krisengebieten: Straßen, Brücken, Ausbildungslager, Posten militanter Organisationen sind darunter, aber auch Büro- und Lagerhäuser sowie öffentliche Einrichtungen in dicht besiedelten Stadtteilen von Gaza, Beirut, Sidon und anderen Städten. Nahezu pausenlos geht auch der Beschuss der israelischen Städte und Dörfer im Norden und Süden des Landes weiter: Hisbollah, der Islamische Dschihad und einige Hamas-nahe Gruppen feuern ab, was die Arsenale hergeben, und haben damit das öffentliche Leben in den betroffenen Gebieten so gut wie zum Erliegen gebracht, während im Libanon Hunderttausende auf der Flucht sind. Auf Flugblättern hat das israelische Militär die Menschen zum Verlassen ihrer Häuser aufgefordert. Denn mittlerweile sind auch Bodentruppen im Libanon im Einsatz und liefern sich dort heftige Gefechte mit Kämpfern der Hisbollah.
Auf keinen Fall werde man "weniger als absoluten Erfolg" akzeptieren, sagte Israels Außenministerin Zippi Livni am Montagabend, und die andere Seite gibt sich ebenfalls unnachgiebig: Niemals werde die Hisbollah auf ihre Waffen verzichten, "bis nicht der letzte Zentimeter des Libanon und der letzte Gefangene befreit" sei, erklärte ein Sprecher der Hisbollah am Montagmorgen. Die libanesische Regierung fordert derweil einen Waffenstillstand und weiß, dass sie gerade wegen dieser unnachgiebigen Haltungen kaum Chancen darauf hat: Zwar ist seit dem Ende der vergangenen Woche eine nie vorher gesehene Masse von Außenministern, Parlamentsmitgliedern, Geheimdienstdirektoren und Beratern durch den Nahen Osten gereist und hat Vermittlung angeboten - aber solange kein Ausweg gefunden wurde, ist ein Ende der Gewalt nicht in Sicht.
Ablenkungen
Manchmal braucht man einfach was fürs Herz, wenn die Lage miserabel ist und man die nicht enden wollenden Berichte über Bombardements im Libanon, die sehr viel selteneren Erwähnungen der Krise im Gazastreifen, die Statements der Politiker, die Bilder von nach Norden und Süden flüchtenden Bevölkerungen nicht mehr aushalten kann.
Manchmal möchte man einfach glauben, dass die Situation nicht so schlimm ist, wie sie scheint: "Deshalb sind die einheimischen Medien zur Zeit voll mit Berichten über die Schönheitsköniginnen aus Israel und dem Libanon, die sich vor der Wahl zur Miss Universum angefreundet habe, und über die Blogger auf beiden Seiten, die fleißig miteinander über Sinn und Unsinn des Krieges diskutieren", sagt Arijeh Eiland, Redaktionsleiter des israelischen Fernsehsenders Kanal 10:
Das soll den Zuschauern den Druck nehmen und ihnen das Gefühl geben, dass die Menschen auf beiden Seiten sich nicht im Krieg miteinander befinden. Mit der Realität hat das wenig zu tun, die sieht anders aus.
1500 abgefeuerte Katjuschas
Nämlich so: Die Atmosphäre ist fast bis zum Zerreißen gespannt, die Menschen warten darauf, bis sie wissen werden, ob die Behauptungen der Hisbollah zutreffen, dass ihre Katjuscha-Raketen Tel Aviv, Jerusalem oder sogar Be'er Schewa im Norden der Negev-Wüste erreichen können. Im Norden Israels herrscht weiterhin Ausnahmezustand: Die meisten Menschen verlassen ihre Häuser nicht mehr, weil sie die nächsten Einschläge der Katjuschas fürchten, die derzeit so sicher kommen wie das Amen in der Kirche: Allein seit Freitagabend waren es mehr als 220.
Noch sind dabei zwar relativ wenige Menschen ums Leben gekommen, aber das liegt nach Ansicht von Experten vor allem an der Unerfahrenheit der Schützen. "Übung macht den Meister", sagt Jeffrey Atkins, ein Major der britischen Armee, der bereits überall in aller Herren Länder Erfahrungen mit den einst von den Sowjets entwickelten und mittlerweile in einer Vielzahl von leicht zu handhabenden Versionen verfügbaren Raketen gemacht hat:
Wenn die Dinger richtig abgefeuert werden, sind sie genauso tödlich wie eine von diesen hochmodernen technologischen Waffen, und die Handhabung kommt mit der Erfahrung, von der die Jungs von der Hisbollah ja im Moment eine Menge sammeln.
Bis zu 14.000, so schätzen die Militärexperten der israelischen Medien, besitze die Hisbollah wohl; rund 1.500 davon hat die Organisation bislang auf das Nachbarland abgefeuert. Weitere 2.000 hat das Militär nach eigenen Angaben zerstört.
Hunderttausende auf der Flucht
Doch der Preis dafür ist hoch: Seit die israelische Militäroffensive vor fast zwei Wochen nach der Entführung von zwei Soldaten in den Süd-Libanon begonnen hat, kamen mehrere Hundert Menschen bei den Angriffen ums Leben. Hunderttausende sind auf der Flucht. In den Norden des Zedernstaates. Oder, wenn sie können, nach Zypern, wo sich die Regierung mittlerweile ernsthafte Sorgen über den Flüchtlingsstrom macht: "Ich befürchte, wir können diese riesige Zahl von Menschen nicht mehr lange aus eigenen Kräften betreuen", sagte ein Sprecher der zyprischen Regierung am Dienstag Mittag. Er erwartet, dass im Laufe der Woche weitere 60.000 Menschen auf der Insel eintreffen könnten.
Zwar besitzen die meisten eine ausländischen Pass und reisen in Heimatländer weiter, aber das kann dauern. "Die Flüge sind nahezu vollständig ausgebucht, die Flughäfen arbeiten über ihrer Kapazität“, berichtet Jael Feldman, eine Kollegin vor Ort. "Pausenlos kommen Boote an; die Menschen sitzen meist stundenlang am Hafen und haben oft nur das Notwendigste dabei. Die Einheimischen, Bevölkerung und Behörden gleichermaßen, versuchen zu helfen, wo sie können, aber das Land ist im wahrsten Sinne des Wortes voll: Es gibt kein freies Hotelzimmer mehr; das Messegelände, das die Regierung zur Verfügung gestellt hat, ist völlig überfüllt."
Noch schlimmer sei die Lage im Libanon, sagt Rafael LeClerc, der aus dem Libanon berichtet: "Der Süden wird mittlerweile fast rund um die Uhr bombardiert; große Teile der Region sind nicht mehr erreichbar, weil sich dort Bodentruppen heftige Kämpfe mit der Hisbollah liefern. Wie weit sie vorstoßen werden, weiß niemand."
Auch hier könnten die Flüchtlinge so gut wie nicht mehr versorgt werden:
Wer kann, versucht bei Verwandten im Norden oder Zentrum des Libanon unterzukommen, aber es gibt es auch viele, die keine Kontakte haben und sich deshalb mit Turnhallen und anderen öffentlichen Einrichtungen zufrieden geben müssen. Viele, mit denen ich gesprochen habe, sind zudem zutiefst deprimiert, weil sie nicht wissen, wie lange die Situation noch weiter gehen wird, und ob ihre Häuser noch stehen werden, wenn sie zurückkehren.
Strategien gegen die Hisbollah
So fordert die libanesische Regierung einen sofortigen Waffenstillstand und spart dabei auch die Hisbollah nicht aus: Die internationale Gemeinschaft solle dabei helfen die Hisbollah zu entwaffnen, und das, falls notwendig, auch mit Gewalt, sagte Ministerpräsident Fuad Siniora in den vergangenen Tagen immer wieder: "Die Hisbollah ist ein Staat im Staat geworden. Wir wissen es sehr wohl, und es ist ein großes Problem. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Organisation nach den Vorstellungen von Damaskus und Teheran handelt. Der Libanon ist zu schwach, um sich gegen die syrische Vorherrschaft zu verteidigen", zitierte ihn die italienische Zeitung Corriere della Sera am Donnerstag. Allerdings müsse Israel umgehend seine Angriffe einstellen, weil dadurch der Hisbollah nur neue Unterstützer in die Arme getrieben werden.
Doch Jerusalem scheint eine andere Strategie zu verfolgen: "Es fällt auf, dass in den vergangen beiden Wochen nur sehr wenige Ziele der libanesischen Armee angegriffen wurden, und auch die Häfen und Flughäfen relativ schonende bombardiert wurden: Sie sind zwar beschädigt, können aber relativ schnell wieder instand gesetzt werden", berichtet Kollege LeClerc - eine Beobachtung, die auch andere Kollegen gemacht haben: "Ich habe den Eindruck, als führe Israel zwar einen unnachgiebigen Krieg, aber nicht gegen den Staat Libanon und sein Militär, sondern gegen die Organisation Hisbollah; für das libanesische Militär hat man wohl andere Pläne", sagt ein Analyst der französischen Botschaft in Tel Aviv.
Denn Israels Regierung spekuliert auf die Entsendung internationaler Friedenstruppen in den Libanon, die an der Seite der libanesischen Armee der Hisbollah die bislang nahezu uneingeschränkte Kontrolle über den Süden des Landes abnehmen sollen. "Das ist ein Konzept, das Sinn macht", sagt der Analyst:
Erst wenn die Organisation soweit geschwächt ist, dass kaum noch Gegenwehr zu erwarten ist, hat so ein Plan Aussicht darauf, Realität zu werden.
"Keine Rückkehr zum Status Quo Ante"
Allerdings ist die Hisbollah davon noch weit entfernt, und damit auch die Chancen des Planes auf eine baldige Umsetzung: "Keine Regierung entsendet gerne Soldaten in ein Land ohne zu wissen, was sie dort erwartet." Denn die Hisbollah lehnt Friedenstruppen ab, will auf keinen Fall Waffen und die Macht über den Süden abgeben und droht damit, sich gegen jeden zur Wehr zu setzen, der versucht, sie dazu zu zwingen. Die israelische Regierung hat derweil gelobt, die Sache diesmal zu Ende bringen zu wollen: "Wir werden auf keinen Fall eine Rückkehr zum Status Quo Ante akzeptieren", ist eine Äußerung, die in Jerusalem in diesen Tagen immer wieder zu hören ist.
Denn der habe folgendermaßen ausgesehen, erläuterte eine Sprecherin des Militärs am Dienstagmorgen:
Der Norden ist regelmäßig mit Raketen beschossen worden, Hisbollah-Kämpfer haben Militärposten an der Grenze angegriffen, und niemand hat etwas dagegen unternommen - auch nicht die UN-Truppen entlang der libanesisch-israelischen Grenze.
Sie waren dort seit 1978 stationiert, um Grenzverletzungen zu beobachten und, seit dem israelischen Abzug im Jahr 2000, der libanesischen Regierung zu helfen, ihre Hoheit über den Süden wiederherzustellen... Doch letzten Endes, berichten Angehörige der UNIFIL (United Nations Interim Force in Lebanon), seien ihnen die Hände gebunden gewesen. Hisbollah-Kämpfer hätten oft ihre Posten direkt neben Einrichtungen der UNIFIL aufgebaut, in der Hoffnung, so vor israelischen Angriffen sicher sein zu können. Für ein direktes Einschreiten habe das Mandat gefehlt. Hinzu komme, dass Beirut die UNIFIL-Präsenz als Vorwand dafür benutzt habe, keine eigenen Truppen in den Süden verlegen zu müssen.
Ratlosigkeit und Ausloten der Positionen
So herrscht auch bei den vielen Außenministern, Parlamentsdelegation und ausländischen Beratern, die derzeit den Nahen Osten bereisen, vor allem Ratlosigkeit: Man müsse irgendwas tun, ist aus ihrem Umfeld zu hören, aber was, wisse man auch noch nicht. Zunächst lote man erst einmal die Positionen aus: "Es ist noch viel Vorarbeit zu leisten, bevor wir über Friedenstruppen sprechen können", sagte ein Mitarbeiter der amerikanischen Außenministerin Condoleeza Rice, die am Montagabend in Jerusalem versucht hatte, die arabischen Staaten mit der öffentlich an die israelische Regierung gerichteten Forderung nach einem Waffenstillstand gnädig zu stimmen - bislang hatte die US-Regierung die Haltung Israels eingenommen und einen Waffenstillstand zum derzeitigen Zeitpunkt abgelehnt. Denn die Regierungen der muslimischen Welt haben zwar sehr deutliche Kritik an der Hisbollah geübt, aber gleichzeitig auch klar gestellt, dass an einem sofortigen Waffenstillstand kein Weg vorbei führen dürfe: Die USA sollten Israel dazu zwingen.
Dies aber hat auch der Befürchtung Nahrung gegeben, dass die UN-Mission, wenn sie kommt, weniger als suboptimal sein wird. "Was gebraucht wird und was getan wird, sind zwei verschiedene Paar Schuhe", sagte der Rice-Mitarbeiter:
Es ist wohl jedem klar, dass ein Kampfauftrag gebraucht wird, und keine reine Beobachtermission. Letzten Endes entscheiden aber politische Erwägungen und dazu zählt auf unserer Seite auch die Rücksichtnahme auf unsere arabischen Verbündeten. Sie dürfen nicht vergessen: Wir haben zur Zeit im Irak ein paar Probleme und können deshalb nicht auf die Unterstützung im Nahen Osten verzichten. Und ich gehe davon aus, dass andere Staaten andere Interessen haben werden, die irgendwie in einen Kompromiss eingearbeitet werden müssen.
"Druck auf die eine oder andere Seite auszuüben, wird in diesem Fall keinen Erfolg haben"
Ein erstes Anzeichen dafür, dass es mit dem Kampfauftrag nichts werden könnte, lieferte am Sonntag der deutsche Außenminister Franz-Walter Steinmeier bei seinem eigenen Besuch in Israel und den Palästinensischen Gebieten. Er glaube, dass die internationalen Bemühungen durchaus eine Chance haben, sagte er diplomatisch im Interview mit dem ZDF: Man befinde sich allerdings erst am Anfang einer Diskussion, in der es darum gehe, "ob eine solche Mission vornehmlich zur Stärkung der libanesischen Armee ausgerichtet ist, ob sie überwiegend Grenzkontrollaufgaben haben soll oder andere Aufgaben in der Region" - was bedeutet, dass sich die Welt auf eine Truppe mit möglicherweise nur begrenzten Befugnissen einrichten soll. Das aber, sagen UNIFIL-Angehörige könne keine Option mehr sein:
Wenn sie effektiv sein soll, darf die Truppe auf keinem Fall einem einheimischen Kommando unterstehen. Sie muss in der Lage sein, ihre Ziele nach eigenem Ermessen und möglicherweise auch über die Interessen der Konfliktparteien durchzusetzen.
Außenminister Steinmeier spielt in den derzeitigen Friedensbemühungen allerdings im Moment eine ganz andere Rolle: Er soll, so wünschen es sich die Regierungen in Beirut und Jerusalem, als Vermittler fungieren, Syrien und den Iran zu einem Richtungswechsel bewegen. Die Regierungen der beiden Länder sollen Hisbollah dazu bringen, Friedenstruppen zu akzeptieren. Während US-Außenministerin Rice, die am Montag überraschend in Beirut eintraf, ein Problem mit dem stark belasteten Verhältnis der USA zu Syrien hat, ist Steinmeier die Vermittlerrolle nicht fremd. Als Kanzleramtsminister war er 2003 an der Aushandlung eines Gefangenenaustauschs zwischen Israel und der Hisbollah beteiligt, der im Januar 2004 über die Bühne ging.
Doch auch diese Bemühungen stehen im Moment noch am Anfang: "Es ist absolut offen, ob sie am Ende Erfolg haben werden", sagt der Rice-Mitarbeiter: "Die Lage ist im Moment wirklich schlecht, und Druck auf die eine oder andere Seite auszuüben, wie es immer wieder von uns gefordert wird, wird in diesem Fall keinen Erfolg haben."