Beton statt Blumen?

Blühwiesen, wie hier im Botanischen Garten Berlin, bilden die Lebensgrundlage für Insekten und andere Kleintiere. Foto: Gisela Sonnenburg

Blühwiesen und Blühstreifen werden schon seit 2015 von der EU gefördert. Trotzdem obsiegt in Deutschland die Versiegelung der Flächen

Fünf Quadratmeter pro Sekunde sind keine Kleinigkeit. Eine Fläche von sogar noch mehr als diesem Ausmaß wird durchschnittlich pro Sekunde – rund um die Uhr – in Deutschland bautechnisch versiegelt. Die Natur hat dann dort keine Chance mehr.

Es handelt sich um zubetonierte oder asphaltierte Flächen, auf denen Regenwasser nicht mehr versickern und Pflanzensamen nicht mehr keimen können. Das Hochwasserrisiko steigt dadurch und die Lebensräume für wilde Tiere schrumpfen. Insekten sind davon besonders betroffen.

Sie haben eine doppelte Funktion in der Natur, denn einerseits befruchten sie die Pflanzen, andererseits bilden sie die eiweißhaltige Nahrungsgrundlage im Tierreich. Die EU hat schon 2015 erkannt, dass für den Erhalt der Insekten etwas getan werden muss.

Seither ist es möglich, Blühstreifen mit EU-Geldern fördern zu lassen. Zahlreiche Städte und Gemeinden in Deutschland zogen seither nach. Neuester Trend: Die Begrünung von einigen Dächern öffentlicher Bauten, die so zu Blühwiesen mutieren sollen. Aber faktisch schaffen es Blühflächen im städtischen Alltag oft nicht mal über den Sommer.

Berlin etwa verlässt sich lieber darauf, öffentliche Parks zuerst radikal abzuholzen und dann vergammeln zu lassen. Der so entstehende Wildwuchs einiger blattstarker Grünpflanzen ist aber keine solche Hilfe für Insekten wie eine artenreiche Blühwiese. Denn Blumen und Kräuter wie Kresse, Wilde Möhre, Koriander und Ölrettich sind ein gesundes Buffet für die Kleintiere und keine Einheitskost.

Die Gründe für die Berliner Untätigkeit sind angebliche Sparzwänge. Aber auch Fachkenntnis scheint den Berliner Behörden betreffs der Natur eher fremd, das müssen auch Landschaftsbau-Experten wie Dr. Michael Barsig konstatieren.

Barsig deckte auf, dass der Berliner Bezirk Kreuzberg-Friedrichshain Baumfäller engagieren wollte, obwohl die betreffende alte Silberlinde keineswegs in der Art erkrankt war, wie es die Firma, die durch die Fällung gut verdient hätte, behauptete.

Die Profitgier lauert der Natur in vielseitiger Hinsicht auf. Skurril mutet auch ein weiteres Beispiel aus der Hauptstadt an: Auf dem im Stadtteil Mitte nahe der Charité gelegenen "Campus Nord" der Humboldt-Universität werden derzeit Vorbereitungen getroffen, damit sich dort Ende August eine populistische Hamburger Stiftung austoben kann.

Die Stiftung AlltagForschungKunst veranstaltet dann gemeinsam mit der Uni einen Event, bei dem interessierte Bürger:innen "die Schönheit in den verwildernden Bereichen erkennen" und in selbst gefertigten Fotos, Skizzen, Texten und Videos festhalten sollen.

Wenig besonnener Umgang mit Blühwiesen

Nur werden just für diesen vorgeblich naturfreundlichen Event die zahlreichen Blühwiesen auf dem Gelände komplett abgemäht. Damit die Stiftungsgäste den dann platten Rasen betreten können. Naturschutz verkehrt herum, könnte man sagen: Die Natur muss den Besucher:innen weichen, die wiederum vorgeben, die Natur zu verehren.

Kaum zu glauben, dass eine Universität so wenig intelligent handelt - aber Berlin scheint den Blühtrend ohnehin oft zu verpassen, vom Refugium des Botanischen Gartens im Südwesten der Stadt mal abgesehen. Die zahlreichen Blühwiesen dort werden mustergültig behandelt.

Die Art der Mahd, also die Mähweise, ist bei blühenden Wiesen nämlich entscheidend. Wie man richtig mäht, um dem Insektenleben zu helfen, sollte heute jedes Kind wissen.

Das geht schlicht so: Man mäht nur die Hälfte einer Fläche. Die andere Hälfte wird erst dann gemäht, wenn der zuvor abgemähte Teil nachgewachsen ist. So einfach ist das - und so wirksam. Denn so bleibt immer ein Refugium für die Flug- und Kriechtierchen, um zu überleben und sich weiter fortzupflanzen.

Viele Städte und Institutionen und auch viele Privatleute haben das bereits begriffen. Und im landwirtschaftlichen Bereich ist die Blühflächenförderung sowieso ein Dauerthema.

In Hessen können Landwirte jährlich 600 bis 750 Euro pro Hektar für das korrekte Betreiben von Blühflächen beantragen. Mindestens fünf Jahre müssen sie sich dazu verpflichten. Dabei können sowohl einjährige als auch mehrjährige Pflanzen zum Einsatz kommen.

Das spezielle Saatgut ist indes teuer, kann bis zu 390 Euro pro Hektar kosten. Darauf macht das Land Brandenburg aufmerksam, das seit 2019 entsprechende Fördergelder vergibt.

Mancherorts, so in Schleswig-Holstein und Niedersachen, bieten zusätzlich Privatleute und Unternehmer - zumeist Landwirte - im Internet sogenannte "Blühpatenschaften" an. Die beruhigen das Gewissen der spendenden Bevölkerung, die solchermaßen für Blühflächen Geld geben kann.

Auch Naturschutzorganisationen wie der Nabu und der BUND kurbeln auf ihren Homepages das Wissen und Tätigwerden bezüglich der Blühwiesen an. Andere Verbände und Forschungseinrichtungen bemühen sich derweil um die wissenschaftlich begleitete Neugewinnung von Gebieten für die Insekten.

Insektenhotels für den Balkon, Bienenweiden im Schrebergarten – all das ist sinnvoll und nützlich und zudem schon mit wenig Aufwand machbar. Das Gros möglicher Neuanpflanzungen betrifft allerdings nach wie vor die Landwirtschaft.

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