Bibi III ist fast fertig
Israel steht vor der Bildung einer Regierung: Geplant sind weitreichende Eingriffe in das Sozialsystem und den gesellschaftlichen Status Quo; mit Fortschritten im Friedensprozess mit den Palästinensern ist hingegen nicht zu rechnen
Sieben Wochen, so lange wie schon seit 1951 nicht mehr, hatte der designierte Regierungschef Benjamin Netanjahu um die Bildung einer Koalition ("Bread and Butter" statt Krieg und Frieden) gerungen. Nun, weniger als 48 Stunden vor dem Ablauf der Deadline am Samstagabend, steht der Koalitionsvertrag zwischen Netanjahus rechtskonservativem Parteienbündnis Likud/Jisrael Beitenu, den Zentrumsparteien HaTnuah und Jesch Atid sowie der nationalistischen HaBajit HaJehudi: Vereinbart wurde neben einer Dienstpflicht für die bisher davon befreiten ultraorthodoxen Juden und der finanziellen Entlastung der Mittelschicht auch eine Anhebung der Wahlhürde von zwei auf vier Prozent - ein Schritt, der es vor allem den arabischen Parteien schwer machen wird, ins Parlament einzuziehen.
Als am Mittwochabend die Fernseh- und Radiosender und die Onlinemedien leise optimistisch vermeldeten, dass nun die Regierungsbildung kurz bevorstehe, war in der Öffentlichkeit Erleichterung spürbar, ein Aufatmen. Ein Aufatmen darüber, dass es nun "endlich, endlich, endlich" vorbei sei, wie ein Nutzer unter dem digitalen Jubel seiner virtuellen Freunde bei Facebook erklärte. Darüber, dass man "nun endlich wieder das Radio einschalten könne", wie ein Anrufer in der Talksendung eines Jerusalemer Lokalradios mitteilte.
Denn sieben Wochen lang wurde um jedes einzelne Detail gerungen: Darum, ob nun die ultraorthodoxen Parteien an der Regierung beteiligt werden sollten. Darum, ob und wie viele Ultraorthodoxe zum Militär eingezogen werden sollen. Darum, was mit dem Friedensprozess mit den Palästinensern passieren soll.
Aber vor allem: Wie viele Ministerposten es für wen geben soll. Und das bis zur allerletzten Minute: Am Samstagabend läuft die Frist für die Regierungsbildung ab; danach wären nur noch Neuwahlen geblieben oder dass Präsident Schimon Peres jemanden anderen mit der Regierungsbildung beauftragt - wobei erschwerend hinzukommt, dass am 20. März US-Präsident Barack Obama in der Region erwartet wird.
Als dann am Donnerstag tatsächlich Bibi III fertig war, erklärte der künftige Premierminister Netanjahu, er freue sich auf seine dritte Amtszeit, sei sehr zufrieden mit dem Verhandlungsergebnis, es sei die Grundlage für eine stabile Regierung, die "auf die Herausforderungen der heutigen Zeit reagieren kann".
Doch tatsächlich wurde Netanjahu zunächst von den Wählern in Richtung Abseits geschoben, indem sie dem eigens für die Wahl geschaffenen Bündnis aus Netanjahus Likud-Block und der Jisrael Beitenu-Partei des ehemaligen Außenminister Avigdor Liebermann zwölf Sitze der einst 43 Sitze wegnahmen und die Neu-Partei Jesch Atid mit 19 der 120 Sitze zum Zünglein an der Waage machten - und damit die traditionelle Aufteilung des Parlaments in Rechts und Links beendeten (Die Wahlen in Israel haben zu einem überraschenden Ergebnis geführt): Jesch Atid unter seinem Vorsitzenden Jair Lapid, einem ehemaligen Moderator, Schauspieler, Boxer, lässt sich weder hüben noch drüben einordnen.
Keine religiöse Partei in der Regierung vertreten
Kurz nach der Wahl schmiedete Lapid plötzlich ein Zweckbündnis mit der Siedler-Partei HaBajit HaJehudi (zwölf Sitze); beide traten fortan als ein Verhandlungspartner auf - und rangen Netanjahu ein Zugeständnis nach dem anderen ab. Bis am Ende, also heute, vom Konzept "Bibi" so gut wie nichts mehr übrig geblieben ist: Zum ersten Mal seit mehr als 20 Jahren ist keine religiöse Partei, bisher die traditionellen Partner des Likud, in der Regierung vertreten. Und nicht nur das: Selbst bei Themen, die für den Likud und Jisrael Beitenu existenzwichtig sind, musste Netanjahu einlenken.
So sicherte Lapid sich selbst das Finanzministerium und seiner Partei das Bildungsministerium; Bennett wird künftig Handelsminister sein. Für Likud/Jisrael Beitenu bleiben unter den wichtigen Ministerien das Innenressort und das Verteidigungsministerium; das Außenministerium wird für Avigdor Liebermann frei gehalten, der derzeit vor Gericht steht.
Aus Netanjahus Sicht ein Erfolg; Likud/Jisrael Beitenu werde seinen Einfluss in den wichtigen Fragen behalten. Doch anderswo hat man ihn verloren. So soll die staatliche Unterstützung für Ultraorthodoxe eingeschränkt werden. Das aber ist ein Schritt, der nicht nur die Religiösen, sondern auch finanzschwache kinderreiche Familien an und für sich treffen wird - und sie zählen zu den Stammwählern des Likud. Erschwerend kommt hinzu, dass das freiwerdende Geld für die finanzielle Entlastung der Mittelschicht eingesetzt werden soll. Was also auf den ersten Blick wie eine ernstzunehmende Antwort auf die Sozialproteste in den vergangenen beiden Jahren klingt, könnte, falls es tatsächlich umgesetzt wird, die soziale Ungleichheit weiter verschärfen.
"Falls", weil trotz der Koalitionsvereinbarung absolut nicht klar ist, ob dies wirklich durchsetzbar ist. Die Opposition und allen voran die ultraorthodoxen und auch die arabischen Parteien mobilisieren bereits ihre Kräfte, zumal nun auch die Einführung einer Dienstpflicht für die traditionell von der Wehrpflicht befreiten Ultraorthodoxe bevorsteht: Dem Koalitionsvertrag zufolge können künftig bis zu 1.800 Studenten in religiösen Institutionen im Jahr befreit werden; alle anderen müssen spätestens mit 21 zum Dienst antreten; wer das nicht tut, verliert bis zum 28. Lebensjahr vollständig den Anspruch auf staatliche Unterstützung.
Die religiösen Parteien kritisieren, ein Teil der Gesellschaft zwinge damit einem anderen Bevölkerungsgruppe den eigenen Lebensstil auf - man zwinge ja die Säkularen auch nicht dazu, einige Jahre ihres Lebens mit Tora-Studien zu verbringen.
Die Werte des Likud aufgegeben
Aber vor allem: Im Likud regt sich Protest. Indem die neue Regierung den einst von Staatsgründer David Ben Gurion geschlossenen Kompromiss zwischen Säkularen und Religiösen aufkündige, gefährde sie den gesellschaftlichen Frieden, kritisiert beispielsweise Mosche Feiglin, Netanjahus wichtigster parteiinterner Widersacher. Und: Netanjahu habe für die Macht die Werte des Likud aufgegeben, heißt es.
Wobei der Unmut auch dadurch befeuert wird, dass sehr viele Parlamentarier des Bündnisses bei der Postenverteilung leer ausgegangen sind: Auf Druck von Jesch Atid und HaBajit HaJehudi wurde auf die sonst üblichen Minister ohne Zuständigkeitsbereich sowie stellvertretende Minister verzichtet. Nur für sich selbst setzten Lapid und der HaBajit HaJehudi-Vorsitzende Naftali Bennett am Donnerstag in letzter Minute den Zusatz "stellvertretender Premierminister" durch - ein letzter Affront, in den Augen vieler Likudnikim, ein Affront, der deutlich macht, wie es um die Stabilität dieser Regierung bestellt sein wird.
Wie lange hält die Koalition?
Nämlich schlecht. Die Ereignisse der vergangenen sieben Wochen lassen darauf schließen, dass diese Koalition nur so lange halten wird, wie das Lapid-Bennett-Bündnis das bekommt, was es fordert. Und auch das nur so lange, wie das Bündnis der beiden Parteien hält.
In beiden Parteien sprechen die Strategen offen darüber, dass man sich nicht davor scheut, die Wähler zurück an die Urnen zu rufen, nicht jetzt und nicht in ein paar Monaten. Schon kurz nach der Wahl hatte Lapid erklärt, er wolle "in 18 Monaten" Premierminister werden. Heute sagen die ersten Abgeordneten der Partei, die Zeitspanne könne ihretwegen auch kürzer sein. Bei HaBajit Hajehudi hofft man darauf, dass Lapid dann die Zusammenarbeit der vergangenen Wochen in angenehmer Erinnerung behalten haben wird.
Bei Likud /Jisrael Beitenu gibt man sich trotz solcher Äußerungen indes gelassen: Da sprächen zwei Politik-Neulinge, denen der Erfolg zu Kopfe gestiegen sei; letzten Ende würden sich beide am Tagesgeschäft aufreiben - und damit auch in der Wählergunst, die Umfragen zufolge derzeit extrem hoch ist. Würde neu gewählt, könnte Jesch Atid mit mehr als 30 Sitzen rechnen, während Likud/Jisrael Beitenu wohl auf die um die 20 Sitze kollabieren würde.
Kein Baustopp
Wobei allerdings in diesen Umfragen noch nicht die ebenfalls vereinbarte Änderung des Wahlsystems berücksichtigt ist: Die Wahlhürde soll von zwei auf vier Prozent angehoben werden - was zwar die Zersplitterung der politischen Landschaft eindämmen würde, aber gleichzeitig auch direkten Einfluss auf die politische Repräsentation kleinerer gesellschaftlicher Gruppierungen nehmen wird. Denn in Israel repräsentieren häufig kleine Parteien die Interessen einer bestimmten Wählerschaft wie beispielsweise den ultraorthodoxen Juden.
Eine Anhebung der Wahlhürde würde also dazu führen, dass diese Gruppierungen nicht mehr im Parlament vertreten wären. Aktuell wären davon beispielsweise alle drei arabischen Parteien betroffen; aber auch eine der beiden ultraorthodoxen Parteien und die linksliberale Meretz müssten um den Einzug ins Parlament fürchten. Oder in Prozentzahlen ausgedrückt: 17,64 Prozent der Wähler hatten im Januar für eine Partei gestimmt, die weniger als vier Prozent erhielt.
Mit der Zusammensetzung der Koalition sind allerdings nun auch die Hoffnungen der Kleinpartei HaTnuah weitgehend zerstört, den Friedensprozess mit den Palästinensern voran bringen zu können. Zwar erklärten die drei großen Partner, man halte an dem bereits vor Wochen unterzeichneten Koalitionsdeal zwischen HaTnuah und Likud/Jisrael Beitenu fest, der vorsieht, dass die Vorsitzende und ehemalige Außenministerin Zippi Livni nicht nur Justizministerin wird, sondern auch die Zuständigkeit für die Verhandlungen mit den Palästinensern übernimmt.
Nur: So wie es aussieht, dürfte das Maximum sein, dass sich Israelis und Palästinenser nach mehr als zwei Jahren des Stillstandes gemeinsam in einen Raum begeben. Zugeständnisse, gar Ergebnisse, sind allerdings in Gegenwart von Bennetts Siedlerpartei unwahrscheinlich: Dort hat man angekündigt, man werde umgehend die Koalition aufkündigen, falls auch nur ein Baustopp in den israelischen Siedlungen in den palästinensischen Gebieten angeordnet werde.