Bienen naturnah halten

Bienenkörbe im 14. Jahrhundert. Bild: Gemeinfrei

Wie Bienen am besten überleben - im Kampf gegen die Varroamilbe ist der Bücherskorpion von Nutzen

Moderne Honigbienen müssen hohen Anforderungen genügen: Sie dürfen nicht krank werden, nicht schwärmen. Sie sollen im Winter Zucker fressen und einen Überschuss an Honig produzieren. Daneben müssen sie mit Ackergiften und mit Milben fertig werden. Das war nicht immer so.

Jahrtausendelang lebten Bienen in Wäldern, bis der Mensch damit begann, ihre Nahrung - den Honig - für sich zu nutzen. In der langen Geschichte von Mensch und Bienen bildet die Zeidlerei die Brücke zwischen der Beerntung wilder Honigbienen und moderner Imkerei. Bereits vor rund 150 Jahren siedelten die Menschen die Waldinsekten von der Baumhöhle in einer Kiste an, um den Honig für sich allein zu nutzen.

Erst die industrielle Herstellung von Zucker aus Zuckerrüben zu Beginn des 19. Jahrhunderts brachte eine Trendwende. Zucker, der vorher mühsam aus Zuckerrohr gewonnen wurde, war mit einem Mal auch für die ärmere Bevölkerung erschwinglich geworden. Damit wurde Honig in den Hintergrund gedrängt.

Renaissance

In Europa erlebt die Zeidlerei derzeit eine Renaissance. Im russischen Uralgebirge erlernten polnische Imker und Förster das alte Handwerk neu. Denn hier blieb die Tradition der Zeidlerei bis heute erhalten.

Mittlerweile gibt es auch in Polen wieder mehr als 150 Zeidlerhöhlen in lebenden Bäumen. Die in Baumhöhlen nistenden Bienenvölker werden von lokalen Imkern betreut. Ihnen geht es vor allem darum, der Honigbiene ihr natürliches Zuhause zurückzugeben. Die Bienenvölker sollen gesunden und sich regenerieren. Honig wird wenig bis gar nicht geerntet.

Doch natürliche Baumhöhlen sind selten geworden. Deshalb bauen moderne Zeidler wie Antonio Gurliaccio und Moses Martin Mrohs sogenannte Klotzbeuten: Zwei Meter lange hohle Baumstämme, die in fünf bis sechs Metern Höhe am Stamm eines Baumes befestigt werden, in die die Bienen einziehen können. Über Gerüste klettern die Zeidler zu den Baumhöhlen, gesichert mit Seil und Klettergurt. Durch spezielle Öffnungen beobachten sie die Insekten in den Waben.

Anders als im Mittelalter müssen die Bienen in den Klotzbauten betreut werden, erklärt Antonio Gurliaccio, der nebenher auch Bienen in herkömmlichen stapelbaren Holzkisten hält. Nachdem er 2012 den Film More than Honey gesehen hatte, nahm sein Leben eine entscheidende Wende: Er nahm an Imkerlehrgängen teil, und er reiste nach Polen und in die Schweiz, um dort die uralte Form der Waldbienenhaltung kennenzulernen. Gemeinsam gründeten die beiden die "Bienenbotschaft", um den bedrohten Insekten zu helfen.

Bienenschwärme im Zoo und im Botanischen Garten

Die Klotzbeute soll die Baumhöhle simulieren und somit den Rückgang natürlicher Habitatbäume abfedern. Sie bietet nicht nur Lebensraum für wildlebende Honigbienen, sondern auch für andere bedrohte Arten wie Hornissen und Fledermäuse. Die Imker installieren und betreuen die natürlichen Nistplätze in der Stadt für schwärmende Honigbienen und im Wald für die wildlebenden Bienen.

2016 wurde ein erster Zeidlerbaum im Botanischen Garten in Frankfurt am Main errichtet. Vier Jahre später zog ein 30.000 Bienen starkes Volk auf eine Streuobstwiese im Frankfurter Zoo ein.

Die baumähnlichen Beuten sollen Schwärmen, die aus Stadtimkereien entfliehen, ein wesensgemäßes Zuhause bieten - und darüber hinaus Menschen für naturnahe Bienenhaltung und Biodiversität sensibilisieren. Ähnlich wie Vögel, die in von Menschen erbauten Nistkästen einziehen, nehmen die Bienenschwärme die Baumhöhlen meist sofort an, erklärt Bienenbotschafter Antonio Gurlaccio.

Seit Jahren gehen viele Naturschwärme zugrunde, weil sie in der Natur keine geeigneten Nistplätze mehr vorfinden. So werden aus Sicherheitsgründen alte, hohle Bäume gefällt, obwohl sie wildlebenden Honigbienen und anderen Tieren geeignete Rückzugsräume bieten könnten.

Die Klotzbeuten liefern den Wissenschaftlern in der Feldforschung wertvolle Daten - unter anderem zu Feuchtigkeit und Temperaturen im Bienennest. Diese werden von einem Team um Prof. Jürgen Tautz am Biozentrum in Würzburg ausgewertet. Anders als in den von Menschen gemachten Beuten sind die klimatischen Verhältnisse in der Baumhöhle für das Überleben der Bienenvölker im Winter perfekt, weiß Torben Schiffer.

Jahrelang sammelte der Biologe Daten aus verschiedenen gängigen Beutensystemen. Sein Ziel ist es, die Klotzbeute derart zu optimieren, dass sie Bienen ebenso gut als Behausung dienen kann wie eine natürlich gewachsene Baumhöhle.

Bücherskorpione versus Varroa destructor

Eines der größten Probleme der modernen Bienenhaltung sind die Varroamilben, die sich in den Brutwaben der Bienen vermehren. Weil die Bienen von den häufig eingesetzten Neonikotinoiden geschwächt sind, hat Varroa destructor mit den kränkelnden Organismen leichtes Spiel, wie Schweizer Forscher kürzlich herausfanden.

Ein gesundes Volk befreit sich normalerweise durch gegenseitiges Putzen von den Milben. Doch von den Imkern wird dies nicht so gern gesehen, weil die Bienen dann weniger Zeit mit Honigsammeln verbringen. Um die Milben in Schach zu halten, behandeln sie die Bienen stattdessen mehrmals im Jahr mit organischen Säuren.

Auch Torben Schiffer wendete zunächst Essigsäure an, bis ihm während seines Biologiestudiums erste Zweifel kamen: Durch die Säurebehandlung würden zwar viele Milben abgetötet, erklärt der Bienenforscher. Doch diejenigen, die die Säure überleben, stellten im folgenden Jahr die nächste Generation besonders vitaler und säureresistenter Varroamilben.

Als er Hunderte abgerissene Fühler in den Beuten fand, stellte er sich Frage, was Bienen dazu bringen könnte, sich die Fühler vom Kopf reißen. Für ihn gab es nur eine Erklärung: die Behandlung mit Essigsäure.

Auf der Suche nach einer Alternative entdeckte der wissenschaftliche Mitarbeiter der Universität Würzburg 2006 in alten wissenschaftlichen Schriften den Bücherskorpion. Das wenige Millimeter große stachellose Spinnentier lebte seit Urzeiten symbiotisch mit den Bienen zusammen. Unter anderem jagt es auch Varroamilben.

Noch im 20. Jahrhundert lebte es in europäischen Bienenstöcken, bis es mit neuartigen Bekämpfungsmitteln ausgelöscht wurde. Eine tragische Entwicklung, denn der Skorpion bekämpft die Varroamilbe äußerst effektiv. So vertilgte ein erwachsener Skorpion in Laborversuchen bis zu neun Milben am Tag. Was bedeutet: Eine gewisse Tierzahl im Bienenstock könnte die Milben derart dezimieren, dass sie den Bienen nicht mehr gefährlich werden können.

Bienen leiden unter zu feuchtem Klima

Im Gebälk alter Bauernhöfe fing der Biologe die seltenen Tiere ein und baute ihnen Nester, in denen sie sich vermehren konnten. Doch in den Styroporbeuten, in die er die Skorpione anschließend aussetzte, sind die Insekten regelmäßig im Winter gestorben. Das lag wohl daran, dass in es in Bodennähe, wo die eckigen Magazinbeuten meist standen, deutlich feuchter war.

Im Winter, wenn sich die Insekten auf den Waben eng zusammendrängen, um sich zu wärmen, bildet sich in den kühlen Ecken Kondenswasser und Schimmel. Gegen die kühl-feuchten Temperaturen heizen die Bienen verstärkt an. Über Stoffwechselprozesse mit höherem Futterverbrauch setzen die Bienen noch mehr Feuchtigkeit frei.

Jürgen Tautz hat den dabei entstehenden enormen Energieverbrauch in Nektar umgerechnet: Demnach verbraucht ein Bienenvolk in einer Großraumbeute zwischen 750 und 1.000 Liter Nektar pro Sommer – allein für den Wabenbau und um die lebensnotwendige Kernwärme zu erzeugen. Für die Produktion von einem Kilo Honig fallen je nach Zuckergehalt gerade mal drei bis vier Liter Nektar an. Für die hierzulande lebenden 900.000 Bienenvölker bedeutet das, dass der Natur jedes Jahr um die 700.000 Tonnen an Nektar entzogen werden.

Unter dem feuchten Klima in der Beute leiden nicht nur die Bienen, sondern die gesamte Mikrofauna - auch die Bücherskorpione. Eine in den Baumstamm geschlagene Höhle hingegen kommt der ursprünglichen Behausung der Biene recht nahe.

Die oval-runde Höhle ist durch das umgebende Stammholz und in luftiger Höhe gut isoliert. Das Holz nimmt überschüssige Feuchtigkeit auf und ist gleichzeitig wärmedämmend. Die Bienen leben hier in einer Wohngemeinschaft mit vielen Kleinstlebewesen, Mikroorganismen, Bakterien und Pilzen zusammen.

In diesem Mikrokosmos übernimmt der Bücherskorpion die Funktion einer "Reinigungskraft". Mit seinem Appetit auf Varroamilben putzt er die Insektenbehausung blitzeblank. So stecken mehrjährige wildlebende Völker die Varroamilbe problemlos weg.