Bilderverbot im Weißen Haus
US-Regierung stemmt sich gegen das mediale Interesse an Bildern vom toten Bin Laden, Reuters hat Fotos von offensichtlich unbewaffneten Toten in dem Gebäude veröffentlicht
Gierig haben die großen Medien darauf gewartet, Fotos vom getöteten Bin Laden in die Hände zu bekommen. Die US-Regierung hat ein Hin- und Herspiel inszeniert, wodurch das Interesse noch weiter angestiegen war, zumal die Geheimniskrämerei um die Operation der gezielten Tötung des islamistischen Terrorchefs mitten in Pakistan Misstrauen und Verdächtigungen genährt hatten.
Nachdem US-Präsident definitiv erklärt hatte, dass es keine Bilder veröffentlichen, und der Sprecher des Weißen Hauses sagte, dass auch ansonsten die Informationsweitergabe restriktiv gehandhabt würde, schaffte es Reuters, von einem Angehörigen der pakistanischen Sicherheitskräfte Fotos zu kaufen, die drei Leichen zeigen, die die US-Spezialeinheiten liegen gelassen hatten. Sie sollen aus der Nacht der Erstürmung des Gebäudes stammen, etwa eine Stunde, nachdem die Amerikaner wieder weggeflogen waren. Die Männer liegen in ihrem Blut, Waffen sieht man keine, unter den Schultern kann man nur eine giftgrüne Wasserpistole erkennen.
Die US-Regierung selbst hatte bestätigt, dass Bin Laden nicht bewaffnet war, allerdings erklärte man, dass er trotzdem irgendwie Widerstand geleistet haben sollte und dass während der gesamten Operation geschossen worden sei. Pakistanische Sicherheitskräfte berichteten jedoch, dass angeblich keine Schüsse von den Bewohnern des Hauses abgefeuert worden wären. Die überlebende 12-jährige Tochter erzählte, die Soldaten hätten ihren Vater festgenommen und dann vor den Augen der Familie erschossen. Es werden von allen Seiten viele Mythen gestrickt werden, die Reuters-Fotos könnten jedoch die Version nahelegen, dass die Bewohner des Hauses getötet wurden, ohne bewaffnet gewesen zu sein.
Offenbar nach längeren Diskussionen hatte das Weiße Haus beschlossen, keine Bilder von der Leiche des getöteten Bin Laden zu veröffentlichen. Man werde solche Fotos nicht herausgeben, die als Trophäen erscheinen, sagte US-Präsident Obama. Man habe Bin Laden schlicht der Gerechtigkeit zugeführt. Verhindert werden müsse, dass schreckliche Fotos eines Menschen, der eine Schusswunde im Kopf hat, nicht "als Anstiftung zu zusätzlicher Gewalt oder als Propagandamittel" zirkulieren können. Obama erklärte auch, es sei zweifellos sicher, dass man Osama bin Laden getötet habe, dazu bedürfe es keiner Fotos als Beweise. Er werde niemals mehr auf der Erde in Erscheinung treten. Sein Pressesprecher übte sich dagegen in Verschwiegenheit. Es gibt nicht nur keine Fotos oder Videos, auch sonst will das Weiße Haus die Rollladen über die Aktion schließen.
Es braucht allerdings keine Bilder, schon die Killaktion und die darauf folgende mediale Berichterstattung hat dafür gesorgt, dass al-Qaida und Bin Laden wieder mehr Aufmerksamkeit erhielten. Auch wenn die USA letztlich zeigen konnten, dass sie manche ihrer Feinde eher tot als lebendig kriegen und damit der amerikanischen Gerechtigkeit zuführen, baut die Erfolgsmeldung die islamistischen Terroristen ähnlich wie in Zeiten von Bush auf, als Bin Laden auf Augenhöhe Krieg mit dem US-Präsidenten Bush führen sollte. Die Tötung Bin Ladens und die Geheimnistuerei sind auch ohne Veröffentlichung von Fotos Propaganda für al-Qaida, um die es auch gerade angesichts der arabischen Revolten ruhig wurde. Sawahiri, den Macher hinter dem Ideologen Bin Laden, wird es freuen.
Die Veröffentlichung von Fotos der Leichen berüchtigter Feinde, Tyrannen oder Krimineller ist zwar durchaus üblich gewesen und wurde gleichzeitig als Triumph und Beweis des Siegs zelebriert. Die Anhänger des Getöteten sollten wissen, dass es mit diesem endgültig vorbei ist, den eigenen Leuten wurde damit versichert, dass sie keine Angst mehr zu haben brauchen. Dazu dienten etwa die Fotos vom erhängten Mussolini, vom erschossenen Che Guevara oder vom exekutierten Ceausescu.
Im Irak-Krieg folgten die Amerikaner noch dem Brauch, die zur Strecke gebrachten prominenten Gegner auszustellen, beispielsweise die Söhne von Hussein, die im Juli 2003 bei einer massiven Operation in einem Haus getötet wurden. Auch damals zögerte man zunächst, Fotos der Leichen zu veröffentlichen, weil man unter anderem Sorge hatte, dass dies den damals noch schwachen Widerstand erstarken lassen könnte. Dann aber richtete man, weil ddie Zweifel im Irak und der arabischen Welt groß waren, die schwer entstellten Leichen schließlich kosmetisch her und stellte sie in einer Leichenhalle für die Presse aus.
Weil später US-Verteidigungsminister Rumsfeld immer jammerte, dass die Terroristen den Medienkrieg mit ihren grausamen Bildern von Anschlägen und Exekutionen gewinnen würden, hat man dann offensiv den ein Foto des im Juni 2006 durch einen Bombenangriff getöteten Anführers von al-Qaida im Irak, den wegen seiner Grausamkeit berüchtigten al-Sarkawi, veröffentlicht. Al-Sarkawi war damals wie Bin Laden als großer Gegenspieler der USA aufgebaut worden, entsprechend wurde seine Liquidierung gefeiert. Zunächst kursierten Fotografien seines verletzten Gesichts, offiziell wurde später das Foto des ästhetisch appetitlich präparierten, aber gleichzeitig auch friedlich ruhenden Terrorchefs verbreitet – und das auch noch auf einer Pressekonferenz in einem vergoldeten Rahmen. Das machte den Eindruck, als würde im Krieg der Tod ebenso sauber sein, wie man gerne seine Angriffe als "chirurgische Eingriffe" gesehen haben wollte, die keine Kollateralschäden verursachen und sachlich-coole Operationen darstellen (Im Kongo künftig einen Fuß in der Tür).
Die Obama-Regierung ist nicht die Regierung von Bush. Auch wenn sich nicht so viel verändert hat, wie sich das Viele auch in den USA gewünscht hatten, so ist der Politikstil des rhetorisch ganz anders als Bush auftrumpfenden Obama, der sich nicht so gerne als Kriegsherr inszeniert, auch wenn er dies ist, doch anders. Obama hat versucht, sich der islamischen Welt besser anzunähern. Zudem ist nach den Bildern von Guantanamo oder von Abu Ghraib, aber auch den Mohammed-Karikaturen deutlich geworden, welche Folgen Bilder in der islamischen Welt auslösen können.
Dass angeblich besonders Außenministerin Clinton und Verteidigungsminister Gates sich gegen die Veröffentlichung von Bildern des toten Bin Laden, weist darauf hin, dass sie besonders um ihre Mitarbeiter und Soldaten im Ausland Sorge hatten, da diese dann verstärkt angegriffen werden könnten. Obama zog nach und erklärte, die Veröffentlichung würde ein "nationales Sicherheitsrisiko" darstellen, womit er die Macht von Bildern und damit der Medien schon sehr hoch einzuschätzen scheint. Von den meisten US-Politikern wird die ikonoklastische Entscheidung unterstützt, Sarah Palin sieht dies aber anders, wie sie über Twitter kundgab:
Show photo as warning to others seeking America's destruction. No pussy-footing around, no politicking, no drama; it's part of the mission.
Während in Deutschland die gezielte Tötung Bin Ladens durchaus kritisch gesehen wird und die von Bundeskanzlerin Merkel geäußerte Freude über dessen Tötung selbst bei Unionspolitikern auf Ablehnung stieß, während der grüne Bundestagsabgeordnete dies gleich zum Gegenstand einer Kleinen Anfrage an die Bundesregierung machte, ist das offenbar in den USA kaum ein Problem. Justizminister Holden meinte, Bin Laden habe sich "aggressiv" bewegt. Er hätte seine Hände über den Kopf erheben und sich ergeben könne. Das habe er nicht gemacht, weswegen "die Operation gegen Bin Laden als Akt der nationalen Selbstverteidigung gerechtfertigt" sei.
Bei aller Rechtfertigung will man bei der US-Regierung jedoch vermeiden, von einer gezielten Tötung zu sprechen, wohl wissend, dass man damit die Grenzen des rechtsstaatlichen Handelns verlassen und Menschen- sowie Völkerrecht brechen würde. Man macht dies klammheimlich, rechnet mit der Akzeptanz bei der Bevölkerung und der Verbündeten, was Merkel ja deutlich genug zum Ausdruck brachte, und vermeidet weiterhin, um sich alle Türen offen zu halten, den Beitritt zum Internationalen Strafgerichtshof. Mit der Ausführung von gezielten Tötungen und der Duldung von solchen durch die Staatengemeinschaft nähert man sich wieder der Welt des Kalten Kriegs an, in der Morde und Anschläge seitens der Geheimdienste gang und gäbe waren. Die USA waren aus dieser Tradition ausgestiegen und haben sie mit Bush wieder fortgesetzt, Obama schließt sich an, die Regierungen der westlichen Staaten dulden dies ebenso, wie sie den Verschleppungen, der Folter und den Geheimgefängnissen nichts entgegen gesetzt haben.