Bio aus dem Supermarkt?
Für wenig Geld kann man Bio-Produkte heute in fast jedem Supermarkt kaufen. Eine Vielzahl an Bio-Siegeln verweist allerdings auf unterschiedliche Qualitäten bei der Herstellung
Früher einmal gab es Bio nur im Naturkostladen an der Ecke. Mit Lebensmitteln aus ökologischem Anbau verband man Naturnähe, Tierwohl und Schadstofffreiheit der Produkte. Regionale Erzeuger, Händler, Konsumenten wollten aus Überzeugung die Umwelt schützen und sich gesund ernähren. Heute werden Bioprodukte in Massen in den Discountern zu Mini-Preisen verramscht. Ist das überhaupt noch Bio?
Eigentlich ist es zu begrüßen, dass Bio-Produkte heute billig in Supermärkten angeboten werden, können sich doch auch Menschen mit weniger Geld nun Bioprodukte leisten. Zum Beispiel Bio-Milch, die gibt es im Discounter für weniger als einen Euro. Die Nachfrage ist inzwischen so groß, dass sie von deutschen Biobetrieben allein nicht mehr gedeckt werden kann.
Immer größere Mengen werden aus anderen EU-Ländern importiert. Das allerdings setzt deutsche Hersteller unter Preisdruck: Wegen der wachsenden Importe müssen sie immer billiger und effizienter produzieren. Doch Lebensmittel von deutschen Biobetrieben können schon allein wegen der höheren Lohnkosten nicht so billig sein wie die aus dem Ausland.
Warum aber sind Bioprodukte aus dem Discounter so viel billiger als in Bioläden und Fachgeschäften? Zum Einen kaufen Discounter größere Mengen ein, weshalb sie höhere Rabatte erhalten, erklärt Andreas Kaapke von der Dualen Hochschule in Baden-Württemberg in einem Interview mit dem SWR. Zum Andern können Bio-Artikel über andere Produkte mit subventioniert werden, das heisst, die Defizite durch Preissenkung werden auf die Preise anderer Produkte aufgeschlagen.
Glaubt man dem vom BÖLW veröffentlichten Bericht Zahlen, Daten, Fakten zur Bio-Branche 2017 lag die Umsatzsteigerung bei Bio-Lebensmitteln 2016 bei knapp 10 Prozent. Nahezu 40.000 Unternehmen wirtschaften hierzulande nach dem gesetzlichen Bio-Standard. Jeder Deutsche kauft für etwa 100 Euro im Jahr Bio-Essen und -Getränke. Und 41 Prozent der Deutschen gaben an, Bio-Produkte zu kaufen, wann immer es möglich ist. 80 Prozent legen Wert darauf, dass sie frei von Gentechnik sind.
EU-Bio-Siegel erfüllen Mindeststandards
Um ein Bio-Siegel tragen zu dürfen, müssen Bio-Produkte bestimmte Standards erfüllen. So setzt das Siegel mit dem Euro-Blatt auf hellgrünem Grund EU-weit einheitliche Mindeststandards für den ökologischen Landbau. Auch das sechseckige Bio-Siegel erfüllt die EU-Norm und darf in Deutschland zusätzlich zum EU-Bio-Logo verwendet werden
Als positiv ist zu bewerten, dass bei allen EU-Bio-zertifizierten Produkten der Einsatz von Gentechnik und Pestiziden generell verboten ist. Auf chemische Pflanzenschutz- und Düngemittel wird verzichtet, Tiere haben etwas mehr Platz, ihre Anzahl ist an Flächen gebunden.
Die Futtermittel kommen aus biologischem Anbau und dürfen nicht gentechnisch verändert sein. In den verarbeiteten Lebensmitteln sind aber immerhin noch 49 Zusatzstoffe erlaubt (in konventionellen Produkten mehr als 300). Die Zutaten müssen zu 95 Prozent aus ökologischen Anbau, der Rest darf aus konventioneller Landwirtschaft stammen.
Außerdem ist beim EU-weiten Bio-Siegel eine Teilumstellung eines Betriebes möglich. Dies macht auch die Kontrollen schwieriger: Findet der Kontrolleur zum Beispiel einen Kanister mit Pflanzenschutzmittel oder Kunstdünger, kann der Bauer immer behaupten, dass er ihn auf dem konventionell bewirtschafteten Betriebsteil anwende.
Bei Bio-Verbänden gehts den Tieren besser
Bei Produkten von Gäa-, Bioland-, Naturland-, und Demeter-zertifizierten Betrieben sind Teilumstellungen nicht erlaubt. Die Anforderungen an die ökologische Herstellung sind um Einiges strenger. So müssen alle Zutaten zu 100 Prozent aus ökologischem Anbau stammen.
Schweine müssen auf Stroh stehen, Rinder zumindest zeitweise Auslauf haben. Antibiotika dürfen nicht prophylaktisch eingesetzt werden. Das Futter muss aus Bio-zertifiziertem Anbau stammen und mindestens die Hälfte davon auf dem eigenen Betrieb erzeugt werden.
Bei Demeter müssen zusätzlich zwei Drittel des Futters für alle Tierarten aus verbandseigenem Anbau stammen. Die Rinder dürfen nicht enthornt werden. Zur Boden- und Pflanzenverbesserung werden Präparate aus Kräutern, Mineralien und Kuhmist angewendet. Im Getreidebau sind nur samenfeste Sorten zugelassen.
Bei Getreide, Gemüse und Geflügel gibt es eine verbandseigene Zucht.Während die EU-Bio-Verordnung Zusatzstoffe in der Fleischherstellung erlaubt, sind die meisten davon bei Demeter (einschließlich Jod, Nitritpökelsalz und natürliche Aromen) verboten. Während EU-Bio-Betriebe einmal im Jahr kontrolliert werden, gibt es auf Demeter-Betrieben darüber hinaus eine zusätzliche Verbandskontrolle. Die genannten Verbandsmarken werden nur im Naturkost-Fachhandel und Bio-Supermärkten angeboten. Basic hat 12.000, Dennree rund 13.000 Artikel, Tegut bis zu 3000 Bio-Artikel.
Gemüse aus dem Süden verbraucht mehr Wasser
In den Discountern werden vor allem Eigenmarken wie das Bio-Smiley oder BioBio angeboten. Allerdings sagen die Marken - ähnlich wie die Vermerke "aus kontrolliertem Anbau" oder "organic" - wenig über die Qualität aus. Auch der Umfang des Bio-Angebotes ist überschaubar: Mit 200 Artikeln ist das Sortiment bei Netto noch am größten.
Außerdem gehört es zum Standard, dass Bio-Karotten, -Kartoffeln und -Gurken aus dem Ausland importiert werden. Denn ausländisches Bio-Gemüse ist nicht nur billiger als deutsches, sondern auch kaum teurer als konventionelle Ware. Bio-Karotten aus Israel bzw. Spanien werden bei Aldi/Süd für 1,19 € angeboten. Zu diesem Preis könnte hierzulande ein Anbauer von Bio-Kartoffeln kaum kostendeckend wirtschaften. Israelische Bauern würden sogar noch mehr Bio-Karotten für Europa anbauen, wäre für sie nicht der Zugang zu immer neuen Ackerflächen begrenzt.
Dafür ist die Klimabilanz der Gemüse-Importe erheblich schlechter - nicht nur wegen der langen Transportwege per LKW, Schiff oder Flugzeug, auch wegen des höheren Wasserverbrauches in den Anbauländern. So werden bei der Produktion von einem Kilogramm Frühkartoffeln in Deutschland rund 130 Liter Wasser, für dieselbe Menge Kartoffeln in Israel bzw. Ägypten 200 bis über 400 Liter verbraucht:
Die negativen Auswüchse flächendeckender Gemüseproduktion für den Export sind besonders in der spanischen Provinz Almeria zu erkennen: Hier bedecken kilometerweit Plastikfolien tausender Treibhäuser die Erde. Pestizide haben die Böden derart ausgelaugt, dass viele Erzeuger schon vor Jahren auf Bio-Tomaten umgestiegen sind. Mit Bio lässt sich ohnehin mehr Geld verdienen. Um die Pflanzen zu bewässern, muss bis zu 400 Meter tief nach frischem Wasser gebohrt werden. Das führt dazu, dass der Grundwasserspiegel in der Gegend permanent sinkt, während salziges Meerwasser nach oben drückt.
So droht einer ganzen Region ein ökologisches Desaster, weil deutsche Kunden im Winter Tomaten essen wollen: Mit Gemüse aus dem Ausland können übrigens auch Krankheitserreger importiert werden. Das zeigte der Skandal um die mit EHEC-Bakterien befallenen spanischen Gurken von 2011: Auch Bio-Gurken waren damals betroffen.
Was kennzeichnet ein Produkt aus der Region?
Glaubt man dem Ernährungsreport 2018 legen 78 Prozent der Verbraucher Wert auf regionale Lebensmittel. Auch der eingangs erwähnte BÖLW-Bericht bestätigt, dass der Handel im Jahr 2016 wegen wachsender Nachfrage sein Angebot an Bio-Kartoffeln und -Möhren aus deutschem Anbau ausgebaut hätten.
Mehr als die Hälfte aller deutschen Bio-Konsumenten kaufen ihre Bio-Lebensmittel im Discounter. Die Agrarmarkt- Informations-Gesellschaft (AMI) belegt dies mit Zahlen.
So steigerte der Lebensmitteleinzelhandel (LEH) seinen Anteil am Gesamtumsatz mit Biolebensmitteln im 2016 um 14,6 Prozent auf 5,45 Milliarden Euro. Damit erreichte er einen Umsatzanteil am gesamten Bio-Markt von 58 Prozent. Demgegenüber wuchs der Umsatz im Naturkosthandel um fünf Prozent auf 2,85 Milliarden Euro, womit er einen Marktanteil von nur 30 Prozent erreichte.
Regionalität für Lebensmittel wird mehr und mehr zum Qualitätskriterium - auch in Supermärkten, wo regional Produkte sowohl aus Bio- als auch aus konventioneller Erzeugung angeboten werden. Viele Ketten betreiben inzwischen eigene regionale Marken wie "Rewe Regional", "Unser Norden" oder "Unsere Heimat": Doch sagen die Siegel nichts über den Herstellungsort oder -betrieb aus, die genaue Herkunft der Waren bleibt im Dunkeln. Während bei Eiern zum Beispiel eine genaue Kennzeichnung vorgeschrieben ist, fehlt dieser Hinweis bei den meisten anderen Produkten.
Oft genug ist der Hinweis auf Regionalität auch ein geschickter Schachzug des Marketing. Denn wie weit der Weg von der Produktionsstätte regionaler Lebensmittel bis in den Supermarkt sein darf, dafür gibt es - noch - keine gesetzliche Regelung. So dürfen Kräuter, die im niedersächsischen Papenburg hergestellt wurden, auch 200 Kilometer weiter als regionale Produkte angeboten werden. Auch "Müritzer Käse", hergestellt von Milram in Mecklenburg wird 380 Kilometer weiter im niedersachsischen Edewecht geschnitten und abgepackt. Bevor er in einem Rostocker Supermarkt endlich in der Theke liegt, hat er einen Weg von 700 Kilometer zurückgelegt
Regional einkaufen - saisonal kochen
Zweifellos ist es am sinnvollsten, Bio-Lebensmittel in derselben Region zu konsumieren, in der sie hergestellt wurden. Zum Einen stärkt das lokale Wirtschaftskreisläufe, zum Andern schonen kurze Transportwege das Klima. So will der Verein Regionalfenster mit einem gleichnamigen Siegel die Herkunft von Obst, Gemüse, Fleisch, Wurstwaren und Milchprodukten transparent machen.
Unterdessen wird das Billig-Bio-Angebot der Supermärkte für Naturkostläden mehr und mehr zum Problem. Der Naturkosthandel müsse sich auf seine Stärken besinnen, glaubt Demeter-Vorstand Alexander Gerber, will er künftig im Wettbewerb mithalten. Diese Stärken liegen vor allem in der Transparenz und Regionalität der Produkte.1
Ein Pluspunkt der kleinen Bioläden ist zudem das persönlichere Verhältnis zwischen Verkäufer und Kunden. Zudem liegen die Läden häufig in den Innenstädten, wo sie zu Fuß oder als Rad besser zu erreichen sind als die Discounter an den Stadträndern. Am besten lässt sich die regionale Bio-Lebensmittel-Vielfalt als Mitglied einer Solidarischen Landwirtschaft ausprobieren. Mit Rot-, Spitz-, Weiß- und Grünkohl, Rote Beete, Pastinaken, Rüben, Sellerie, Karotten, Kohlrabi, Feldsalat , Postelein kann sich das Gemüse-und Salat-Angebot einer Solawi auch im Winter sehen lassen.