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Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Vorratsdatenspeicherung dürfen die Daten nur genutzt werden, wenn eine schwere Straftat vorliegt, aber es gibt noch weitere Konsequenzen
Das Bundesverfassungsgericht hat am 19.03.2008 dem Eilantrag von acht Beschwerdeführern, den Vollzug der Vorratsdatenspeicherung zu stoppen, teilweise stattgegeben. Für die Gegner der Überwachung ist das weder ein Sieg noch eine Niederlage. Die Konsequenzen der Entscheidung erschließen sich erst aus der Begründung. Die aber hat es in sich.
Das Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen ist am 1. Januar in Kraft getreten und setzt die Richtlinie der Europäischen Union über die Vorratsdatenspeicherung um. Die Verbindungsdaten beim Telefonieren müssen von den Telekommunikationsanbieter sechs Monate gespeichert werden, wenn es der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung dient. Für die Kommunikation im Internet gilt eine Übergangsfrist von einem Jahr; die umfassenden und anlassunabhängigen Bewegungsprofile der Nutzer müssen erst ab 2009 erfasst werden.
Das Bundesverfassungsgericht hatte über mehrere Punkte zu entscheiden:
- Die Pflicht der Anbieter, nach § 113a des Telekommunikationsgesetzes Daten zu speichern,
- ferner wie und vom wem und bei welchem Anlass die Daten nach § 113b verwendet werden dürfen,
- die Frage, ob die Richtlinie der Europäischen Union den deutschen Gesetzgeber verpflichtet hat, alle diejenigen Straftaten in den Katalog der Strafprozessordnung nach § 100a aufzunehmen, bei denen jetzt die Behörden zum Abruf ermächtigt sind, und
- vor allem, ob bei den obigen Fragen jeweils eine Einstweilige Anordnung angemessen ist oder ob erst in der Hauptsache inhaltlich entschieden werden muss.
Der heutige Beschluss ist auf den ersten Blick einfach: Es muss weiter gespeichert werden, der Vollzug des § 113a wird nicht ausgesetzt. Das Gericht begründet das aber nicht mit der Sache, ganz im Gegenteil: Die "umfassende und anlasslose Bevorratung sensibler Daten über praktisch jedermann für staatliche Zwecke, die sich zum Zeitpunkt der Speicherung der Daten nicht im einzelnen absehen lassen", bewirkten einen "erheblichen Einschüchterungseffekt". Die Formulierung spielt auf das Urteil des Bundesverfasungsgerichts zur so genannten "Online-Durchsuchung" an:
Soweit Daten erhoben werden, die Aufschluss über die Kommunikation des Betroffenen mit Dritten geben, wird die Intensität des Grundrechtseingriffs dadurch weiter erhöht, dass die - auch im Allgemeinwohl liegende - Möglichkeit der Bürger beschränkt wird, an einer unbeobachteten Fernkommunikation teilzunehmen (vgl. zur Erhebung von Verbindungsdaten). Eine Erhebung solcher Daten beeinträchtigt mittelbar die Freiheit der Bürger, weil die Furcht vor Überwachung, auch wenn diese erst nachträglich einsetzt, eine unbefangene Individualkommunikation verhindern kann.
Das Speichern der Daten an sich sieht das Gericht aber nicht als das aktuelle Problem an, sondern nur die Frage, wer darauf zugreifen könne. Das aktuelle Vortum der Richter schließt aber gerade nicht aus, dass nicht in der Hauptsache ganz anders geurteilt werden wird. Die entscheidende Passage, warum jetzt beim § 113 nicht einzugreifen sei, lautet, dass die Voraussetzungen für eine Einstweilige Verfügung - "ein besonderer schwerwiegender und irreparabler Nachteil" für die Bürger - nicht vorliegen.
Das ist eine formale Begründung, die ungewöhnlich ausführlich argumentativ unterlegt wird: Eine einstweilige Anordnung, auch vorläufiger Rechtsschutz genannt, greife erheblich in die "Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers" ein. Das sei umso komplizierter, da es hier zusätzlich darum gehe, europäische Normen in deutsches Recht zwingend umzusetzen. Die Vorratsdatenspeicherung jetzt komplett zu kippen, gehe über die Entscheidungskompetenz des Bundesverfassungsgerichts weit hinaus. Nur ein "irreparabler Schaden" für die Betroffenen hätte ein sofortiges Eingreifen nach Ansicht der Richter legitimiert.
Dieser Schaden kann schon deshalb nicht entstehen, weil der heutige Beschluss des Bundesverfassungsgerichts dem einen Riegel vorschiebt: Das öffentliche Interesse vor allem der Strafverfolger am Vollzug müsse gegenüber den Nachteilen für die Bürger zurückstehen. Der Abruf der Verbindungsdaten auch für "kleinere" schwere Delikte nach § 100a StPO - wie Steuerhinterziehung, Schmuggel, Urkundenfälschung, Betrug und Computerbetrug - wird untersagt:
Ein solcher Datenabruf ermöglicht es, weitreichende Erkenntnisse über das Kommunikationsverhalten und die sozialen Kontakte des Betroffenen zu erlangen. Zudem werden in vielen Fällen die durch den Verkehrsdatenabruf erlangten Erkenntnisse die Grundlage für weitere Ermittlungsmaßnahmen bilden.
Ab sofort dürfen die gespeicherten Daten nur genutzt werden, wenn eine schwere Straftat aus dem Katalog der Strafprozessordnung vorliegt, "die auch im Einzelfall schwer wiegt, der Verdacht durch bestimmte Tatsachen begründet ist und die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise wesentlich erschwert oder aussichtslos wäre." Die Ermittler müssten sogar das Risiko akzeptieren, dass ein Verfahren insgesamt vereitelt wird, wenn jetzt nicht auf die digitalen Bewegungsprofile der Verdächtigen zugegriffen werden könne.
Dann folgt ein Satz, den man als eine sehr höflich und verklausulierte Drohung verstehen könnte oder auch als einen kleinen Tritt vor das Schienbein des Gesetzgebers:
Dabei ist im Verfahren über den Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht zu klären, ob der deutsche Gesetzgeber durch die Richtlinie 2006/24/EG verpflichtet war, sämtliche der in § 100a Abs. 2 StPO aufgeführten Straftaten in die Abrufermächtigung des § 100g StPO einzubeziehen.
Mit anderen Worten: Das Bundesverfassungsgericht hat offenbar die Stirn gerunzelt sowohl bei den geänderten Paragrafen der Strafprozessordnung, die bei zahlreichen Straftaten zum Beispiel das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Urteil zur Volkszählung 1983 oder auch das neue Grundrecht auf Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme) aushebeln wollen. Man kann vermuten, dass das Gericht hier in der Hauptsache höflich die Daumenschrauben ansetzen wird. Zudem muss die Bundesregierung als Hausaufgabe einen Bericht vorlegen, welche Erfahrungen mit der Vorratsdatenspeicherung gesammelt wurden. Da beide Senate unbedingt entscheiden wollten und das auch gemeinsam tun werden, kann man im Hauptsacheverfahren auch in der Frage einen größeren juristischen Rundumschlag erwarten, wie europäische Normen in deutsches Recht übernommen werden müssen und ob der deutsche Gesetzgeber über das Ziel hinausschießen musste, wie im Fall der Vorratsdatenspeicherung.