Black Box Amri: Hatte ein zweiter V-Mann Kontakt zu dem Attentäter?

Seite 2: Fussilet-Moschee

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Nach seiner Freilassung begab sich Amri zur Fussilet-Moschee, nicht ohne unterwegs seine Überwacher "abgeschüttelt" zu haben, so der Zeuge M. weiter. Ein Stadtfremder soll die örtliche Polizei abgehängt haben? Auch das schwer nachzuvollziehen.

In der Moschee nahm Amri ein neues Handy mit anderer SIM-Karte auf und rief umgehend mehrere Kontaktpersonen in Nordrhein-Westfalen an. Er informierte sie, dass er festgenommen worden war und forderte sie auf, ihre Handys wegzuwerfen. Die von Amri benutzte neue SIM-Karte war eine von mehreren, die das LKA in NRW überwachte. Doch wie und wann war sie nach Berlin und in die Fussilet-Moschee gekommen?

Die offene Kontrolle durch die Berliner Polizei hatte die Taktik des LKA NRW grundlegend zerstört. Amri war gewarnt und warnte seinerseits Kontaktleute. Aus den Akten der EK Ventum ist folgendes Zitat bekanntgeworden: "Entgegen der Absprachen wurde Amri durch Kräfte des LKA Berlin offen kontrolliert. Hierdurch Gefährdung des weiteren Einsatzes der VP." Wer war mit dieser VP gemeint?

Die "VP 01 Murat" nicht, wie der für diese Quelle Zuständige, eben KHK M., nun im Ausschuss erklärte. Ob Amri am 18. Februar 2016 im Fernbus nach Berlin "alleine reiste", wisse er nicht, so M., aber: "Von uns saß keine VP neben ihm im Bus." Und auf Nachfrage sagte er, ob eine V-Person einer anderen Behörde dabei war, darüber habe er "keine Informationen". Zu den Protokollen der Telefonüberwachung Amris durfte er sich nicht äußern, da sie das Verfahren gegen die Abu Walaa-Gruppe in Celle berühren.

Begleiter "Bilel"?

Kam Amri alleine in Berlin an und war er etwa selber die unbekannte VP? Dem widerspricht wie schon in der letzten UA-Sitzung der frühere Chef des Staatschutzes von NRW nun auch der Zeuge M. Sie hätten "nie die Absicht gehabt, Amri zur Quelle zu machen".

Oder hatte Amri doch einen Begleiter? Die Abgeordneten sind in den Akten auf eine Stelle gestoßen, die Rätsel aufgibt. Amri war festgenommen und sein Handy beschlagnahmt worden. Nun liest man: "Den PIN-Code des Handys kannte Herr Bilel nicht genau." War Amri also in Begleitung eines gewissen "Bilel"? Wenn ja, dann könnte es sich um die Person Bilel Ben Ammar gehandelt haben. Sie spielt im Amri-Komplex eine wesentliche Rolle. Und tatsächlich führen immer mehr Spuren zu ihr.

Auf Nachfrage bestätigte M., der LKA-Mann aus NRW, dass Amri auf seiner Fahrt von Dortmund nach Berlin in Hannover eine Person getroffen hat, die "Bilel" gewesen sein könnte. Ob "Bilel" dann mit Amri nach Berlin fuhr, daran könne er sich nicht erinnern.

War Bilel Ben Ammar vielleicht jene "VP" aus Nordrhein-Westfalen, deren Einsatz durch die offene Kontrolle der Polizei in Berlin gefährdet wurde? Sollte sich das bewahrheiten, würde der Fall schlagartig eine neue Dimension bekommen. Denn Bilel Ben Ammar war an der Seite Amris quasi vom ersten bis zum letzten Tag seines Aufenthaltes in Deutschland.

Wie aus dem Behördenzeugnis des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) vom Januar 2016 hervorgeht, reiste Amri zusammen mit Ben Ammar und Habib S. im Juli 2015 nach Deutschland ein.

Die Form des BfV-Behördenzeugnisses wurde gewählt, um zu kaschieren, von welcher Behörde die Information kam. Es war das LKA in Düsseldorf.

"Eisbär"-Verfahren

Ben Ammar gehörte zu einer Gruppe verdächtiger Tunesier, gegen die das Bundeskriminalamt (BKA) wegen Vorbereitung von Anschlägen ermittelte (EG "Eisbär"). Laut KHK M., dem Chef der EK Ventum, war Ben Ammar "die Schnittstelle" zwischen dem "Eisbär"-Verfahren und ihrer Beschäftigung mit Amri. Ben Ammar habe sich auch in Nordrhein-Westfalen aufgehalten.

Am Tag vor dem Anschlag traf sich Amri mit ihm in Berlin. Und Ben Ammar hatte bereits im Februar 2016 vom Breitscheidplatz in Berlin, dem späteren Tatort, Fotos gemacht. Nach dem Anschlag liefen gegen ihn, wie man erst Ende 2017 erfuhr, Mordermittlungen. Er wurde vorläufig festgenommen, doch dann am 1. Februar 2017 unverhofft nach Tunesien abgeschoben.