Black Box Amri: Hatte ein zweiter V-Mann Kontakt zu dem Attentäter?
Seite 3: Obleute aller Fraktionen schweigen
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Auffällig ist an diesem Sitzungstag im Abgeordnetenhaus, wie zurückhaltend sich die Ausschussmitglieder gegenüber der Frage nach der unbekannten "VP" aus NRW, deren Einsatz durch die Aktion in Berlin am 18. Februar 2016 "gefährdet" gewesen sei, verhalten. Im öffentlichen Teil der Sitzung halten sie dem Zeugen M. die entsprechende Stelle in den Akten nicht vor und wollen nicht wissen, was es mit dieser VP auf sich hatte. Auf die Nachfrage in der Pressekonferenz, ob sie den Zeugen in nicht-öffentlicher Sitzung damit konfrontiert hätten, schweigen alle Obleute aller Fraktionen.
Um die "VP 02", wie man sie nennen könnte, wird ein regelrechtes Tabu errichtet. Das ist weder vom parlamentarischen Auftrag des UA gedeckt, noch vom überragenden öffentlichen Interesse an der Aufklärung des Anschlages vom 19. Dezember 2016.
Mit der Personalie Bilel Ben Ammar stellt sich aber auch die Frage neu, ob Amri tatsächlich nur ein Einzeltäter war, wie es die Bundesanwaltschaft darstellt, oder doch Teil einer Täter- oder Unterstützergruppe in Deutschland. Kontakte zur Abu Walaa-Gruppe , zur "Eisbär"-Gruppe um Ben Ammar oder zur Fussilet-Moschee, die nach dem Anschlag behördlich geschlossen wurde.
Am 15. Februar 2018 begann vor dem Kammergericht Berlin ein Prozess gegen vier Angeklagte wegen Unterstützung der Terrororganisation IS ("Islamischer Staat"), die sich in der Fussilet-Moschee kennengelernt und radikalisiert haben sollen. Hinzu kamen Komplizen bei seinen Drogengeschäften - Anis Amri war alles andere als ein Einzelkämpfer. Und Bilel Ben Ammar könnte einer der Mittäter gewesen sein. Wenn er dann noch die "VP 02" war, wäre eine Sicherheitsbehörde unmittelbar in den Anschlag verstrickt.
"War Amri Einzeltäter oder Teil eines Netzwerkes?", wollte der Ausschuss auch vom Leiter EK Ventum wissen. Das sei schwer zu beantworten, antwortete der und ergänzte: "Dazu müsste ich Verfahrenserkenntnisse preisgeben." Sprich: Erkenntnisse aus den Ermittlungen gegen die Abu Walaa-Gruppe, gewonnen auch durch die V-Personen des NRW-LKA. Diese Einschränkung machte er ebenso für die Fragen geltend, welche Wohnungen Amri in Berlin und mehreren Städten in Deutschland benutzt habe, was seine Handydaten ergaben - und für alles, was mit "Bilel" zu tun hat.
Dann sagte Kriminalhauptkommissar M. aber noch: "Wir haben vermutet, dass Amri kein Lonely Wolf war, sondern Leute um sich scharte." Und zwar in einer derart zielstrebigen Weise, dass die Ermittler anfangs selber einen Verdacht hegten: "Das ist eine Quelle." Dass da jemand kommt und schon überall Kontakte hat, das sei ihnen "spanisch" vorgekommen. Sie hätten daraufhin bei allen Dienststellen Informationen eingezogen, doch alle hätten abschlägig beschieden: "Das ist keine Quelle."
Quelle eine ausländischen Nachrichtendienstes?
War Amri vielleicht Quelle eine ausländischen Nachrichtendienstes? Ein Abgeordneter zitierte einen Bericht des Magazin Focus, nach dem Anschlag seien auf Amris Handy Nachrichten einer Person angekommen, die Informant des spanischen Inlandsgeheimdienstes gewesen sein soll.
Dazu musste der Zeuge passen.
Dafür erwähnte er eine weitere Einzelheit, die, sollte sie zutreffen, der Aufklärung bedürfte. Anis Amri wurde von der EK Ventum zunächst als "Nachrichtenmittler" geführt, um durch ihn Informationen über die Beschuldigtengruppe von Abu Walaa abzuschöpfen. Doch wegen des "intensiven und hohen Personalbedarfs" sei Amri am 1. Juni 2016 aus der EK Ventum herausgenommen und in eine "weitere Kommission verlagert" worden. Deren Leiter habe dann die Absprachen mit den Kollegen in Berlin geführt. Eine eigene "EK Amri" sozusagen? Das wäre neu.
"Hohe Schlagzahl"
Je widersprüchlicher der Fall Amri wird, je mehr sich "verdichtet, dass das kein normaler Fall war", (Stephan Lenz, CDU) umso gewichtiger wird die Frage: Was wurde im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) über die Person gesprochen und vereinbart? Kein zweiter "islamistischer Gefährder" war so oft Thema in dem Gremium, wie Amri. Allein im Februar 2016 viermal.
So eine "hohe Schlagzahl" sei selten und die "Ausnahme" gewesen, so der Zeuge D., der als Verbindungsbeamter des LKA Berlin im GTAZ fungiert. Warum Amri ab Herbst 2016 aber im GTAZ keine Rolle mehr gespielt hat, kann er nicht erklären.
Die Antworten sowohl von D. als auch vom Zeugen M., der ein paar Mal mittels Video-Zuschaltung an GTAZ-Sitzungen teilnahm, waren eher oberflächlich und allgemeiner Art. Die Einschätzung von Amris Gefährlichkeit soll einvernehmlich, die mögliche Übernahme des Verfahrens durch das BKA keine tiefere Debatte Wert gewesen sein. Wo es hätte konkret werden müssen, verwies der GTAZ-Verbindungsmann auf Geheimhaltungsvorschriften: "Verschlusssache - Nur für den Dienstgebrauch". Nachlesbare substanzvolle Protokolle gibt es im GTAZ nicht oder sind ebenfalls eingestuft.
"Eine hinreichende, zufriedenstellende Befassung im GTAZ war nicht optimal gewährleistet", so der Abgeordnete Frank Zimmermann (SPD) in der Presserunde. Sollte das zutreffen, muss man sich fragen, was diese Institution soll. Allerdings wird man als Beobachter den Eindruck nicht los, dass um das GTAZ eine Sichtschutzmauer gezogen wird. Wie die Hierarchien genau verlaufen und mit welcher Konsequenz Sachverhalte verhandelt werden, soll offensichtlich nicht bekannt werden. Für Benedikt Lux (Bündnis 90/Die Grünen) steht fest: "Die Rolle des BKA und des GTAZ sind in den Vordergrund gerückt."