Blair privatisiert Pflichtschulen
Massiver Technik-Einsatz und Privatisierung sollen Problemschulen aus der Patsche helfen
Obwohl Bildung zu den erklärten obersten Prioritäten der Regierung Blair bei ihrem Amtsantritt 1997 zählte, befindet sich Großbritannien in einer anhaltenden Schulkrise. Während die Krise sich mit der Androhung eines Lehrerstreiks gerade zuspitzt, kündigt die Regierung mit einem Green Paper zur Bildungsreform einen radikalen Schritt an: Die Übergabe öffentlicher Pflichtschulen in private Hände.
Privatschulen waren (und sind) in England nicht nur Ausdruck des Klassensystems, sondern helfen bis heute, eine ausgeprägte Klassengesellschaft wie in keinem anderen Land in Europa aufrecht zu halten. Erst vor ca. 30 Jahren (unter einer Labour-Regierung) hatte man die Standard Comprehensive School eingeführt, eine vereinheitliche öffentliche Schule für alle über 11-jährigen, um damit mehr Chancengleichheit zu schaffen. Mit dem nun eingeschlagenen Weg geht die Entwicklung wieder in die entgegengesetzte Richtung: Privatisierung der "Comprehensives", mehr Spezialisierung und ein größeres Gefälle zwischen "guten" und "schlechten" Schulen.
Den Anfang machte Kings School in der Nähe von Guildford. Diese Schule, die zuvor Kings Manor School geheißen hatte, war als eine von landesweit mehr als 200 "Problemschulen" identifiziert worden. D.h. dass sie die von der Schulaufsichtsbehörde gesteckten Ziele nicht erreichte, Disziplinarprobleme hatte und eine frustrierte und demoralisierte Lehrerschaft. Gegen den Widerstand der Eltern wurde die Leitung der Schule einer privatwirtschaftlichen Gruppe namens "3Es" übertragen. Die führende Rolle in dieser Partnerschaft nimmt das "Kingshurst City Technology College" ein, das die "Kingshurst Federation" ausgegliedert hat, die wiederum einen ausgegliederten kommerziellen Zweig namens Digitalbrain.com besitzt.
Die privatisierte Kings School wird als Erfolg betrachtet und der 3Es-Gruppe sollen nun drei weitere Schulen übergeben werden. Die Intentionen überschneiden sich mit den Vorgaben der Regierung, die sich in den Worten "von den besten Beispielen lernen" zusammenfassen lassen. Nicht nur soll das Erfolgsmodell Kings School von den anderen Schulen kopiert werden, sie sollen auch ganz konkret durch Internet und E-Learning-Technologien miteinander verbunden werden. Lehrer der Kingshurst Federation entwickeln digitales Lernmaterial, das von Digitalbrain online gebracht wird. Lehrermangel soll ausgeglichen werden, indem Unterrichtsstunden per Videoconferencing von einer Schule in die andere übertragen werden. Außerdem will man massiv sogenannte Whiteboards einsetzen, digitale interaktive Schultafeln, die zunehmend die alten schwarzen Kreidetafeln ersetzen sollen.
Dass alle diese Innovationen aber nicht allein dem Aufschwung der Schulbildung dienen sollen, sondern auch den Beginn eines Bildungsdienstleistungsunternehmens markieren, das bald zu einem landesweiten Großunternehmen wie jede beliebige Handelskette werden könnte und damit ihre Shareholders reich machen würde, scheint die Regierung Blair nicht weiter zu stören. Ein kurzer Blick auf die Besitzverhältnisse offenbart zumindest personelle Interessensüberschneidungen. Sir Cyril Taylor ist nicht nur Berater der Regierung in Bildungsfragen (und konnte in dieser Funktion möglicherweise das Green Paper der Regierung entscheidend beeinflussen), sondern auch Vorstand des Kingshurst City Technology College. Die Leiterin von 3Es, Valerie Bragg, ist zugleich Direktorin bei Digitalbrain.com. Dort zählen zu ihren Kollegen eine Reihe hochrangiger Management-Asse, ehemalige Vorstandsvorsitzende und Manger von Firmen wie America Express Europe, Citibank, Nomura, Goldman Sachs und Morgan Stanley - mit anderen Worten, die goldverbrämten Namen der führenden Unternehmen des Londoner Finanzzentrums.
Die Privatisierung, die zunächst als Testfall mit einer Schule begonnen worden war und nun auf drei weitere ausgedehnt wird, soll nach dem Willen der Regierung durch neue Gesetzgebung deutlich erleichtert werden. "Externe Sponsoren" sollen nicht nur Problemschulen sondern auch funktionierende Schulen übernehmen dürfen. Privatwirtschaftliche Firmen, aber auch Kirchen und Stiftungen sollen die Möglichkeit erhalten, Schulen für Zeiträume zwischen 5 und 7 Jahren zu betreiben, wobei die Verträge bei positiven Ergebnissen verlängert werden können. Doch das Gerangel der Privatwirtschaft um den Eingang in die Räume des Bildungswesens endet hier nicht. "Sponsoren" haben bereits jetzt die Möglichkeit, ihre Logos der jugendlichen Zielgruppe zu präsentieren, etwa als Sponsoren des Schulessens (McDonalds, Burger King) oder von Unterrichtsmaterialien und Software (Microsoft).
Lehrermangel
Das eigentliche Problem bleibt aber hiervon unberührt, der Teufelskreis von versagendem Bildungssystem und Lehrermangel. In Großbritannien werden zuwenig Lehrer ausgebildet und zuviele verlassen den Job wieder nach wenigen Jahren. Die Gründe dafür sind vielfältig: schlechte Bezahlung, lange Arbeitszeit, unsicheres Klima hin bis zu Bedrohungen durch Schüler, Übermaß an administrativen Belastungen. Die Folge davon ist, dass in den letzten Jahren Rekrutierungstrupps englischer Schulen regelmäßig die ehemaligen Kolonien - bevorzugt Australien, Neuseeland und Südafrika - auf der Suche nach Lehrern durchstreiften und soviele wie möglich nach England importierten, bis zu dem Punkt, dass die südafrikanische Regierung offiziell diplomatische Beschwerde einlegte, da gerade ein Land wie Südafrika es sich am wenigsten leisten kann, Lehrer auszubilden, die ihren Beruf dann im fernen Großbritannien ausüben.
Die "Bildungsoffensive" der Regierung Blair bestand bisher hauptsächlich darin, laufend neue Task Forces einzusetzen, neue statistische Erfolgsquoten zu bestimmen, sowie Methoden zu ihrer Überprüfung und den lokalen Verwaltungen, die für das Betreiben der Schulen zuständig sind, eng auf die Finger zu schauen, die den Druck wiederum an die Schuldirektoren und Lehrer weitergaben. Einerseits drückt sich darin das tiefe Misstrauen der Zentralregierung gegenüber den lokalen Verwaltungsbehörden aus, was ein Erbe der Thatcher-Ära ist, die deren Macht immer mehr zurückgeschraubt und zugleich ihre Mittel weiter gekürzt hat. Andererseits sind natürlich Schulen, die in jeder Hinsicht, auch bezüglich der physischen Gebäudestrukturen, knapp vor dem Zusammenbruch stehen, wiederum ein "zwingendes" Argument für Privatisierung.
Zugleich saß Finanzminister Gordon Brown im Rahmen dessen, was er eine "umsichtige Steuerpolitik" nannte, in den ersten drei Jahren der Regierung Blair auf der Ausgabenbremse und kündigte erst jetzt, im Wahljahr, eine signifikante Erhöhung der Bildungsausgaben an, was aber möglicherweise zu spät kommt. Zugleich geißelte Tony Blair auf Parteitagsreden die "Kräfte des Konservativismus" in den eigenen Reihen, die sich dem "Wind der Veränderung" entgegenstellen würden, und meinte damit unter anderem die traditionell Labour wählenden Lehrer.
Doch diese haben nun endgültig genug davon, die Buhmänner der Nation zu sein und wollen ihren Streik auch gegen den Druck des Bildungsministers David Blunkett durchsetzen. Kernpunkt des angedrohten Streiks ist der Aushilfsunterricht. Nicht nur wegen kurzfristiger Erkrankungen sondern wegen der Lehrerknappheit insgesamt meint das Lehrpersonal, der Knackpunkt sei erreicht, wo man nicht länger zwischen Klassen hin- und herspringen oder diese zu Monsterklassen zusammenlegen kann. Deshalb wollen sie für einen beschränkten Zeitraum Dienst nach Vorschrift leisten und keinen Aushilfsunterricht für längere Absenzen mehr geben. Das wiederum würde viele Schulen dazu zwingen, ihre Zeitpläne radikal umzustellen und nur mehr an vier Tagen die Woche Unterricht zu geben, was wiederum vor allem arbeitende Eltern in Nöte bringen würde.
Government Green Paper "Building on Success (PDF-Datei, ca. 3MB)