Bleierner Gruß vom Meeresgrund

Giftmülltourismus etwas anders

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Australisches Blei an einem Unterwasservulkan im Mittelmeer zeugt von der menschlichen Rastlosigkeit – und lässt vermuten, dass auch der Vulkan noch in der jüngsten Vergangenheit aktiv war

Das Mittelmeer stellt eine der heißesten Grenzen Europas dar, zumindest aus Sicht von Geologen. Denn wo die afrikanische Kontinentalplatte unter die eurasische abtaucht, sorgt sie für einigen Tumult. Sichtbare Spuren dieser Aktivität sind nicht nur berühmte Feuerberge über der Wasseroberfläche, sondern auch tiefe Meeresbecken samt beeindruckenden Unterwasservulkanen.

Der größte dieser Unterwasserberge, der etwa drei Kilometer hohe Marsili im Tyrrhenischen Meer, war in den Jahren 1986 und 1988 das Ziel der russischen Argus- und Mir-Tauchboote. Letztere waren durch ihre Expeditionen zur Titanic und zur Bismarck berühmt geworden. In diesem Fall ging die Fahrt zu dem Grat des Bergs, 500 Meter unter der Wasseroberfläche liegend. Von dort brachten die Vehikel Basaltgestein mit, das von einer orange-roten bis gelblich-weißen Kruste überzogen war.

Eine detaillierte Analyse dieser Proben stellt ein internationales Forscherquartett um Vesselin Dekov von der Universität Sofia nun im Fachblatt "Marine Geology" (Vol. 229(3-4), pp 199-208, DOI 10.1016/j.margeo.2006.03.003) vor. Die Krusten bestehen demnach aus einem Gemenge von Silikat- und Eisenoxiden. Vermutlich wurden diese Ocker vom Wasser einer hydrothermalen Quelle abgeschieden. Dabei handelt es sich letztlich um Meerwasser, das im Untergrund an heißem Gestein erhitzt und mit Mineralien angereichert worden ist. Tritt dieses Wasser wieder aus dem Untergrund aus und kommt in Kontakt mit dem kalten Umgebungswasser, fällt ein Teil der gelösten Bestandteile rasch wieder aus.

Ähnliche Ablagerungen finden sich auch an anderen Unterwasserbergen im Mittelmeer und im Pazifik. Verglichen damit, enthalten die Mineralkrusten vom Marsili vergleichsweise wenig Seltene Erden und Übergangsmetalle wie Blei. Dieses Blei und sein Gehalt unterschiedlich schwerer "Varianten" sorgte für Erstaunen bei den Forschern: Gemessen an seiner Isotopensignatur dürfte es vorwiegend aus Australien stammen.

Import-Blei

"Im Grunde genommen ist es die gleiche Arbeitsweise wie bei DNA", erklärt George Kamenov von der University of Florida in Gainesville, einer der beteiligten Forscher. "Man nimmt DNA aus Haar und vergleicht sie mit bekannter DNA, um ihre Herkunft zu bestimmen. Auf die gleiche Art und Weise können wir auch Blei-Isotope nutzen." Die wahrscheinlichste Quelle ist seiner Ansicht nach der Broken Hill, ein seit 1883 betriebenes Abbaugebiet im australischen Bundesstaat New South Wales, das auch heute noch zu den produktivsten der Welt gehört.

Über Jahrzehnte verließ sich Europa bei der Herstellung von Bleiakkumulatoren und Legierungen oder für chemische Synthesen auf importiertes und damit effektiv auf australisches Blei. Dessen Spur war bereits mehrfach in der Umwelt entdeckt worden, etwa in Torfmooren in der Schweiz und in Spanien sowie im Eis der Arktis.

William Shotyk, jetzt an der Universität Heidelberg, und seine Kollegen fanden, dass der Bleieintrag in die Moore mit dem Beginn der Bleiverarbeitung vor etwa 3.000 Jahren merklich stieg und sein Maximum gegen Ende der 70er-Jahre erreichte. Zudem sank ab 1850 das Verhältnis der Bleiisotope Pb-206 und Pb-207, indem vor Ort abgebautes Blei durch Blei vom fünften Kontinent verdrängt wurde. Erst seit Beginn der 90er-Jahre steigt das Isotopenverhältnis wieder.

Vor allem Metallindustrie und Straßenverkehr geben Blei an die Umwelt ab (Bleifreies Benzin kommt Menschen und Ottern zugute) – letzterer nach dem Ende des verbleiten Benzins noch beispielsweise über Bremsabrieb und verlorene Auswuchtgewichte, auch wenn die EU inzwischen auch hier auf bleifreie Produkte umgestellt hat. Der Weg ins Tyrrhenische Meer dürfte allerdings über die Atmosphäre geführt haben: Ab den 50er-Jahren wurde Benzin im großen Stil Bleitetraethyl oder Bleitetramethyl beigesetzt, um ein vorzeitiges Zünden des Luft-Kraftstoff-Gemischs im Zylinder zu verhindern, das "Klopfen". Bis in die 70er-Jahre enthielt ein Liter Benzin bis zu 0,6 Gramm dieser Antiklopfmittel.

Blei in der Luft

Indem sich die Gefahren der Blei-Emissionen abzeichneten, wurde der erlaubte Höchstgehalt ab 1972 schrittweise reduziert und seit 2000 ist verbleites Benzin in der EU verboten. Das Klopfen wird stattdessen durch eine veränderte Motortechnik, eine elektronische Klopfregelung, und durch Kraftstoffe mit einem höheren Anteil unverzweigter und aromatischer Kohlenwasserstoffe verhindert. Der erhöhte Benzol-Gehalt brachte in der Folge jedoch ebenfalls Probleme mit sich, sodass auch hier wieder gegengesteuert werden musste.

Derweil gelangten europaweit allein im Jahr 1976 rund 116.000 Tonnen Blei – drei Viertel der Gesamtemissionen – durch den Auspuff in die Luft, haben Forscher des GKSS-Forschungszentrums in Geesthacht berechnet. Die weltweit mit Autoabgasen emittierte Menge wird sogar auf jährlich über 350.000 Tonnen geschätzt. "Diese freigesetzte Menge wird natürlich weltweit eine Spur in der Umwelt, z.B. in Böden, Sedimenten, zurücklassen", erläutert Jens Stummeyer von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Hannover, ebenfalls an der Untersuchung der Ocker beteiligt.

Mehrere Befunde sprechen für die Annahme, dass die Kruste auf dem Marsili-Gestein überwiegend anthropogenes Blei enthält. Ihre Blei-Isotopensignatur ähnelt nicht nur der von australischem Blei, sondern auch der von Aerosolen, wie sie Anfang der 90er-Jahre über Italien gesammelt worden waren. Deutlich anders ist die Isotopensignatur in Staub aus der Sahara, in Mittelmeer-Sedimenten aus vorindustrieller Zeit und in Basalt von nahe gelegenen Unterwasservulkanen – und auch die im Vulkangestein des Marsili selbst.

"Den Grund für den geringen Anteil natürlichen Bleis vermuten wir darin, dass das hydrothermale System eine relativ niedrige Temperatur aufwies", so Kamenov weiter. Das Quellwasser habe keine größeren Mengen von Blei und anderen Metallen aus dem Marsili-Gestein extrahieren können. "Daher finden wir in den Ockern lediglich Blei aus dem Meerwasser." Und dieses Blei sei zu einem guten Teil von Niederschlägen aus der Luft ausgewaschen worden.

Hinweis auf geologische Aktivität

Sollte diese Schlussfolgerung zutreffen, würde sie eine Frage klären helfen, die die Anrainer des Mittelmeers umtreibt: Wie steht es um die Aktivität am Marsili und in seiner Umgebung? Sollte das geologische System auf halber Strecke zwischen Vesuv und Ätna nur vorübergehend ruhen, könnten künftige Ausbrüche bzw. Seebeben einen verheerenden Tsunami auslösen. Auch aus diesem Grund wird der Unterwasservulkan sorgfältig überwacht – etwa von den tonnenschweren Multifunktionssonden des Geostar-Programms.

Nun sieht es so aus, als hätte die Heizung in dem Vulkan noch in den letzten 150 Jahren, nach dem Beginn des Blei-Imports aus Australien, gearbeitet. "Das junge Alter der Ocker und das Vorhandensein anderer hydrothermaler Ablagerungen am Gipfelgrat des Marsili deutet darauf hin, dass die Magmakammer unter dem Berg noch immer aktiv ist", folgern die Forscher.