Bloggers Anonymous
Wenn Bloggen in Arbeit oder gar Sucht ausartet
Wer ein Weblog, kurz Blog genannt, beginnt, plant dabei meist nicht mehr, als ein paar Gedanken mit der Allgemeinheit zu teilen. Doch wenn das Projekt nicht mangels Besuchern oder Interesse wieder einschläft, wächst es seinem Schöpfer mitunter auch über den Kopf
Eigentlich haben nur Schüler, Rentner und Mitarbeiter wissenschaftlicher Einrichtungen, wirklich die Zeit, ein Blog zu führen. Denn es nimmt nicht nur Zeit in Anspruch, oft täglich mehrere Einträge zu machen, vielmehr kann dank der Kommentarfunktion ein Blog auch noch die notorischen Troll-Probleme von Gästebüchern und Foren entwickeln, wobei letztere immerhin meist mehrere "Aufpasser“ haben.
An den Blogautor gerichtete Pöbeleien sind dabei nicht einmal das schlimmste Problem, eher schon, wenn in den Kommentaren über einschlägige Anwälte geschimpft wird und zwar nicht der Blogautor, doch der bewusste Anwalt diese bemerkt. Ebenso gefährlich werden vom Inhaber unbemerkte rassistische Kommentare oder Links zu strittigen Seiten wie beispielsweise zu den von der Musikindustrie verfolgten Kopierprogrammen. Mancher Jurist vertritt dabei die von den Gerichten bislang glücklicherweise nicht geteilte Extremmeinung, der Inhaber einer Website müsse diese mehrmals täglich kontrollieren, was mit Sicherheit mit den Interessen des Arbeitgebers des Bloggers kollidieren dürfte und es bei großen Blogs auch kaum möglich ist, einen kritischen Kommentar zu einem monatealten Eintrag zu finden.
Auch Flamewars und lediglich sinnlose Kommentare sind ein Problem. Billmon, der eine virtuelle Kneipe zur Diskussion gegen den Irakkrieg eingerichtet hatte und anfangs den Vorteil des Blogs gegenüber seiner früheren Tätigkeit als Journalist gerade in der Interaktivität mit den Lesern gesehen hatte, war von immer mehr ungebetenen Gästen schließlich so entnervt, dass er am 28. Juni 2004 die Kommentarfunktion stilllegte – bei über 500 Kommentaren zu jedem seiner Posts absolut nachvollziehbar.
Und dann kommen natürlich auch noch die allgegenwärtigen Spammer: Die müllen über ein Skript rücksichtslos alles zu, bis der Server schlappmacht und falls der Text selbst nicht bereits beginnt, über ein angeblich unbedingt zu vergrößerndes intimes Körperteil oder das dazu erforderliche Medikament zu schwafeln, so tut es spätestens der hinterlegte Link, der damit der verlinkten Seite auch noch höhere Beachtung in den Suchmaschinen verschaffen soll.
Doch selbst, wenn solche Exzesse unterbleiben, entwickelt sich das als Hobby angefangene Blog oft zur Arbeit: Der Blogger fühlt sich bei steigenden Besuchszahlen verpflichtet, nicht bloß alle paar Tage, sondern alle paar Stunden seinem Publikum etwas zu bieten, geht nicht mal in die Kneipe mehr ohne Notebook, denkt bei einem Blogeintrag schon an den nächsten und bekommt Entzugserscheinungen, wenn im Hochsommer mal wieder das DSL schlapp macht.
Die Leser wiederum machen sich Sorgen, wenn keine neuen Einträge kommen, weshalb so mancher Blogger mit einem harten Schnitt aufhört und klarstellt, dass er nur nicht mehr bloggt, aber nicht im Gefängnis und noch am Leben ist. Ein Hinweis, der nicht ganz so witzig ist, wie er zunächst klingen mag.