Blut oder Soße?
Mary Harron hat mit "American Psycho" aus einem Buch über die 80er Jahre einen Film in den 80ern und über viel mehr gemacht
Zwischen dem Filmtitel tropft Rot durch die Anfangssequenz. Wessen Blut es wohl ist? Auswählen kann, wer Bret Easton Ellis Roman "American Psycho" gelesen hat. Darin mordet und foltert sich der Wall Street Manager Patrick Bateman durch das New York der frühen 80er Jahre. Ein 27jähriger Yuppie, der im selben Penthouse wie Tom Cruise wohnt, im Kleiderschrank Cerruti-Anzüge, neben der Stereoanlage die neusten Phil Collins CDs und im Kühlschrank die abgeschnittenen Köpfe seiner Opfer hat. Doch das Filmblut gehört keinem von ihnen. Was da durchs Bild fließt, ist rote Beerensoße für ein Büfett edelster nouvelle cuisine.
Regisseurin Mary Harron hebt ihre Verfilmung in einer überzeugenden Balance zwischen ästhetisiertem Grauen und Ironie von Ellis Werk ab. Das 1991 erschienene Buch war in den USA das vielleicht am breitesten rezipierte und umstrittenste der 90er Jahre. Seitenlang beschreibt Ellis, wie Bateman sorgfältigst seine Kleidung yuppiegerecht kombiniert: Ralph Lauren, Bergdorf Goodman, Brooks Brothers, Hugo Boss, Joseph Abbound. Ebenso detailliert erfährt man, womit Bateman foltert: von Axt über Feuerzeug, Bohrer, Nagelpistole bis hin zu seinen bloßen Händen, mit denen er einer Prostituierten den Bauch aufreißt.
Die selben Werkzeuge sind im Film zu sehen, aber nicht was Bateman mit ihnen tut. Das Grauen findet im Kopf des Zuschauers statt, und vielleicht auch nur in Batemans Kopf. Ein Zimmer, das er voller Leichen zurückließ, ist wenige Tage später makellos weiß und leer. Über seine Geständnisse lachen die Yuppie-Kollegen. Ist Bateman wahnsinnig, oder ist es seine Umwelt? Was Ellis mit dem Holzhammer schrieb, deutet Harron an.
Lange wagte sich niemand an die Verfilmung. Zuerst wirkt es befremdlich, dass nun gerade Harron den Job gemacht hat, die in ihrem Debütfilm "I shot Andy Warhol" sehr differenziert und präzise die Frauenrolle in der Alternativszene der 60er Jahre beschrieb. In "American Psycho" sind Frauen durch ihre Funktion definiert, die ähnlich der einer Zigarre ist: sie den Freunden zeigen. Außerdem sind Frauen noch gut für Sex - und in Batemans Fall zum Foltern. Harron übernimmt diese Perspektive von Ellis mit dem gleichen Ziel, um die Grausamkeit der 80er-"Gier ist gut"-Jahre zu zeigen. Was die Reagonomics - Senkung der Einkommenssteuer, finanziert durch Quasi-Abschaffung jeder Unterstützung für sozial Schwache - auf staatlicher Ebene praktizierten, tut Bateman im privaten, sticht einen Obdachlosen zusammen, nimmt sich mit dem Recht des Stärkeren, was Spaß bedeutet - auch wenn es das Gehirn eines Mädchens ist.
Harrons Verfilmung ist subtiler als die Vorlage. Sie montiert nicht die schwarz-weiß Kausalität von individueller physischer Gewalt als Folge gesellschaftlicher psychischer Gewalt, auf die sich Ellis Roman reduzieren lässt. Eine dritte Ebene des Verstehens wird allein schon dadurch nötig, dass die meisten Gewalttaten Batemans nur als Skizzen in seinem Terminkalender zu sehen sind. Die Frage, ob hier ein Film in Batemans Kopf abläuft, oder ob seine verzweifelten Versuche, Aufmerksamkeit zu erreichen, Wirklichkeit sind, bleibt offen.
Harron relativiert so die Brutalität von Ellis Vorlage. Ja, sie macht fast eine schwarze Komödie daraus: Das Blut, dass sich in der Anfangssequenz als Soße entpuppt, ist eine makabre Anspielung auf Batemans kannibalistischen Gelüste. Harron ironisiert bestimmt nicht, um den Film überhaupt in die Kinos zu bekommen, wie ihr in den USA vorgeworfen wurde. Vielmehr gestaltet sie den American Psycho Bateman ganz bewusst zum Witz. Er erhält keinen Hintergrund, der seinen Taten ein wirkliches Motiv - in der Logik eines Hollywoodthrillers - geben könnte. Im Gegensatz zu Ellis ist das bei Harron aber nicht ein Mittel, um ihn noch mehr als Produkt einer unmenschlichen Gesellschaft darzustellen. Vielmehr wird Bateman so zu einer Pointe, einer Parodie einer fiktiven Figur im Stil der "Scream"-Trilogie.
Damit hat Harron eine Verfilmung geschafft, die weit über die Vorlage hinreicht, indem sie die Beschreibung auf die Gegenwart erweitert. Die kalte, kokainüberdeckte Oberflächlichkeit der 80er ist längst von der Pseudospiritualität eines esctasybefeuerten "Wir lieben uns alle und die ganze Welt ist eins" Vulgärpantheismus überholt. Phil Collins "Sussudio" treibt Peinlichkeitsröte ins Gesicht, und Figuren wie Bateman sind Anekdoten des Popkulturfundus. Bateman ist auch heute ein Spaß, gerade weil die Parallelität zwischen Gier in Gestalt von Geldklammern und gefolterten Prostituierten erkannt wird. Der Unterschied zu 1988 ist, dass das Lachen über ein Geständnis Batemans heute vielleicht resignierter klänge.
Start: 7. September; USA 2000; 101 Min.; R: Mary Harron; D: Christian Bale, Willem Dafoe, Chloe Sevigny
American Psycho wurde als Eröffnungsfilm beim Fantasy Filmfest vorgeführt.