Booster für die Artenvielfalt: Rettet die Streuobstwiesen!

Seite 2: Äpfel und Birnen lassen sich vielfältig verarbeiten

Auf einer Wiese vor dem Haus von Familie Fuchsreiter im Berchtesgadener Land steht ein 200 Jahre alter Birnbaum. Seit Jahrzehnten verarbeitete die Familie tausende Zentner Birnen, Äpfel und Zwetschgen. Inzwischen experimentiert sie auch mit anderen Sorten, wie etwa dem Spitzling vom Irschenberg aus Miesbach. Die Äpfel, die sich besonders gut zum Dörren eignen, stammen von einem 150 Jahre alten Baum, der auf der Wiese vor dem Haus steht.

Der saure, schmackhafte Herbstapfel soll in der Gegend schon vor 100 Jahren gedörrt worden sein. Dörren, Entsaften, Vermusen oder Backen - alte Apfel- und Birnensorten sind vielseitig verwendbar. Bei Familie Fuchsreiter werden Birnen, Äpfel und Zwetschen sogar im Brot aus Hefe-Sauerteig zu einem süßlich schmeckendes Dörrobst-Brot verbacken.

Ob Apfelwein, Cider, Most oder als Zutat in der Küche – Obst lässt sich in vielen Varianten verarbeiten. In der Schnapsbrennerei wird typischerweise die Williamsbirne zu Schnaps gebrannt. Andere Sorten bieten andere geschmackliche Nuancen - so wie die unbekannten alten Birnen von einem 150 Jahre alten Baum, die in einer oberbayerischen Schnapsbrennerei getestet werden. Sollte sie sich für den Birnenbrand eignen, steigen die Chancen, dass sie von den Züchtern weiter vermehrt wird. Immerhin: Bei der Verkostung punktet der Birnenschaps von der Streuobstwiese mit süßem, fruchtigem Geschmack mit Zitrusnote

Hochwertige Apfelprodukte zu fairen Preisen vermarkten

Kostete der Doppelzentner um 1900 am Stuttgarter Großmarkt noch umgerechnet 120 bis 150 Euro, werden heute gerade mal acht Euro gezahlt. Beim manuellen Auflesen des Obstes braucht man etwa eine Stunde pro Doppelzentner, erklärt Klaus Schmieder, Professor am Institut für Landschafts- und Pflanzenökologie der Universität Hohenheim. Der Stundenlohn muss zudem für den Baumschnitt und die Wiesenmahd reichen.

Ginge es nach ihm, soll für hochwertige Produkte von faire Preise gezahlt werden. Denn werden die Streuobstwiesen nicht angemessen genutzt, werden sie spätesten bis 2050 in weiten Teilen verschwunden sein, befürchtet der Experte, der mit einer Arbeitsgruppe von der Universität Hohenheim die Streuobstbestände in Baden-Württemberg erfasst.

Noch überwiegt in den Supermarktregalen Plantagenobst vom Bodensee, aus dem Alten Land im Norden, aus Polen, Südtirol oder auch Chile, Südafrika und Neuseeland. Obst von Streuobstwiesen kann zwar die benötigten großen Mengen in genormter Qualität nicht decken. Auf Bauernmärkten, Hofläden, Bioläden und lokalen Supermärkten wird es jedoch immer öfter angeboten.

Der Verein "Schwäbisches Streuobstparadies" etwa konnte im vergangenen Herbst über sieben Tonnen Tafelobst von 32 unterschiedlichen Apfelsorten in der Region Neckar-Alb vermarkten. Nach Angaben des Verbands der deutschen Fruchtsaftindustrie schwankt der Streuobstwiesenanteil bei Direktsaft jährlich zwischen 10 und 50 Prozent. Die Nachfrage liegt momentan bei rund der Hälfte des in Deutschland produzierten Apfelsafts.

Zwar bringen die niedrigwüchsigen, eng stehenden Spalierbäume der Obstplantagen mehr Obstertrag pro Fläche. Allerdings fließen die Mehrkosten durch Pestizide und Dünger im Obstanbau ebenso wenig in die Verbraucherpreise ein der Mehrwert von Artenvielfalt, Erholung und Kulturerbe von Streuobstwiesen. Bio-Obstbauern versuchen unterdessen einen Kompromiss: Sie stecken mehr Arbeit in den pestizidfreien, aber intensiven Anbau, während die Ernte in der Regel 20 bis 30 Prozent niedriger ausfällt.

Saft und Cider sind besser zu vermarkten

Inzwischen vermarkten einige regionale Produzenten die sauer-fruchtige Vielfalt der Obstwiesen als schwäbischen Cider oder prickelnden Secco. Denn größere Obstmengen erzielen nicht nur bessere Preise, auch können Geräte und Maschinen geteilt und Ideen gemeinsam umgesetzt werden. In einer Kletterhalle in Tübingen soll beispielsweise bald ein Energiegetränk aus lokalem Streuobst angeboten werden.

Auf der Obstwiese nebenan gibt es Kurse zu Artenvielfalt und nötigen Pflegemaßnahmen. Die Streuobstinitiative im Calw-Enz-Kreis zwischen Schwarzwald und Stuttgart etablierte mit "Schneewittchen" eine eigene Marke für Cider und Apfelsäfte. Die Erzeuger erhalten 13 Euro pro Doppelzentner statt acht Euro.

Am Rande der Schwäbischen Alb liegt frisches Obst von den Streuobstwiesen in Supermarktregalen. Der Verein Schwäbisches Streuobstparadies bietet Mostseminare an, betreibt ein Streuobst-Infozentrum und lädt zur Zeit der Obstblüte zum Schwäbischen Hanami ein.

Ob Verpachtung einzelner Obstbäume, Obstbaumschnittkurse, das Sammeln von Schnitt- und Mähgut, Verleihen von Dörrautomaten oder Börsen, die Obstwiesen an Interessenten vermitteln - es gibt zahlreiche Ideen, die Obstwiesen zu nutzen.

Immer mehr Initiativen wollen Streuobstwiesen erhalten

Von Niedersachsen bis ins Chiemgau, vom Odenwald bis nach Ostthüringen gründen sich Initiativen mit dem Ziel, die Streuobstbestände zu erhalten. Deutschlandweit organisieren sich lokale Netzwerke im Verein Hochstamm Deutschland e. V., der wiederum vernetzt sich mit Streuobstverbänden in Österreich, Großbritannien, Frankreich, Italien und Slowenien.

In den Netzwerken engagieren sich Konsumenten, wie auch Privatleute, die ihre Wiesen als Hobby oder nebenberuflich bewirtschaften, aber auch Produzenten, die größere Flächen bewirtschaften. Nur wenn es uns gelingt, über Vermarktungswege eine wirtschaftliche Grundlage für den Streuobstanbau zu schaffen, haben Streuobstwiesen mit ihren vielfältigen Lebensräumen und den kulinarischen Köstlichkeiten eine Zukunft.

Schon allein vor dem Hintergrund des fortschreitenden Klimawandels können wir es uns nicht leisten, die alten, langlebigen, widerstandsfähigen Sorten aussterben zu lassen, erklärt Hans-Joachim Bannier. Der Bielefelder Pomologe gründete das Erhalternetzwerk Obstsortenvielfalt um Wissen über alte Sorten in einer Datenbank zu bündeln und Edelreißer an Züchter zu vermitteln Denn alte Obstsorten haben nicht nur genetische, geschmackliche und optische Vielfalt zu bieten. Sie sind auch in Lage, sich ändernden Umwelt- und Klimabedingungen anzupassen.