Boris Johnson: Die Show ist vorbei
Seite 3: Eine Regentschaft ohne Ziel
- Boris Johnson: Die Show ist vorbei
- Glücksfälle pflasterten seinen Weg
- Eine Regentschaft ohne Ziel
- Auf einer Seite lesen
Die Konzeptlosigkeit ist im politischen Tagesgeschäft, das vornehmlich nach Aufmerksamkeit trachtet, durchaus von Vorteil. Es gibt deshalb bei Johnson eine offenkundige Liebe zur Krise. Sei es Covid oder Krieg. Denn sie bieten die Bühne zu großen Reden und Ankündigungen. Die einmal aufgestellten Regeln müssen dann nachher – bekanntermaßen – ohnehin nicht befolgt werden. Auch das Klein-Klein der Durchsetzung der Ankündigungen ermüdet sprunghafte Führer wie Johnson.
Im kleinen, alpinen Witzformat war Sebastian Kurz ein Trumpist Johnsonscher Prägung. Er erklärte gerne Aufgaben im Blitzlichtgewitter zur "Chefsache", um sie dann gründlich zu vergessen. Wer wagte, nach einem halben Jahr nachzufragen, was aus der Chefsache geworden sei, wirkte schnell pedantisch. So geht Führungsstärke 2022.
Es wird grundsätzlich nicht gestaltet, weil das zu lange dauert und sowieso niemand mitbekommt, sondern nur reagiert. Deshalb sind Krisen zunächst ein Segen. Man steigt mit Gummistiefeln auf den Deich und bevor allen klar wird, dass das Wasser nicht abläuft, ist man längst über alle Berge.
Letztlich stolpern sie dann aber doch und immer über sich selbst. Trump hätte die Wahl in den USA sicher gewonnen, wenn er nicht vollkommen holzköpfig auf das Corona-Virus reagiert hätte. Selbst auf seinem, gezielt niedrig gehaltenen, intellektuellen Niveau war das Empfehlen, Bleichmittel gegen das Virus zu trinken, der berühmte, kleine Schritt zu viel.
Johnson hatte 2019 einen Wahlerfolg, der ihn für ein Jahrzehnt ins Amt hätte befördern müssen. Hätte er vielleicht auf das eine oder andere Karaoke-Singen im Lockdown verzichtet und nicht unbedingt befreundete Sexualstraftäter in Ämter gehievt, dann wäre er kaum aus dem Amt zu entfernen gewesen.
Wie geht es nun weiter?
Die Diadochenkämpfe der Tories werden blutig werden und die Partei weiter schädigen. Zugleich gibt es einen veritablen Richtungsstreit. Johnson kann keine Orientierung bieten, denn er war in all seinen politischen Initiativen Eintagsfliege.
Zwar legte er die immer gleichen Schlagwortsätze auf "Get Brexit down" oder "Levelling Up" (Kampf um mehr Gerechtigkeit), diese Schlagwörter hatten aber höchst unterschiedliche politische Maßnahmen zur Folge. Tatsächlich präsentierte der Populist Johnson waschechte sozialdemokratische Ideen, wie den Rückkauf der Bahngesellschaften, die dann später versandeten, wenn der Fokus auf andere Dinge gewandert war.
So waren viele Ergebnisse der Politik Johnsons bloße Zufallsergebnisse. Der Austritt aus dem europäischen Binnenmarkt, den selbst viele Befürworter des Brexit für falsch hielten, ist vermutlich gewissen Verhandlungsdynamiken zu verdanken, in denen Johnson aus Trotz weiter ging als intendiert.
Jetzt sucht die Partei im Scherbenhaufen nach ihrer "Seele" und wird sie wohl im Neoliberalismus finden. Durch den Brexit wurde das Land noch ungleicher. Die unverwüstliche Hauptstadt London blüht mit fast acht Prozent Wirtschaftswachstum und der Rest des Landes schrumpft (einzige ironische Ausnahme ist Nordirland, das sich noch quasi in der EU befindet).
Die wachsende Armut und Ungleichheit ist für die Konservativen aber ein abstraktes Thema. Viel wichtiger ist Wachstum. Die Stimmen werden wieder laut, die einen kleinen Staat fordern und möglichst wenig "Politik". Das Gespenst heißt Stagflation und dem kann nur mit großen Ausgaben in die Wirtschaft beigekommen werden. Umweltfragen und sozialen Fragen werden einfach nicht mehr behandelt, denn jetzt geht es um Stimulation.
Johnson selbst deutete es in seiner Abschiedsrede an. Die Steuern müssen gesenkt werden, damit Unternehmen wachsen können und dann werden - mirakulös - auch die sozialen Ausgaben zu bewältigen sein.
Maggie Thatcher war 1990 am Ende ihrer elfjährigen Amtszeit mit sich und der Welt zufrieden. Sie hinterlasse das Land in einem besseren Zustand, als sie es vorgefunden habe. Dahin wollen die Tories nun wohl zurück. Der Plan heißt: Wachstum, bis der Planet schmilzt.