Brasilien: Die Überzeugungskraft höllischer Fake News

Seite 2: Die Hölle der Militärdiktaturen

Lula reagierte schnell auf die Anschuldigungen: "Wenn es jemanden gibt, der vom Teufel besessen ist, dann ist es Bolsonaro", sagte er. Wenn man das öffentliche Bild des einen mit dem des anderen vergleicht, muss man nicht lange überlegen, um zu erkennen, wer der Bösewicht ist.

Während Lula von Barack Obama als "der charmanteste Mann der Welt" bezeichnet wurde, kam Bolsonaro durch die Verbreitung von Hassreden an die Macht und zeichnet sich bis heute durch einen aggressiven, "trumpistischen" Stil aus.

Eines der Probleme der zeitgenössischen politischen Analyse besteht jedoch darin, Bedeutung auf die Ebene der Körpersprache zu reduzieren, auf der dann Marketingkategorien die Oberhand gewinnen. Zugleich werden substanziellere Erklärungen beiseite geschoben. In diesem Fall ist es angebracht, einmal nach der historischen Tradition des Teufelsbildes in den lateinamerikanischen Gesellschaften zu fragen.

Wenn es etwas gibt, das man auf dem Kontinent mit der höllischen Unterwelt verbindet, dann ist es der Terror der Militärdiktaturen des letzten Jahrhunderts. Bolsonaro, ein ehemaliger Hauptmann der Armee, ist wahrscheinlich der im Augenblick wichtigste Verteidiger des blutigen Erbes der Diktatoren der Region.

Stephen King: "Faktoren des sozialphobischen Ausdrucks"

Die Beziehung zwischen Staatsterrorismus und dem Horrorgenre wurde von der argentinischen Schriftstellerin Mariana Enríquez meisterhaft dargestellt. Die junge, aufstrebende lateinamerikanische Schriftstellerin gewann den Herralde-Preis mit ihrem Buch Nuestra parte de la noche (ins Deutsche übersetzt Unser Teil der Nacht).

Fast an der Grenze zu Brasilien überqueren ein Vater und sein Sohn mitten in der Militärdiktatur die argentinischen Straßen, um Treffen einer religiösen Sekte zu besuchen, die durch grausame Rituale Kontakt mit den Mächten der Finsternis aufnimmt. So überschneiden sich der übernatürliche Terror mit den realen Gräueln, die von den Agenten des Staates verübt werden.

Eine der schaurigsten Szenen dieses Buches spielt sich in einem alten Herrenhaus im Norden Argentiniens ab. Im Kerker werden arme Kinder aus den Slums von ihren Entführern gequält: ein satanischer Kult von Aristokraten, die sie als Opfergaben für die Dunkelheit foltern. Das Bild erinnert an den systematischen Raub von Kindern während der Videla-Diktatur, die von der "Vereinigung der Großmütter des Plaza de Mayo" auf 500 Fälle geschätzt wird.

Die Dinge, die die Gesellschaft ängstigen, oder wie Stephen King es nannte: "Faktoren des sozialphobischen Ausdrucks", sind nicht überall dieselben.

Der Grund, warum Mariana Enríquez zu einer der meistgelesenen Schriftstellerinnen Lateinamerikas geworden ist, liegt darin, dass sie genau die Tonart des Horrorgenres in der Region getroffen hat: Wahrscheinlich ist das, was Lateinamerikanern am meisten Angst macht, alles, was mit dem Schrecken der rechtskonservativen Diktaturen im 20. Jahrhunderts zusammenhängt.