Brasilien: Putschisten in Richterroben

Seite 2: Kritik in Deutschland nur aus der zweiten Reihe

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Auch in Deutschland gab es durchaus Kritik an dem Lula-Verfahren. Die ehemalige SPD-Justizministerin (1998-2002) Herta Däubler-Gmelin bezeichnete den Prozess als Teil eines "sozial- und wirtschaftspolitischen Rollbacks". Auch die Amtsenthebung von der Lula-Nachfolgerin Dilma Rousseff am 31. August 2016 sei dem Muster der neuen Form des Staatsstreichs gefolgt, so Däubler-Gmelin.

"Rousseffs Beschwerde gegen das Impeachment ist im Übrigen trotz seiner offensichtlich ungenügenden rechtlichen Fundierung vom zuständigen Obersten Gerichtshof Brasiliens schlichtweg liegen gelassen, nicht behandelt und schon gar nicht aufgehoben worden", merkte die ehemalige Bundestagsabgeordnete an. Die Vermutung sei nicht unberechtigt, dass das oberste Gericht des südamerikanischen Landes die Beschwerde erst nach dem Ende der Amtszeit "des unbestreitbar korrupten derzeitigen Präsidenten Michel Temer aufgreifen will". Dann würde es wohl in der Substanz für erledigt erklärt werden.

Neben Däubler-Gmelin hatten sich vor allem Sozialdemokraten gegen die Justizkampagne gegen die PT in Brasilien gewandt. So erklärten die Außenpolitiker Niels Annen und Klaus Barthel Ende April 2016, ihre Fraktion unterstütze "alle demokratischen Kräfte in Brasilien, die sich antipolitischen und antidemokratischen Ideologien entgegenstellen". Die Stellungnahme war mit einer deutlichen Kritik an den Rousseff-Gegnern verbunden. Sie müssten "zu demokratischen Grundprinzipien zurückkehren".

Allerdings kommen solche Appelle aus der SPD, die enge Kontakte zur PT unterhält, nur aus der zweiten Reihe. Die Sozialdemokraten haben die Brasilien-Politik nie merklich in der Großen Koalition auf die Agenda gesetzt, noch hat sich das durchgehend SPD-geführte Außenamt des Themas angenommen. Vor dem Berufungsprozess nun konstatierte die Linkspartei, es gehe mit dem Prozess offenbar darum, die Wiederwahl Lulas in einem "politischen und unfairen Prozess" zu verhindern.

Neoliberale feiern, Börse im Plus

So ist es nicht schwer, Brasilien unruhige Tage und Wochen, vielleicht Monate, zu prognostizieren. In Porto Alegre sollen gestern nach Angaben der Organisatoren rund 50.000 Menschen ihre Solidarität mit dem angeklagten Ex-Präsidenten demonstriert haben.

Die Stadtverwaltung hatte bereits im Vorfeld des Prozesses die Armee mobilisiert, um "zu Lande, zu Wasser und aus der Luft" agieren zu können. Kampfflugzeuge der Luftwaffe donnerten immer wieder über die Häuser, Schiffe der Marine patrouillierten auf dem Rio Gauíba, Scharfschützen waren auf Dächern postiert. Lokalpolitiker schwadronierten, man müsse die drei Richter vielleicht sogar mit Armeehubschraubern ein- und ausfliegen lassen. Das Ganze, so die Professorin für Internationale Beziehungen der örtlichen Hochschule UNIFESP, Esther Solano, stehe im Einklang mit der "Show-Justiz", von der die Lava-Jato-Prozesse von Beginn an bestimmt gewesen seien.

Die politische Perspektive für Lula und Brasilien ist nach dem heutigen Tag indes unklar. Der ehemalige Präsident hatte nach seinem Abtritt 2011 wegen der Ermittlungen zwar Popularität eingebüßt. Zuletzt befand er sich aber im Aufwind und kam in den Umfragen auf 45 Prozent. Damit hatte er Aussicht auf fast doppelt so viele Stimmen wie sein rechtspopulistischer Herausforderer Jair Bolsonaro. Zwar wurde Lula heute nicht festgenommen und kann weiter den Rechtsweg beschreiten. Es wird aber zunehmend unwahrscheinlich, dass er seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahl im Oktober aufrechterhalten kann. Die PT wird sich Gedanken über Alternativen machen müssen.

Mitglieder der rechtsgerichteten Bewegung Freies Brasilien (MBL) demonstrierten indes für ein "sauberes und neoliberaleres" Land. Die Börse in São Paulo schloss mit einem Plus von 3,35 Prozent.